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Nachdem Moria, Europas größtes Flüchtlingslager in Griechenland, zerstört wurde, schränkte die griechische Polizei die Arbeit der Journalist*innen ein, die über die Situation der mehr als 9.000 Asylbewerber*innen berichteten. Sie stellten die Einschränkungen als vorübergehend dar; sie sind aber immer noch in Kraft.
Schutz der Presse oder Einschränkung der Pressefreiheit?
Am 02. Februar veröffentlichte Reporter ohne Grenzen einen Bericht. Dieser warnte davor, dass die erlassenen nationalen Richtlinien für die polizeiliche Kontrolle von Demonstrationen “wahrscheinlich die Berichterstattung der Medien und den Zugang zu Informationen einschränken werden”. Weiterhin forderte er “die griechischen Behörden auf, die Richtlinien in Absprache mit Vertreter*innen der Journalist*innen des Landes zu überarbeiten”. Sie hatten beim Entwurf der Richtlinien nicht mitwirken können. Was war passiert? Auf der Grundlage eines Präsidialdekrets hatte die griechische Polizei einige Tage zuvor das neue Handbuch für ihre Einsatztaktik bei Demonstrationen vorgestellt. Danach müssen Journalist*innen, die über Proteste berichten, nun von einem Bereich aus arbeiten, den die Behörden festlegen.
Während man diesen Schritt als Sorge um die Sicherheit der Pressevertreter*innen als offiziellen Grund für kommunizierte, zweifelten Journalist*innen im ganzen Land an diesem Motiv. Sie sahen darin eher einen Versuch, Informationen zu kontrollieren. Marios Lolos, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft der Fotojournalisten, sagte, dass “in 99% der Fälle die Angriffe von der Polizei selbst ausgegangen sind”. Obwohl dies eine neue Maßnahme sein mag, haben Kritiker schon in den vergangenen anderthalb Jahren beobachtet, dass die regierende Partei “Neue Demokratie” versucht, die Berichterstattung über entscheidende Themen einzuschränken. Eines davon war die Aufnahme der Asylbewer*innen, die der Land kommen.
Zugangsbeschränkungen auf der Insel Lesbos
Am 8. September brachen mehrere Brände im bis dahin größten und berüchtigen Flüchtlingslager Europas, Moria, aus. In den folgenden Tagen kamen zahlreiche Reporter verschiedener Medien aus der ganzen Welt auf die Insel Lesbos und berichteten von der Küstenstraße. Hier hatten mehr als 9.000 Asylsuchende im Freien geschlafen. Nach den ersten Tagen begann die Polizei, Journalist*innen den Zutritt zu dem Gebiet zu verwehren. Während die offizielle Erklärung lautete, dass ein Polizeieinsatz im Gange sei, konnte man später nachweisen, dass dies nicht der Fall war.
In mindestens einem Fall wurde ein Journalist, Iason Athanasiadis, der im Auftrag der deutschen Tageszeitung “Die Welt” auf der Insel war, strafrechtlich verfolgt. In anderen Fällen zwangen Beamt*innen ohne Uniform Journalist*innen zum Verlassen des Gebiets. Mehrere Journalist*innen wiesen auf dieses Vorgehen hin, darunter Katy Fallon (Berichterstatterin englischsprachiger Medien), Marina Rafenberg (Korrespondentin französischer Medien) – und sechs Organisationen für Pressefreiheit, neben RSF: das International Press Institute (IPI), die Europäische Journalistenföderation (EJF), das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECMPF), die Free Press Unlimited (FPU), das Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa (OBCT) und Artikel 19.
Eingeschränkter Zugang
Wie das griechische Magazin Solomon berichtete, war der Zugang zum neuen Lager einen Monat nach dem Brand immer noch eingeschränkt. Hierbei führten die Behörden allerdings COVID-19 oder den Schutz persönlicher Daten als Grund für die Ablehnung von Medienanfragen an. Den Journalist*innen wurde – ähnlich wie bei Demonstrationen – auch hier ein Bereich zugewiesen, von dem aus sie arbeiten durften: Vor dem Tor der neuen Anlage, die direkt am Meer gebaut wurde. Während die meisten Journalist*innen also nur von außerhalb der großen Anlage berichten konnten, durften regierungsfreundliche Medien wie die staatliche Agentur AMNA (Athens Macedonian News Agency) ins Innere und begleiteten die Ministerialbeamten bei ihren Besuchen.
Eine unfreundliche Umgebung auf den Ägäischen Inseln
Mit Stand vom 4. Februar leben 6.824 Asylbewerber in der neuen temporären Einrichtung, die das Lager Moria ersetzt. Auf den vier anderen Ägäis-Inseln (Leros, Kos, Samos, Chios) leben insgesamt 4.474 weitere Menschen. Ein großer Teil davon unter ebenso problematischen Bedingungen. Sie sind Kälte, Regen und Wind ausgesetzt. Auf Lesbos bleibt die Berichterstattung über diese Zustände weitgehend eingeschränkt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2020 verschiedene Fälle gemeldet. Am 19. Oktober wurde ein deutsches Dokumentarfilmteam auf Samos willkürlich verhaftet. Einige Wochen später hielt die griechische Küstenwache drei deutsche Reporter auf Lesbos ohne Anklage für mehrere Stunden fest. Die griechische Regierung verweist auf Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit COVID-19, um den Zugang der Medien zu den Flüchtlingslagern weiterhin einzuschränken. Dadurch leben auch die Bewohner*innen der Lager seit einem Jahr in einer sich ständig ausweitenden Abriegelung, der sie kaum entkommen können.
Dokumentationen von Asylsuchenden
Dies hat dazu geführt, dass Asylsuchende die Bedingungen, in denen sie leben, selbst dokumentieren; von dem Teenager-Mädchen Parwana Amiri im Lager Ritsona auf dem griechischen Festland bis hin zu Twitter-Accounts, die von überfluteten Zelten im neuen Lager auf Lesbos berichten. Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung dieses Artikels wurden 50 beunruhigende Fotos aus den Lagern in den sozialen Medien geteilt, die die Bewohner selbst aufgenommen haben.
Griechenland stand 2020 auf Platz 65 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.
Diese internationale Zusammenarbeit von Guiti News (Frankreich), Kohero (Deutschland) und Solomon (Griechenland) – drei unabhängigen Medien, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen – beschreibt einen besorgniserregenden Trend der Polizeigewalt während des vergangenen Jahres; nicht nur gegen Menschen auf der Flucht, sondern auch gegen die Medienschaffenden, die ihre Probleme zeigen wollen.
Vom berüchtigten „Dschungel“ von Calais bis zur Räumung von behelfsmäßigen Lagern im Zentrum von Paris und von den „Black lives matter“-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten bis zur Zerstörung des größten Flüchtlingslagers des Kontinents auf der griechischen Insel Lesbos – überall gab es Fälle von polizeilicher Repression, die von Organisationen für Pressefreiheit wie Reporter ohne Grenzen scharf verurteilt werden.
Die weiteren Artikel gibt es hier:
- Griechenland – auf Deutsch und auf Englisch
- Frankreich – auf Deutsch und auf Englisch
- Deutschland – auf Englisch und auf Deutsch
Projektkoordination und Übersetzung: Anna Heudorfer
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