„Keine Schwangere, die ihr Kind wirklich haben will, sieht Informationen über Schwangerschaftsabbrüche und denkt dann daran, ihr Kind abzutreiben“, sagt Emma*. Die 19-jährige studiert Wirtschaftsrecht und ist nebenbei politisch aktiv. Mit dem umstrittenen §219a hat sie sich ausführlich auseinandergesetzt und findet, dass dieser gänzlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden sollte. Der Paragraf untergrabe das Selbstbestimmungsrecht der Frau und führe dazu, dass die Thematik weiterhin tabuisiert werde. Man könne nicht von einem „Werbeverbot“ sprechen, sondern vielmehr von einem „Informationsverbot“. Emma ist dieses Thema wichtig, denn sie spricht aus Erfahrung.
„Du sitzt da und bist eh schon mit den Nerven durch“
„Bei mir ist ganz klassisch die Periode ausgeblieben. Ich dachte mir als erstes: ‚Das passiert einfach mal‘, vor allem, weil ich ja noch so jung war. Da ich aber schon immer eine sehr regelmäßige Periode hatte, hat mich das schon gewundert“, berichtet sie. Emma war fünfzehn als sie herausfand, dass sie schwanger war. Sie und ihr damaliger Freund hatten ein paar Tage zuvor Schluss gemacht. Für Emma war also klar: Sie möchte das Kind nicht austragen. Zusammen mit ihrer Mutter ging sie zum Frauenarzt und wurde von ihm über weitere Schritte des Prozesses informiert. Obwohl Emma minderjährig war, galten die gleichen gesetzlichen Voraussetzungen wie bei Volljährigen. Bis heute ist ein Schwangerschaftsabbruch nämlich rechtswidrig – bleibt allerdings unter bestimmten Bedingungen straffrei.
Grundsätzlich kann ein Abbruch der Schwangerschaft innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis straffrei erfolgen. Voraussetzung ist dabei allerdings die Konfliktberatung bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle wie pro familia. Zwischen Gespräch und Eingriff müssen dann mindestens drei Tage Bedenkzeit liegen. „Du sitzt da und bist eh schon mit den Nerven durch. Man möchte, dass dieser Abschnitt ganz schnell vorbeigeht und man wieder normal ins Leben starten kann“, erinnert sich Emma an ihre damalige Situation. Für sie war die Beratung keine positive Erfahrung. Sie hatte das Gefühl, man wolle sie überzeugen, das Kind zu behalten, obwohl ihre Entscheidung von Anfang an feststand.
Auslöser der Debatte
„Ich hätte mir damals gewünscht, dass die Leistung auf der Webseite meines Arztes stehen würde und dass eben dieser Arzt dann auch die Abtreibung durchführen kann“, erzählt Emma. Bis zur Neuregelung des §219a StGB im Jahr 2019 war es Frauenärzt*innen gänzlich verboten über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches zu informieren. Der Paragraf untersagt das Bewerben von Schwangerschaftsabbrüchen zwecks eines „Vermögensvorteils“ oder „in grob anstößiger Weise“. Der Begriff der Werbung war vor der Reform allerdings so weit gefasst, dass sich Ärzt*innen strafbar machten, sobald sie Abtreibungen unter ihren Behandlungen aufzählten. Da Ärzt*innen für den Eingriff Geld bekommen, galten jegliche Angaben zur Behandlung als Mittel zur finanzielle Bereicherung des/der Ärzt*in und fielen deshalb unter einen „Vermögensvorteil“. So war es Emma zum Zeitpunkt ihres Schwangerschaftsabbruchs nicht möglich, entsprechende Informationen über Frauenärzt*innen in ihrer Umgebung zu recherchieren.
Erst der Fall Kristina Hänels im Jahr 2017 stieß eine bundesweite Diskussion über eine Gesetzesänderung an. Da auf ihrer Webseite das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ zu finden war, wurde sie erstmals verurteilt. Es folgten emotionale Debatten und verschiedene Gesetzesvorlagen, wobei auch eine komplette Streichung des Paragrafen diskutiert wurde. Letztlich entschied sich die Bundesregierung allerdings für eine Reform.
Reformen verbessern die Situation nicht
Infolgedessen ist es Ärzt*innen inzwischen erlaubt, über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs zu unterrichten, jedoch ist es ihnen immer noch verboten, weitere Informationen anzugeben. Stattdessen gibt es eine zentrale Liste der Bundesärztekammer mit Angaben zu angewandten Methoden. Diese ist bislang jedoch lückenhaft. Auch ein Jahr nach Einführung, haben sich nur 327 Praxen und Kliniken eingetragen, obwohl ca. 19.000 Frauenärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Laut Dr. Christian Albring, dem Präsidenten des Bundesverbandes für Frauenärzte, fürchten sich viele davor „öffentlich an den Pranger gestellt“ zu werden. Außerdem gibt es Frauenärzt*innen, die sich aus Protest nicht in die Liste eintragen. Viele Kritiker*innen sind deshalb der Meinung, dass die Reformen die Lage von ungewollt Schwangeren und Ärzt*innen nicht verbessern. Hänel ging einen Schritt weiter und informierte stattdessen auf ihrer eigenen Webseite über die Methoden. Damit nahm sie eine Klage und Verurteilung in Kauf, um ein klares Zeichen zu setzen. Sie wehrt sich und reichte nun am 19. Februar 2021 Verfassungsbeschwerde ein.
Auch Emma ist der Auffassung, dass die Informationen, ob ein/e Ärzt*in die Abtreibungen beispielsweise medikamentös oder operativ durchführt, wichtig sind, um zu entscheiden, wo man sich behandeln lässt. Dass man diese Informationen allerdings nicht direkt bei dem/der Ärzt*in abrufen kann, verlangsamt aus ihrer Sicht den nervenaufreibenden Prozess sinnlos. „Als Schwangere in dieser Konfliktlage macht es einem all das nicht einfacher. Natürlich kann man diese Entscheidung nicht leichtfertig treffen, trotzdem sollte sie einem nicht unnötig erschwert werden“, betont sie.
Gleichberechtigung nur ohne §219a StGB möglich
Der Paragraf kriminalisiert nicht nur Ärzt*innen, sondern vor allem Frauen, findet Emma. „Wir haben kein Verhütungsmittel, dass zu 100 Prozent wirkt. Deswegen sollte man Frauen nicht dafür stigmatisieren, wenn etwas schiefläuft.“ Das Verbot stehe der Gleichberechtigung der Geschlechter im Weg, insbesondere auf Grund des Frauenbildes, welches dadurch vermittelt wird. Die Befürchtung, dass Informationen über Abtreibungen dazu führen könnten, dass mehr Frauen einen Abbruch in Erwägung ziehen, findet Emma absurd. Abtreibungen könne man gar nicht bewerben oder anpreisen und Frauen seien auch nicht „so einfach beeinflussbar“.
Hänel ruft nach ihrer erneuten Verurteilung deshalb via Twitter zu Unterstützung auf: „Nun bin ich leider gezwungen, meine Informationen von der Webseite zu nehmen, sonst wäre ich am Ende finanziell ruiniert. Aber, wichtig: Alle Personen, die KEINE ABBRÜCHE MACHEN, dürfen über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Bitte tut das jetzt!“
Genau dies nimmt sich Emma zu Herzen und macht auf Social Media auf die Thematik aufmerksam. Gleichberechtigung ist ihrer Meinung nach nur möglich, wenn Frauen gänzlich über ihren Körper entscheiden können. Es dürfe nicht sein, dass der Staat versuche, bei einer so persönlichen Entscheidung einzugreifen. „Natürlich muss man Leben schützen, aber das hebelt nicht meine bestehenden Rechte aus“, verdeutlicht die junge Frau.
*Name wurde geändert