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„Negativ sag ich nitt“ – ein Fußballer erzählt

Abdul Mannan Ibrahim ist ein ehemaliger Profifußballer aus Syrien. Als der Krieg kam, floh er nach Deutschland. Auch wenn sich sein Leben so um 180 Grad gewendet hat, ist ihm eine Konstante im Leben geblieben: die Liebe zum Fußball. Mit saarländischem Dialekt erzählt Mannan über seine Karriere in Syrien, die Flucht, Ankunft in Deutschland und seine Zukunftspläne als Spielerberater:

Es ist ein typischer Wintertag, als wir uns Mitte Dezember zum Interview über Zoom treffen: kalt und regnerisch. Trotzdem ist Abdul Mannan Ibrahim schon joggen gewesen. Acht Kilometer, wie fast jeden Tag. Als ehemaliger Profifußballer weiß er, dass man hart trainieren muss, um fit zu bleiben. Das erste Mal einen Ball am Fuß hatte Mannan in der Schule, damals noch mit Klassenkameraden in seiner Heimatstadt Aleppo. Irgendwann nahm ihn sein älterer Bruder dann mit zum Training im Verein. Schon früh war klar, dass der Junge talentiert ist. Mannan steckte sich immer größere Ziele, nach und nach wurde daraus ein Traum: Profifußballer werden. Und das hatte er auch geschafft. In der U12 spielte der heute 27-Jährige mit der Rückennummer 20 das erste Mal in der syrischen Nationalmannschaft. 2014 zog er nach Damaskus, um dort für den Erstligaverein und Landesmeister Al-Wahda zu spielen, unter anderem auch beim Asia Cup. Er wurde sogar von der U23- in die A-Nationalmannschaft berufen. „Das war die beste Saison meines Lebens.“

Für alle Fußballbegeisterten, die auch am liebsten Profi werden möchten, klingt das eigentlich perfekt. Für Mannan aber sei das nur „fast schön“ gewesen. Denn: Der Krieg habe ihn aus seinem Traum gerissen. „Es gibt keine Sicherheit, keine Zukunft. Man weiß nicht, was morgen passiert. Einmal waren wir am Trainieren. Dann kam ein Bomber und wir mussten schnell zum Hotel laufen. Solche Situationen gab es öfter. Auch wenn man im Alltag spazieren war. Wenn etwas passiert, musst du von 0 auf 100 schalten – direkt loslaufen, abhauen. Manchmal hatten wir auch kein Wasser und keinen Strom. Es ist immer mehr dazugekommen. Im August 2011 habe ich dann gesagt: Ich muss meine Heimat verlassen. Ich dachte, in Europa kann ich mich mehr entwickeln, mehr machen.“

 Gefahr, Ungewissheit, Ängste

Dann sei er geflohen. Nahezu beiläufig sagt er das. Dabei ist diese Flucht nicht einfach so beiläufig passiert. Hinter dem abstrakten Wort, das sich in weniger als einer Sekunde aussprechen lässt, steckt so viel mehr: Gefahr, Ungewissheit, Ängste. Und eigentlich auch ein Plural, denn Mannan hat mehrfach versucht, zu fliehen: „Zwischen 2011 und 2012 habe ich 14-mal versucht, nach Europa zu kommen. Jedes Mal war schlimmer als das davor. Einmal habe ich in Griechenland eine schwierige Verletzung an der Pulsader bekommen – durch einen Polizisten, mit einem Messer oder einer Schere. Da war ich knapp tot. Auf Wunsch meiner Familie bin ich dann nochmal zurück, habe nochmal zwei Jahre in Syrien Fußball gespielt. Aber die Situation, die Politik war immer noch die gleiche, ganz schlimm. Also habe ich gesagt: Ich versuche es ein letztes Mal und wenn es dann nicht klappt, bleibe ich in Syrien.“

Bei diesem letzten Fluchtversuch war einen Kilometer vor der Küste der Tank seines Bootes leer. „In meinem kleinen Boot sind viele Leute gestorben, ich musste schwimmen. Da habe ich Angst gehabt. 14-mal habe ich keine Angst gehabt, aber da dachte ich: Ich will zurück. Ich will nicht mehr. Wenn man so viel durchmacht, akzeptiert der Körper das irgendwann nicht mehr.“

Ein Abschied ohne Umarmung

Die griechische Polizei hat ihn und die anderen damals gerettet und sicher zum Hafen gebracht. So etwas passiere nur einmal in zwei, drei Monaten. Meist würden die Leute einfach zurück in die Türkei geschickt. Wenn überhaupt. Sie hätten also Glück gehabt, Mannan und sein älterer Bruder. Der war nämlich mit dabei. Heute lebt er wie Mannan auch im Saarland und studiert dort Deutsches und Europäisches Recht.

Die restliche Familie hingegen, Mutter, Vater und die kleine Schwester, mussten die beiden in Syrien zurücklassen. Während unseres Interviews sind sie sogar per Video-Anruf mit dabei. Seit fast zehn Jahren hat Mannan die drei nur so sehen können – über WhatsApp. Denn als 2011 der Krieg in Syrien anfing, gingen seine Eltern nach Afrin. Der damals 16-jährige Mannan aber blieb vorerst im rund 50 Kilometer entfernten Aleppo und zog später nach Damaskus, um dort weiter Fußball spielen zu können. Von seinen Eltern trennten ihn dann über 400 Kilometer – fünf Stunden Autofahrt. Und bald auch der Krieg. „Der Krieg ist zwischen uns passiert. Keiner konnte den jeweils anderen besuchen. Bevor ich nach Deutschland ging, wollte ich ihnen Tschüss sagen, sie umarmen. Aber ich konnte das nicht machen, konnte mich nicht verabschieden. Sie haben mir immer gefehlt, aber hoffentlich kann ich sie irgendwann gesund wiedersehen. Hoffentlich.“

Training mit Hindernissen

Hoffnung ist auch die Kraft, die Mannan 2015 nach Deutschland brachte und bis heute antreibt. Gepaart mit Offenheit und dem Ziel, sich fußballerisch weiterzuentwickeln. Aber ganz so einfach sei das am Anfang nicht gewesen. Die ersten Monate nach seiner Ankunft habe er keine Ruhe finden können, wurde von Flüchtlingslager zu Flüchtlingslager geschickt. Insgesamt war er in neun verschiedenen Unterkünften, u.a. in Lebach, Dortmund, Detmold, Münster, Staumühle. In Staumühle habe man nicht einmal raus gedurft. Zu acht, neunt, zehnt sei man zusammen in einem Zimmer gewesen und musste dort monatelang einfach warten, bis irgendetwas kommt – ein Antrag zum Beispiel. Die seien ohnehin das schwierigste gewesen. „Ich war schon viel unterwegs gewesen und deswegen gewohnt, mit anderen Kulturen und Sprachen zurechtzukommen. Aber Anträge, z.B. beim Jobcenter… Selbst deutsche Leute konnten mir nicht dabei helfen.“

Nun, dass regelmäßig auch Muttersprachler*innen bei dem schwer verständlichen Behördendeutsch verzweifeln, ist ja allgemeinhin bekannt…

Mannan fand aber schließlich einen Job in der Gastronomie und irgendwann, endlich, konnte er wieder in einem Verein Fußball spielen. Doch ohne Auto, ohne Führerschein und ohne Geld brauchte er drei bis vier Stunden, um zum Training zu kommen – pro Strecke. Hinzu kamen Kommunikationsprobleme mit dem Trainer. Mannan spricht zwar sehr gut Englisch, in Damaskus hatte er sogar Englisch studiert, aber: „Ich konnte damals noch kein Deutsch, der Trainer konnte kein Englisch. Manchmal habe ich Ärger bekommen, warum ich zu spät gekommen bin. Und ich musste nach jedem Training schnell los, um den letzten Zug zurück zu kriegen.“

Keine Chance mehr für Träume!?

Deutsch lernen, der Job in der Gastronomie und Fußballtraining. Das wurde zu viel. Der Sport sei immer weniger geworden, in dem Bereich habe es nicht mehr geklappt. Als er über einen Kontakt dann doch noch einmal die Möglichkeit hatte, sich in der dritten Bundesliga beim 1. FC Saarbrücken zu beweisen, hieß es, er sei ein talentierter Fußballer, keine Frage. Aber nicht fit genug.

„Wenn man hierherkommt, braucht man Zeit für die Sprache, damit man alles versteht und sich Beziehungen aufbauen kann. Man sagt nicht einfach so: Ok, jetzt lass ich alles und gehe in ein Land, wo ich niemanden kenne. Sprache, Kultur – hier in Deutschland funktioniert ja alles anders. Und dann, wenn man langsam reinkommt, ist es aber schon zu spät. Als Fußballer weiß man, dass man fast jeden Tag trainieren muss, um Profi zu werden. Man muss aufpassen, was man isst, wie man schläft usw. Ein Jahr lang konnte ich das nicht machen. Ich war nicht mehr fit. Und zu spät für meinen Traum.“

Das verpasste Jahr an Training wollte Mannan wieder aufholen, zog sich jedoch eine Verletzung zu. Es brauchte Zeit, bis die wieder verheilt war. Zeit, die er eigentlich nicht hatte. Trotzdem versuchte er es weiter, spielte ein Jahr lang in der Oberliga beim SV Völklingen. So richtig geklappt hat es da aber nicht. „Mit den Spielern habe ich zwar immer noch eine gute Beziehung und Kontakt – liebe Grüße von mir! Aber der Verein hat mir kaum geholfen, kein Interesse gezeigt.“

Ja, da sei er enttäuscht gewesen. Aber er habe umgeschaltet: „Egal, was ist: Ich muss durchziehen, ich muss kämpfen. ,Negativ´sag´ ich nitt, weil ich aus jeder Erfahrung etwas gelernt habe. Man lernt auch in schwierigen Situationen etwas, wird stärker. Man sammelt Lebenserfahrung.“

„Ich möchte mich weiterentwickeln“

Mittlerweile gehe es wieder gut mit dem Fußball. Mannan, oder „Ibo“, wie ihn seine neuen Teamkollegen nennen, ist Spielertrainer beim Bezirksligaverein TUS Beaumarais. Das heißt, er trainiert die Mannschaft, in der er spielt, auch.

„Der Verein sorgt sich um mich, fragt, was ich brauche, wie es mir geht. In den anderen Vereinen hatte mir das gefehlt. Aber bei Beaumarais bin ich richtig glücklich als Spielertrainer.“

Im Moment habe er sogar mehr Spaß als Trainer, weshalb er dieses Jahr noch seine Trainer B-Lizenz machen wird. Denn Mannan kümmert sich gern um das Team, hört gern zu. Und lernt dabei auch selbst viel. „Ich möchte mich weiterentwickeln. Deshalb habe ich mich auch entschieden, eine Ausbildung zum Spielerberater zu machen. So wie ich früher brauchen viele talentierte Fußballer Hilfe und Unterstützung. Die möchte ich ihnen geben – egal, aus welchem Land sie kommen. Nationalität spielt keine Rolle, denn Fußball ist farbenlos.“

So sieht das auch Klaus Hoffmann, TV-Produzent und Sport-Manager aus dem Saarland. Der 57-Jährige hatte Mannan bei sich zu Hause aufgenommen. Am Anfang sei das ein bisschen komisch gewesen. „Wir haben uns nicht richtig verstanden, weil wir einfach ein bisschen verschiedene Menschen sind.“

Doch mittlerweile hätten sie eine der besten Beziehungen. „Egal, was ich für ein Problem habe, ich kann immer zu ihm gehen. Ich habe viel von ihm gelernt, wie alles funktioniert – Sprache, Mentalität, Kultur. Er hat den Weg für mich einfacher gemacht. Naja, ein bisschen nur.“ (lacht)

Ein offenes Ohr für andere – auch als Talentscout

Klaus Hoffmann ist auch derjenige, der Mannan ein Probetraining beim FC Saarbrücken ermöglicht hatte. Auch wenn daraus nichts geworden war, Mannan hat die Vorlage von Hoffmann dankbar angenommen. Zusammen setzen sie jetzt stattdessen einen nächsten, anderen Spielzug um: Seit Oktober 2020 macht Mannan eine Ausbildung zum Spielerberater und Talentscout bei der SPA Akademie von Mirsad Keric. Dort lernt er, wie man die organisatorischen Rahmenbedingungen für einen Spieler schafft, damit der sich ganz auf seinen Sport konzentrieren kann.

Es fängt damit an, einen guten Verein zu finden und geht z.B. damit weiter, sich um Ärzte und Versicherungen für den Spieler oder auch um einen Kindergarten für seine Kinder zu kümmern – alles, von A bis Z. So kann sich der Spieler step by step entwickeln. Vor allem junge Fußballer brauchen diese Hilfe. Wenn der Verein nur an sich denkt oder die Eltern sich nicht gut auskennen, sind wir als Spielerberater da, um alles zu erklären. Damit der Junge sein Talent nicht verliert.“

Im Moment bauen Mannan Ibrahim und Klaus Hoffmann dafür ihre eigene Firma auf – IA Sports. Die beiden möchten eine Brücke zwischen Asien und Europa bauen. Denn Klaus Hoffmann arbeitet seit 30 Jahren im Fußball. Ein entsprechend großes Netzwerk hat er in der Branche. Und auch Mannan hat durch seine Karriere als syrischer Profifußballer viele Kontakte in Asien, unter anderem im Irak, Dubai, Katar, den Emiraten und dem Libanon. Und in Syrien natürlich. Noch immer wird dort aktiv Fußball gespielt, sogar mit vielen Zuschauern. Auch wenn die Situation schwierig ist.

Syrien braucht Veränderung

In Syrien ist in einem Ort Krieg, dann ist es dort wieder gut. Dann gibt es in einem anderen Ort Krieg. Es ist immer ein Hin und Her. Momentan ist es, glaube ich, ein bisschen besser. Aber es ist immer noch die gleiche Strategie, die gleiche Politik.“

Syrien brauche Veränderung. Man müsse von Null anfangen und alles neu aufbauen.

„In Deutschland war das damals auch so, nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur haben wir in Syrien noch weniger – keine Sozialversicherung, Krankenkasse, Steuern, gleiche Rechte für alle. Da müsste es erstmal losgehen. Eigentlich müssen alle Leute, die jetzt in Europa sind, ein Teil der Veränderung sein. Wir brauchen junge Leute, die Erfahrung mit Demokratie, Menschenrechten usw. haben, und die zeigen, wie das genau läuft. Irgendwann müssen wir zurückgehen und beim Wiederaufbau helfen. Denn wenn jeder sagt: ,Nee, da habe ich keine Lust drauf´, dann hat man immer noch diesen Ruf, kein gutes Land zu sein. Man muss seine Ausbildung runterbringen, damit dort richtig aufgebaut wird. Sonst macht alles keinen Sinn.“

Mannan selbst könne zeigen, wie es im Bereich Fußball-Marketing läuft. Komplett zurückzugehen, sei aber schwierig. „Man hat ja jetzt auch hier in Deutschland Freunde, Familie, eine Zukunft. Das alles kann man auch nicht einfach wieder zurücklassen. Syrien und Deutschland haben den gleichen Platz in meinem Herzen. Beides ist für mich Heimat. Nur auf dem Papier nitt. Noch nitt.“

Vielleicht wird sich das ja geändert haben, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen. Wir machen nämlich aus, uns noch einmal zu treffen, wenn Mannan als Spielerberater mit IA Sports erfolgreich Fußballer zwischen Asien und Europa vermittelt. Die Zielstrebigkeit, das zu schaffen, hat er auf jeden Fall. Das ist in unserem gut einstündigen Gespräch deutlich geworden. Am Ende verabschiedet sich Mannan so, wie er durchs ganze Leben zu gehen scheint: dankbar, optimistisch und mit einem Lächeln auf den Lippen: „Dann simma soweit. Hat mir Spaß gemacht, danke!“

 Wir haben zu danken, dass Mannan seine beeindruckende Geschichte mit uns geteilt hat.

 

 

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Clara Bettenworth
Clara studiert Politikwissenschaft an der Uni Hamburg und macht gerne Sport, vor allem Handball. Ihre größte Leidenschaft sind aber schon immer Worte gewesen. Am liebsten lernt sie in Gesprächen neue Leute kennen, um diese zu portraitieren. Denn: „Hinter jedem Menschen steht eine inspirierende Geschichte. Kohero bietet den Raum, damit diese Geschichten gelesen und gehört werden.“

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