Friedrich Merz möchte es, Joachim Herrmann fordert es, auch der Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt: mindestens für Straftäter*innen und Gefährdende sollen Abschiebungen nach Syrien geprüft werden. Am 31. Dezember lief der generelle Abschiebestopp nach Syrien aus, nach dem seit 2012 niemand dorthin abgeschoben werden durfte. Er wird nicht verlängert, da sich SPD und Union nicht auf über die weitere Handhabung einigen konnten. Auch nach Afghanistan wurden im Dezember 30 Menschen abgeschoben, trotz scharfer Kritik an dieser Praxis, insbesondere während der Coronapandemie.
Wie sieht es in den Ländern aus?
Fakt ist: Menschen, die in eines der beiden Länder abgeschoben werden, drohen dort viele Gefahren. Kabul wurde im Dezember mehrmals beschossen und mehrere Politiker*innen und Journalist*innen kamen in den vergangenen Monaten bei Anschlägen verschiedener Akteur*innen ums Leben. Die Friedensgespräche in Doha zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban stocken, und so lange ist ein Waffenstillstand in weiter Ferne. Dabei nimmt die Gewalt täglich zu. 2020 wurden aufgrund der Kämpfe mehr als 300.000 Menschen zu Schutzsuchenden im eigenen Land. Und die Coronapandemie verschlimmert die Situation.
Auch Syrien ist kein sicheres Land. Rückkehrer*innen droht die Verhaftung beim Grenzübergang. Wer in Verdacht steht, der Opposition anzugehören oder dem Assad-Regime nicht loyal zu sein, läuft Gefahr zu verschwinden oder ermordet zu werden. Den Männern droht die Zwangsrekrutierung, bei dem sie sich unter anderem am Krieg gegen die eigene Bevölkerung beteiligen müssten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe spricht davon, dass „prinzipiell […] jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden kann.“
Auch laut der Initiative Syria not safe geschieht die Verfolgung durch das Regime vollkommen willkürlich. Während der Staat in von verschiedenen Akteuren kontrollierte Teile zerfalle, gingen gewalttätige Auseinandersetzungen weiter, Tag für Tag.
Warum gegen Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan protestiert wird
Im Mai plädierten die Innenminister von Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg für eine „differenzierte Betrachtung von Menschen, die sich als Anhänger von Präsident Assad zu erkennen gegeben oder zwischenzeitlich wieder in Syrien aufgehalten hätten.“ Deutschland wäre damit eines der ersten europäischen Länder, das Abschiebungen nach Syrien in Erwägung zieht. Das würde auch bedeuten, die diplomatischen Beziehungen zu einem Regime, dass von der EU sanktioniert wird, aufzunehmen.
Auch Abschiebungen in die von türkischen oder kurdischen Truppen kontrollierten Gebiete, wie Bayerns Innenminister Herrmann vorschlägt, sind gefährlich: Die dortigen Milizen begehen, wie das Assad-Regime, schwerste Menschenrechtsverletzungen. Abgeschobene könnten dort zu Täter*innen werden, wenn sie sich den Milizen anschließen. Die Türkei könnte das außerdem als Legitimation ihrer völkerrechtswidrigen Expansion in syrisches Gebiet verstehen: denn deutsche Behörden müssten mit der Türkei kooperieren, um Abgeschobene in von der Türkei besetztes Gebiet zu bringen.
Abschiebehaft in vielen Fällen rechtswidrig
2018 scheiterte die Hälfte der 57.000 geplanten Abschiebungen in Deutschland. Zur Durchsetzung der geplanten Abschiebungen gibt es die sogenannte Abschiebehaft, die verhindern soll, das Ausreisepflichtige untertauchen. Wenn man verdächtigt wird, sich der Abschiebung zu entziehen, kann man bis zu sechs Monate inhaftiert werden, oder wenn über eine Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann, bis zu sechs Wochen. Dabei gibt es mehr als ein Problem: Wer in Abschiebehaft sitzt, hat überhaupt keine Straftat begangen, sondern wird höchstens einer verdächtigt. Fast jede dritte Abschiebehaft der letzten vier Jahre war rechtswidrig. Dennoch haben betroffene Geflüchtete keinen Anspruch auf Entschädigung, da die Abschiebehaft rechtlich nicht als Strafe gilt. Inhaftierte in Abschiebehaft wissen meist nicht, ob und wie sie sich juristisch wehren können. Sie sind dabei auf die Hilfe von Externen angewiesen. Und vielen fehlen die finanziellen Mittel, sprachliche Kenntnisse oder Kontakte, um an diese Hilfe zu gelangen.
Die Initiative Syria not safe protestiert auch aus einem weiteren Grund gegen die Abschiebung nach Syrien: Wie sich bereits mit Abschiebungen nach Afghanistan gezeigt hat, werden zunächst nur Straftäter*innen sowie eventuelle Gefährdende abgeschoben. Danach trifft es jedoch auch alleinstehende junge Männer, und schließlich alle, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.
Wie geht es weiter?
Erstmal gilt weiterhin: Für die meisten Geflüchteten aus Syrien besteht momentan kein Grund zur Sorge: die Schutzquoten für Syrer*innen in Deutschland sind hoch. Mögliche Abschiebungen nach Syrien würden vermutlich angesichts der zahllosen Berichte über Folter und Menschenrechtsverletzungen in Syrien vor Gericht gestoppt werden. Außerdem sind Abschiebungen nach Syrien aus praktischen Gründen im Moment nicht durchführbar: es gibt keine direkten Reisewege, keine diplomatischen Beziehungen und keine Behörden vor Ort.
Und auch für Asylsuchende aus Afghanistan gibt es gute Nachrichten: im vergangenen Jahr wurden tausende abgelehnte Asylbescheide von den Gerichten aufgehoben, nachdem afghanische Geflüchtete geklagt hatten. Insgesamt 5644 Afghan*innen haben 2020 in Deutschland Asyl erhalten.
Dennoch soll das nicht über die gefährliche Richtungsänderung in der Außenpolitik hinwegtäuschen: Damit könnten Abschiebungen in Kriegsgebiete normalisiert und diplomatische Beziehungen zu Unrechtsregimen, die nur auf Kontaktaufnahme warten, schleichend wiederaufgebaut werden.
Syria not safe protestiert mit einer Unterschriftenaktion und Demonstrationen gegen die Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Mehr über die Aktion erfährst du hier. Außerdem findest du dort mehr Informationen zu der aktuellen Situation in Syrien.
Quellen:
Wie kommt es zu den Abschiebungen (Ende Abschiebestopp Syrien?
Wie ist die aktuelle Situation in den Ländern?
tagesschau.de/
tagesschau.de/
syria-not-safe.org
Uneinigkeit in der europäischen Geflüchtetenpolitik
tagesschau.de
tagesschau.de
Viele Afghan*innen haben einen zunächst abgelehnten Asylantrag nun doch gestattet bekommen spiegel.de
Deutschland hat keine diplomatischen Beziehung zu Syrien, es gibt nicht die nötigen Behörden vor Ort, außerdem Coronapandemie (tagesschau.de101.html)