Nach ihrer Registrierung werden Geflüchtete in sogenannten Erstaufnahme-Unterkünften untergebracht, wo Privatsphäre Fehlanzeige ist. Nun beginnt die unangenehmste Zeit: Die Zeit des Wartens auf eine sinnvolle Tätigkeit. Wenn man Glück hat, bekommt man nach ein paar Monaten die Gelegenheit, endlich einen Sprachkurs absolvieren zu können. Schließlich ist die Sprache das wichtigste Element, das die Türen zu allen anderen Möglichkeiten im neuen Land öffnen soll und kann. Die Lernbereitschaft ist bei den meisten Geflüchteten vorhanden. Doch welche Initiativen und Möglichkeiten gibt es? Es sind sicher mehr, als wir hier aufzählen: Als erstes sollte man sich an seinem Wohnort informieren. Da findet man unter anderem die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer und den Jugendmigrationsdienst, die Ausländerbehörde, die Arbeitsagentur, das Job-Center oder entsprechende Einrichtungen der Kommune.
Was können wir voneinander lernen?
In weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft herrscht die Meinung vor, Zuwanderer, wie etwa Geflüchtete, müssten bloß unsere Sprache lernen, Arbeit finden und sind dann automatisch integriert. Aber die Vorurteile, die einige mehr und anderen weniger haben, bleiben bestehen. So leben wir in Städten und Dörfern trotzdem nebeneinander her, anstatt miteinander.
Ist das gelungene Integration? Sicher, es gibt viele Vereine, Ehrenamtliche und Initiativen, die sich um ein echtes Miteinander bemühen. Doch ein großer Teil der Gesellschaft, ist entweder gar nicht an Integration interessiert – oder kann sich aus bestimmten Gründen nicht dafür engagieren. Doch es kann kein Verständnis für Menschen erwachsen, deren Kultur wir überhaupt nicht kennen. Hierfür ist eine sogenannte „interkulturelle Kompetenz“ erforderlich, die man nur über ein Miteinander – über „interkulturelle Kommunikation“ – erwirbt. Das hört sich alles komplizierter an, als es ist. In Wahrheit könnte alles ganz einfach sein.
In der Stadt Peine etwa feierten Muslime und Christen in diesem Jahr im Stadtpark gemeinsam das Ende des Ramadan. Insgesamt kamen 2000 Menschen zusammen. Ein Beispiel dafür, wie interkulturelle Kommunikation funktionieren kann. Eine Form, wie man sich näher kommen kann. Aber es gibt auch viele Missverständnisse, zwischen den Kulturen. Vier Beispiele hierfür wollen wir im Folgenden aufgreifen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ayman Abou Saleh aus Syrien gibt uns Einblicke in die Traditionen, Gebräuche und das soziale Miteinander seines Kulturkreises. „Wir haben Traditionen, die sich nur ein wenig von denen der Deutschen unterscheiden. Andere sind das komplette Gegenteil davon.“ Gemeinsamkeiten gibt es zum Beispiel was das Betreten und Verlassen eines Hauses betrifft: „Geht man in ein Haus, so gehen stets die alten Menschen vor den jungen Leuten hinein. Beim Verlassen ist es nicht anders. Außerdem werden stets die Frauen vorgelassen, erst dann kommen die Männer.“ Vor fünfzig Jahren, so erzählt Ayman Abou Saleh, sei die Reihenfolge bei Frau und Mann noch andersherum gewesen. Das „Ladies first“ gibt es also heute auch in Syrien. Eine Gemeinsamkeit, die beide Kulturen eint.
Ganz anders sieht das aber beim Gesprächsverhalten aus: „Während einer Diskussion, schaut man sich in Deutschland immer direkt in die Augen“, weiß Ayman Abou Saleh. „Bei uns aber gibt es da keine festen Regeln. Was für Deutsche also als unhöflich gilt, ist in Wahrheit gar nicht respektlos gemeint.“
Beispiele interkultureller Missverständnisse
Vor einiger Zeit veranstaltete der Kreis Segeberg mehrere Workshops mit dem Islamwissenschaftler und Dozent Jens W. Leutloff. Dort konnten wir einige Beispiele kennenlernen, die illustrierten, dass die Integration mit dem Lernen der Sprache und der Aufnahme einer Arbeit nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich fängt die Integration dann erst an, ein Prozess, der Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft gleichermaßen betrifft.
Mohammad und der Besuch in der Agentur für Arbeit
Mohammad wird von der Arbeitsagentur zum Gespräch eingeladen. Da seine Frau an diesem Tag nicht da ist, muss er seinen fünfjährigen Sohn Hassan mitnehmen. Als Mohammad das Büro betritt, sitzt auf der anderen Seite des Schreibtisches ein Mann, etwa um die 40 Jahre alt. Nach der Begrüßung fing der Beamte an Fragen zu stellen.
Dem kleinen Hassan wird es nach einiger Zeit langweilig. Aber er entdeckt einen Kugelschreiber auf dem Schreibtisch – ein tolles Spielzeug. Auf der anderen Seite des Schreibtisches, liegt ein Stapel Papier. Hassan nimmt sich fünf Blätter, wirft sie in die Luft, und sieht zu, wie sie auf den Fußboden segeln. Dann nimmt er sich ein weiteres Blatt, und beginnt, darauf ein Auto zu malen. Der Blick des Beamten verfinstert sich leicht. Hassan verliert die Lust am Malen und fängt an zu jammern. Mohammad sieht den Beamten leicht irritiert an, der jetzt noch etwas finsterer als zuvor dreinschaut. Nach 15 Minuten vertagten sie das Gespräch auf ein neues Datum, mit der Bedingung, dass Mohammad diesmal alleine kommen soll.
Was war passiert? Der Beamte fragte sich, warum Mohammad seinen Sohn nicht zur Ruhe gebracht hat. In seiner Gedankenwelt, lassen muslimische Eltern ihre Kinder machen was sie wollen. Sie verziehen ihre Gören. Dass hat er schon oft erlebt. Schließlich ist Mohammad ja nicht der erste Syrer, der sein Kind mitbringt.
Was aber denkt Mohammad? Nun, auch er versteht die Welt nicht mehr. Der Beamte hat sein Büro anscheinend nicht im Griff. Er hätte schließlich was sagen müssen. Aber da kam ja nichts. So ein Waschlappen, kann sich nicht einmal gegen ein Kind durchsetzen.
Wo liegt hier das Problem?
Beide, Mohammad und der Beamte, haben aus ihrer Sicht alles richtig gemacht. Auch, wenn der Beamte denkt, er habe „Erfahrung“ mit muslimischen Eltern, so hat er diese „Erfahrungen“ nur machen können, weil er nie nachgefragt hat, weil er sich nie mit den Menschen aus Afghanistan, Syrien usw. beschäftigt hat. Jedenfalls nicht außerhalb der Dienstzeit. Menschen aus diesen Ländern geben die Verantwortung für ihre Kinder an der Bürotür ab, weil ab dort der Beamte der Chef im Büro ist und tobenden Kindern sagt, dass sie still sein sollen. Wenn die beiden beim nächsten Treffen noch einmal über die Vorkommnisse des letzten Besuchs sprechen würden, wären die beiderseitigen Irritationen schnell aus der Welt. Doch die Chance, dass das passiert, ist eher gering. Weil jeder von seinem eigenen Standpunkt überzeugt ist.
Das Kompliment
Hakim und sein Bruder wurden von einem älteren Ehepaar aufgenommen, das sich ehrenamtlich für Geflüchtete engagiert. Hakim erzählte folgende Geschichte:
„Sigrid und Walter sind tolle Menschen. Sie kümmern sich um uns, egal welche Probleme wir haben. Immer sind sie für uns da, begleiten uns bei Behördengängen und helfen uns beim Ausfüllen von Anträgen – was selbst für Sigrid und Walter nicht immer einfach ist. Beide sind ungefähr so alt wie unsere Eltern, aber ihre Kinder sind schon ausgezogen und studieren in Hamburg. Sie sind wirklich nette Menschen, ohne die wir es viel schwerer hätten. Ich dachte mir, dass ich ihnen das auch mal sagen muss. Ich wollte ihnen ein schönes Kompliment machen und sagte, sie seien wie Vater und Mutter für uns. Doch sie freuten sich nicht wirklich, sondern sahen erschrocken aus. Schließlich antworteten sie, dass sie ja wüssten, wie selbstständig wir schon geworden seien und uns keinesfalls bevormunden wollten. Dass sie doch nur, wenn wir Hilfe brauchen, ein wenig helfen wollten.“
Hakim rätselt noch immer, was an seinem Kompliment falsch war. In Syrien hätten sich Menschen über ein derartiges Kompliment gefreut. Sigrid und Walter aber hatten sofort den Eindruck, Hakim und sein Bruder fühlen sich von ihnen bevormundet.
Wie Djamila ihre Chefin und die Deutschen sieht
„Meine Chefin sagte einmal zu mir, ich solle nicht lange um den heißen Brei herumreden, sondern zur Sache kommen“, erzählt Djamila, eine 30-jährige Syrerin, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt. „Das gilt in meiner Kultur als unhöflich, besonders, weil sie die Ältere ist. Also eine Respektsperson ist. Smalltalk sei Zeitverschwendung, meinte sie ein anderes Mal, dabei wollte ich das Gespräch nur ein wenig ausschmücken. Ich finde, die Deutschen sind sehr gute Spezialisten, sie sind sehr sachlich und kompetent. Sie denken sehr logisch und können immer alles rational und vernünftig begründen. Doch sie erscheinen mir manchmal etwas unterkühlt. Weil es immer um die Sache geht. Um die Arbeit, aber nie um Menschen oder Gefühle. Kaum jemand fragt seine Kolleginnen oder Kollegen wie es ihnen geht. Da frage ich mich, ob sie überhaupt Interesse an anderen Menschen haben.“
Wir müssen noch voneinander lernen. Solche Einblicke sind wichtig, weil sie unser Zusammenleben ausmachen. Und weil wir nur, wenn wir einander verstehen, in einer multikulturellen Gesellschaft ohne Missverständnisse gut zusammenleben können.
Dieser Artikel wurde im Schreibtandemprojekt geschrieben