Antworten auf diese und weitere Fragen geben Axel Richter und Lavanya Honeyseeda von der „Volksinitiative gegen Rüstungsexporte“ aus Hamburg. Die beiden Aktivisten sprechen über ihre Forderung nach Abrüstung innerhalb des Hamburger Hafens, über die deutsche Militärpolitik und über Möglichkeiten, Frieden in kleinen Schritten doch umzusetzen
Sie beide sind Künstler – wie machen Sie sich mit Ihrer Kunst für den Frieden stark?
Axel Richter: Für mich ist die Kunst seit Jahren das einzige Mittel, mich für den Frieden einzusetzen. Es hat etwas mit Emotionalität zu tun und die Kunst gibt etwas zurück, nämlich einen Resonanzraum. Und Kunst spricht die Menschen an. Natürlich sind wir dabei auch angreifbar, denn wir befinden uns oftmals in einem ungeschützten Raum und das mit einer ganz sensiblen Aussage. Kunst ist immer auch Risiko.
Wenn man Kunst aus diesem Blickwinkel heraus anschaut, dann kann Kunst etwas verändern. Das ist mein Anspruch, mit meiner Kunst Menschen zu erreichen. Das können Politiker sein, das können Kinder sein, das können also alle Menschen sein. Wichtig ist, dass man Anschluss findet – mit sich und der Welt.
Lavanya Honeyseeda: Kunst hat einfach die Fähigkeit, Menschen auf einer ganz anderen Ebene zu erreichen, eine viel subtilere, emotionale Ebene. Man muss sich mit Kunst nicht unbedingt auskennen – es geht ja meist darum, was einem persönlich gefällt, was einen anspricht und berührt. Je weniger die Kunst materiell ist, desto mehr kann sie auch auf dieser emotionalen Ebene wirken. Dieser Prozess läuft oftmals unterbewusst wie von selbst. Das ist eine sehr besondere Fähigkeit der Kunst.
Wenn man die Kunst mit Inhalt, beziehungsweise mit Wissen verbindet, entsteht eine Leichtigkeit, die letztendlich in Resonanz mit dem Herzen des Betrachters geht. Da kann die Kunst wirklich etwas transformieren. Sie kann den Menschen berühren und das auf einer sehr tiefen Ebene. Auf einmal wird dem Betrachter vielleicht etwas klar, was er vorher so bewusst gar nicht wahrgenommen hat. Es geht vor allem darum, zu handeln. Wir haben unglaublich viel Wissen und wir wissen eigentlich auch, was zu tun ist. Auf alle unsere Fragen gibt es Antworten. Jetzt ist es an uns, zu reagieren.
Wie kam es zur Gründung des Friedensnetzwerkes?
Axel Richter: Die Hamburger Plattform für Frieden ist als ein Bündnisnetzwerk entstanden. Das hat sich nach einer großen Friedenskonferenz ergeben, die ich als Leiter des KunstHauses am Schüberg, einer Einrichtung des Kirchenkreises Hamburg-Ost, organsiert habe. An dieser Konferenz haben über 200 Friedensaktivisten teilgenommen. Es gab Vorträge, Musik, Diskussionsrunden und Netzwerkarbeit. Das war im Jahr 2016. Es waren so viele tolle und interessante Menschen mit dabei, dass wir uns danach die Frage gestellt habe: Warum nicht ein Netzwerk daraus machen?
Netzwerk bedeutet für mich, sich regelmäßig zu treffen und auszutauschen. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass wir alle so etwas wie Bündnispartner sind, das heißt, wir können keine gleiche Zielvorgabe geben. In diesem Netzwerk engagieren sich also verschiedene Gruppen: Z.B. die Initiative Bundeswehr abschaffen, es gibt die BOB, also Bildung ohne Bundeswehr, und auch Verdi ist mit dabei ebenso wie die GEW, die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Es sind alle die, die sich für Frieden stark machen.
Welche Forderungen stellt das Friedensnetzwerk Hamburg?
Axel Richter: Rüstungsexporte im Hamburger Hafen stoppen – das ist unser Auftrag, den wir mit vielen Mitaktivisten haben. Seit mehr als drei Jahren bereiten wir uns mit weiteren Bündnispartnern langsam vor, um dies im Rahmen einer Volksinitiative durchzusetzen. Wir haben jetzt am 9. Oktober die erste öffentliche Auftaktveranstaltung der Volksinitiative gegen Rüstungsexporte durchgeführt. Wir wollen, dass aus dem Hamburger Hafen keine Exporte mit Munition oder Waffen rausgehen. Das ist natürlich eine klare Ansage gegen die Rüstungswirtschaft.
Alleine in Hamburg und Umgebung gibt es mehr als 90 Rüstungsfirmen, was viele gar nicht wissen. Die Situation ist ernst, wir befinden uns hier nicht in einem Schlaraffenland, sondern in einem ziemlich brutalen Zustand. Deswegen nutzen wir die Möglichkeit, regional vor Ort, aber auch weltweit ein Zeichen zu setzen. Wir wollen alle Hamburger unter folgendem Motto erreichen: Den Hamburger Hafen zu einem zivilen Hafen zu machen!
An welche Länder gehen denn dieser Waffen- und Munitionsexporte?
Axel Richter: Die gehen an die Nato, an die EU und über 30 Prozent der Waffen werden an Entwicklungsländer geliefert. Und sie gehen auch an Staaten im Nahen und Mittleren Osten wie Saudi-Arabien, Ägypten oder die Vereinigten Emirate. Also an Länder, wo Waffen nun wirklich nicht hingehören. Viele Rüstungsgüter gehen in Länder, in denen die Bedingungen für Ausfuhrgenehmigungen nicht so ernst genommen werden. Sie gehen auch in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten oder Minderheiten unterdrückt und vertrieben werden oder von denen Krieg ausgeht.
Grundsätzlich gilt ohnehin, dass jede Kugel und jede Waffe ihre Opfer finden und den Tod oder Zerstörung bedeuten kann. Und genau da setzt die Volksinitiative gegen Rüstungsexporte an. Wir wollen, dass in dem dreistufigen Verfahren der Volksgesetzgebung Hamburg seiner in der Verfassung definierten Rolle als „Mittlerin des Friedens“ gerecht wird und per Landesgesetz die Transporte durch den Hafen verbietet. Jeder Mensch kann diese Initiative unterstützen oder unterschreiben und so aktiv zum Frieden beitragen.
Frieden bezeichnet im politischen Sprachgebrauch den allgemeinen Zustand zwischen Staaten, in denen Konflikte ohne Gewalt ausgetragen werden. Wie würden Sie den Begriff Frieden in eigenen Worten definieren?
Axel Richter: Das ist schwierig zu beantworten. Es ist sicherlich auch die innere Berührung mit sich selber. Ich glaube, Frieden ist, wenn ich mich nicht mehr als ein isoliertes Wesen oder Individuum fühle, das immer nur mit der äußeren Welt konfrontiert wird, sondern dass ich auch eine Verbindung zu diesem Außen aufbauen kann. Das kann man jetzt christlich oder auch geistig nennen. Wichtig ist jedoch, dass ich einen Zusammenschluss habe, also dass es auch eine Resonanz gibt. Ja, so würde ich das Thema Frieden künstlerisch beschreiben: Ein Resonanzraum, der sich auch in das Unendliche weiten kann, so dass ich dadurch ein Mitgefühl und eine Empathie bekomme.
Lavanya Honeyseeda: Dem stimme ich zu. Konflikte müssen auf eine andere Art und Weise außer mit Gewalt gelöst werden. Die äußere Welt ist immer der Spiegel der inneren Welt. Das bedeutet, dass man an jeden einzelnen Menschen appellieren muss, wenn man das Thema Frieden wirklich an der Wurzel packen und übergreifend wahrnehmen und etwas verändern möchte. Jeder Mensch ist also aufgefordert, zu sich nach innen zu schauen. Denn meiner Meinung nach steckt da die Wurzel von Krieg und zugleich das Potential von Frieden. Wenn wir nicht fähig sind, mit uns selbst im Frieden zu sein, wie sollen wir dieses Thema dann nachhaltig in die Welt bringen?
Da sind wir auch schon bei der nächsten Frage: Wo fängt Frieden an – bei uns selber?
Axel Richter: Ja, bestimmt bei uns selber, vielleicht aber auch in einem Milieu. Denn wenn ich beispielsweise als Kind in einem Milieu großwerde, in dem ein Friedensbemühen vorhanden ist, dann prägt mich das ja positiv. Wir müssen uns an dieser Stelle immer die Frage stellen: Von wem gehen wir aus? Von dem erwachsenen Menschen, der schon unzählige Narben mit sich trägt? Oder aber von den Kindern? Wir sind mitverantwortlich für unsere Gesellschaft und unsere Gesellschaft muss solche Bereiche schaffen – in der Gesetzgebung, aber auch im Ausgleich, in der Diplomatie. Das ist das Eine. Und dann muss man diesen eigenen biographischen Weg auch im Freien und in Frieden gehen.
Was sind denn aktuell die häufigsten Auslöser für diese Konflikte und Kriege?
Axel Richter: Ganz klar: Der Kampf um Ressourcen und um Ressourcensicherung, immer mit den Fragen im Hintergrund: Wer kommt durch, wer überlebt, wer ist der Stärkere?
Lavanya Honeyseeda: Es geht vor allem um Macht. Einer möchte immer überlegener sein als ein anderer. Natürlich geht es auch – wie Herr Richter gesagt hat – um Ressourcen, um den eigenen Profit, um das eigene Überleben.
Axel Richter: Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, dass sich die Erde acht Mal im Jahr verbraucht. Dieses Ergebnis haben wir mit Corona, mit dem Klimawandel und mit den Kriegen, die einfach nicht aufhören, weil sie immer nachgefüttert werden. Denn: Menschen im Krieg zu halten, ist doch wunderbar. Sie sind beschäftigt, sie knallen sich gegenseitig ab. Das ist die traurige Wahrheit.
Sollten sich Staaten politisch und militärisch in Krisenherde einmischen?
Axel Richter: Nein, sie müssen sich rausnehmen, definitiv! Das ist eine riesige Chance gewesen, die wir jetzt mit Trump nicht genutzt haben. In dieser Zeit hätte man ein ganz anderes europäisches Selbstbewusstsein aufbauen können. Auch den Kontakt zu Russland hätte man stärken können. Natürlich ist Russland auch ein Aggressor. Aber warum sind wir alle nur auf Trump fixiert? Ja, natürlich haben uns die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg gerettet, aber auch die Russen haben ihren Teil dazu beigetragen, die sind nach Deutschland rein und haben die Drecksarbeit gemacht. Mehr als 20 Millionen Bürger der Sowjetunion verloren ihr Leben im Zweiten Weltkrieg. Das ist eine Sache, die leider immer wieder ausgeblendet wird.
Ist weltweiter Frieden eine Utopie?
Lavanya Honeyseeda: Es ist natürlich unbequem, wenn man sich tatsächlich die Frage stellt: Was kann jeder Einzelne dazu beitragen, in einer friedlicheren Welt zu leben? In Hinblick auf unsere Ressourcen bedeutet dies, dass wir uns alle ein anderes Leben aneignen müssten. Und das ist natürlich mehr als beschwerlich. Wir müssten uns alle extrem einschränken. Wir haben uns so an diesen Lebensstandard gewöhnt, einen extrem luxuriösen Lebensstandard, der jedoch überhaupt nicht von der Welt getragen werden kann. Er ist also eigentlich gar nicht möglich. Durch unsere Gewöhnung an diesen Luxus ist der Einzelne tatsächlich nicht dazu bereit, sich selber einzuschränken, sich selber zu begrenzen, denn dann wird es mehr als unbequem. Vor dem Hintergrund dieser Fakten, würde ich schon sagen, dass weltweiter Frieden eine Utopie ist, ja.
Die deutsche Bundeswehr ist aktuell mit fast 4.000 Soldaten in 14 verschiedenen Einsätzen auf drei Kontinenten und zwei Meeren präsent – wie stehen Sie und Ihre Organisation zu diesen Militäreinsätzen?
Axel Richter: Ich persönlich bin komplett dagegen. Deutschland könnte ganz, ganz anders wirken. Es wird zwar immer wieder gesagt, dass wir Allianzen bräuchten. Wenn beispielsweise die Franzosen in den Krieg ziehen, dann laufen wir einfach hinterher. Das ist doch wahnsinnig! Das ganze Thema ist mehr als komplex und wir müssen uns mit diesen komplexen Strukturen auseinandersetzen. Man muss sich immer weiterbilden und sich Hintergrundwissen aneignen. Über die Tagesschau allein bekommt man dieses Wissen mit Sicherheit nicht.
Woher bekommt man dieses Hintergrundwissen denn dann?
Axel Richter: Ganz klar: Über Netzwerke. Die Netzwerke sind voll mit wissenden Menschen. Die Mitglieder haben es drauf, die wissen auch über die Komplexität Bescheid, was zum Beispiel im Nahen Osten wirklich passiert. Das wissen wir normalen Menschen doch alles gar nicht, wie die politischen Strukturen dort wirklich sind, was dort so abgeht.
Wie stark sind Frieden und Sicherheit in Europa derzeit bedroht?
Axel Richter: Der europäische Frieden und die europäische Sicherheit sind aktuell massiv bedroht. Aber das läuft im Stillen ab. Vor kurzem ging es los mit den Nato-Manövern direkt an der russischen Grenze in Richtung Estland und das über unsere Transportwege. Ich finde, das ist eine Katastrophe. Wir könnten ganz anders arbeiten. Wir spielen immer so auf Abschreckung und Sicherheit, aber das hat überhaupt nichts mit Frieden zu tun. Und irgendwann kommt dann die große Rechnung, das ist sicher.
Warum sind Sie persönlich Pazifist?
Lavanya Honeyseeda: Für mich ist das der Sinn des Lebens. Ich bin doch hier, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auch wenn ich nur ein kleines Stückchen dazu beitrage und auch wenn es nur in meinem Umfeld ist. Man kann das mit einem Samen vergleichen: Ich sähe das, was ich selber ernten möchte.
Axel Richter: Es ist Dankbarkeit und die Einsicht, dass jeder Krieg neue Kriege produziert. Es hat noch keinen Krieg gegeben, der etwas in Frieden verwandelt hat. Mit meiner Dankbarkeit schaue ich nach innen – ich kann atmen, ich kann mich bewegen – warum spreche ich diese Dinge jemanden anders ab?
Lavanya Honeyseeda: Ja, Dankbarkeit ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Ich denke, jeder hat in seinem Leben etwas, wofür er dankbar sein kann. Und wenn wir uns auf diese Dankbarkeit ausrichten, dann wollen wir mit dem, was wir tun, auch etwas zurückgeben, eben weil wir beschenkt sind. Und wenn wir von Krieg und Frieden sprechen, dann sprechen wir immer auch von Liebe. Denn was ist das Gegenteil von Krieg? Für mich ist es Liebe.