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Brasilien – Religionsfreiheit nur auf dem Papier

In Brasilien garantiert die Vrefassung die Freiheit aller Religionen, doch es herrscht eine grße Intoleranz gegenüber des Islam. Er ist durch verbale und tätliche Angriffe gegenüber Mitgliedern der Glaubensgemeinschaften gekennzeichnet. Unser Autor Leonardo stammt aus Brasilien und erzählt uns von der Situation dort.

Brasilien - Religionsfreiheit nur auf dem Papier

Wie die Angriffe begannen

Cesar Kaab, ein ehemaliger Rapper, der zum Islam konvertiert ist, begibt sich zur Moschee Sumayya Bint Khayyat. Ein einfaches Gebäude, zwei Stockwerke hoch in der Favela Cultura Fisica, im Viertel Embu das Artes im Umland des Molochs Sao Paulo. Unten wird ein Imbiss für orientalisches Essen betrieben, oben gibt es einen großen Gebetsraum, wo an jedem Freitag die Muslime der Gegend zusammen kommen, um zu beten und die Zeit mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zu verbringen. Seitdem die Medien und Vertreter der politischen Klassen die Verbindung zwischen der muslimischen Gemeinde und den Terrorismus verstärkt haben, steigt die Zahl der Fälle von Intoleranz, Diskriminierung und Angriffen gegen die Muslime in Brasilien.

Cesar erzählt, dass die Angriffe bereits Jahr 2015 anfingen. „Uns hat ein Scheich besucht, ein hoch angesehener Mann in der arabischen Welt. Er wollte sich unsere Arbeit in der Favela anschauen. Unsere anfängliche Idee war hier eine Kita und eine Moschee zu betreiben. Ein Tag nach dem Besuch klingelte mein Handy gegen fünf Uhr morgens. Ich bekam einen Link über einen Artikel in der Zeitschrift VEJA (der Spiegel in Brasilien) mit dem Titel „ Ein Dschihadist in Brasilien“. Dort wurde unser Besucher als Anwerber für den IS bezeichnet. Mein Foto mit ihm stand darunter, Mitten in der Favela. Danach wurden wir in den sozialen Medien massiv angegriffen. Die Terrorakte, die außerhalb von Brasilien geschehen, kommen auf uns zurück. Unsere Moschee wurde schon Ziel von Steinwürfe oder Menschen schrien „Terroristen“ im Vorbeigehen (1).“

In einer Untersuchung der Tageszeitung „Folha de Sao Paulo“ (hoch angesehen) wuchsen die Fälle der religiösen Intoleranz um 171% zwischen Juli und Oktober 2019.

Die Geschichte von der Mutter Gilda de Ogum

Bereits vor 20 Jahren starb die Iyalorixa Gildasia dos Santos e Santos. Sie war bekannt als „Mutter Gilda de Ogum“ und war eine Angehörige der afrikanisch-brasilianischen Religion Candomble. Sie wurde Opfer eines Anschlags auf den Candomble-Tempel Ile Axe Abassa de Ogum, in der Nähe des Abaete-Sees im Viertel Itapua in der Hauptstadt von Bahia, Salvador. Der Tempel wurde durch fundamentalistische Mitglieder der Freikirche „Universum des Reichs Gottes“ verwüstet. Gildas Mann wurde dabei brutal zusammengeschlagen. Etwa zwei Monate später publizierte die Hauszeitung der Freikirche ein Foto von Gilda mit der Überschrift: „Scharlatane schädigen das Leben und das Portemonnaie von Kunden“. Als Gilda das las erlitt sie einen schweren Herzinfarkt und starb mit 65 Jahren am 21. Januar.

Dieses Datum wurde 2007, Jahre später, durch den damaligen Präsidenten Lula zum offiziellen Tag gegen die religiöse Intoleranz deklariert. 14 Jahre später gehören die Angriffe, die Mutter Gilda getötet haben, noch zur Realität der Angehörigen der afrikanischen Religionen. Allein im ersten Semester 2019 wurde ein Anstieg von 56% der Fälle religiöser Intoleranz verzeichnet, verglichen mit der gleichen Zeitspanne des Vorjahres.

Wir brauchen alle Werkzeuge des Rechts

Jamila Prata, eine 31-jährige Geografielehrerin wurde verbal angegriffen, als sie vor einer Freikirche in Vila Sonia, Sao Paulo, vorbeiging. Als Novizin des Candomble trug sie, wie vorgeschrieben, weiße Kleider und einen weißes Kopftuch. „Ich hatte gerade Brot geholt und als ich in die Nähe der Kirche kam standen einige Leute vor der Tür. Sie sagten recht laut „Gott, schütze uns vor diesem Teufel. Sie schauten mich an und einige sagten „verbrenne sie Gott“.“ Luciana de Oya, Priesterin des Ile Oba Axe Obodo in Sao Paulo sagt „Unsere Verfassung garantiert die Freiheit aller Religionen und um die Intoleranz zu bekämpfen müssen die Gemeinden ihr Wissen über die Rechtsprechung vertiefen. Wir brauchen alle möglichen Werkzeuge des Rechts, um uns zu verteidigen. Sehr viele Menschen wissen das nicht und das zu ändern ist ein Teil meiner Arbeit in der Candomble-Gemeinde.“

In einer Studie des CEBRAP, schrieb der Soziologe Milton Bortoleto (2): „Die Ursachen der religiösen Intoleranz sind komplex. In einer ersten Schicht herrschen die Vorurteile der Katholiken, 96% der Bevölkerung, gegen die nicht Christlichen. Als Minderheit werden sie als Ungläubige betrachtet, ihre Anwesenheit und Stimme im öffentlichen Raum werden durch eine kleine und extrem konservative katholische Gemeinde als negativ empfunden, sie haben nicht dieses Ausdrucksrecht.“

Europa als Vorbild einer Nation

Trotzdem werden andere nicht christlichen Religionen, wie der Buddhismus, relativ in Ruhe gelassen, anders als die afrikanischen-brasilianischen Religionen in Brasilien. Das zeigt, dass der Rassismus in der Wurzel des Problems steckt. Die brasilianische Mittelschicht schaut auf Europa als Vorbild einer Nation und strebt danach, weiß zu sein. Alles was an Afrika erinnert wird abgelehnt. Letztendlich bedeutet die religiöse Intoleranz den Versuch die Bedeutung des afrikanischen Kontinents in der nationalen Identität zu minimieren. Die afrikanischen Religionen hinterließen ein kulturelles Erbe und haben geholfen zu bilden was wir sind. Sie sind in der Musik, im Tanz, der Gastronomie und anderen Aspekte vertreten. Über viele Jahre haben wir Brasilianer geglaubt, wir seien ein offenes und tolerantes Land, wie eine großzügige Mutter, die jeden aufnimmt ohne zu fragen, woher er kommt und welche Farbe er hat. Lagen wir nur falsch oder wollten wir die Wahrheit einfach nicht sehen?

Quellen

(1) Erschienen im Blog BRASIL DE FATO, 21.01.2019

(2) Erschienen im Blog CIDADANIA des Instituts CLARO 16.01.2020            

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Leonardo De Araujo
Leonardo De Araujo, geboren in Rio de Janeiro, Brasilien lebt seit etwas mehr als 30 Jahren in Deutschland, vorwiegend in Hamburg. Nach einigen Berufsjahren in Werbeagenturen hat er 35 Jahre in der Fernsehproduktion gearbeitet. Nebenbei hat er sich auch als Drehbuchautor und Fotograf beschäftigt – und für das Flüchtling-Magazin, heute kohero, geschrieben.

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