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Schreiben im Exil: Interview mit Fouad Samier Yazji

Fouad Samier Yazji ist ein Schriftsteller aus Homs, Syrien. Seine religionskritischen Texte zogen politische Verfolgung und Flucht nach sich. 2015 kam er mit einem Stipendium nach Deutschland. In Passau schreibt der heute 62-Jährige nun an einem neuen Roman über Religion und Liebe –Themen, die ihn schon immer am meisten beschäftigen.

Schreiben im Exil

Im muslimisch-sunnitisch geprägten Syrien wurde Fouad Yazji 1959 in eine christlich-orthodoxe Familie hineingeboren. Mit 20 Jahren entschied er sich, Atheist zu werden. Seither beschäftigt ihn das Thema Religion. Nach einem Pädagogik-Studium und erfolgreichen Teilnahmen an Schach-Wettbewerben begann er zu schreiben. Yazji verfasste Texte über die arabische Aufklärung, stellte Gott und Allah in Frage. Der Autor musste aus Syrien fliehen und strandete im Exil. Zunächst für zweieinhalb Jahre in Kairo, wo er als Englischlehrer arbeitete. Aber das war einfach nicht das Richtige für ihn. In seiner Verzweiflung wandte Yazji sich mit einer E-Mail an das deutsche Goethe-Institut. Denn zu Deutschland hatte er eine besondere Verbindung: Das Denken des Friedrich Nietzsche ist ihm schon immer eine große Inspiration gewesen. So sehr, dass er sogar einen Roman über den Philosophen geschrieben hatte. „Die blaue Wolga“ handelt von einem Maler, dessen Leben sich durch Nietzsches Werk drastisch ändert.

Und nicht nur das Leben seines Protagonisten, auch Yazjis Leben selbst hat sich drastisch geändert. Das Gothe-Institut reagierte auf seine Mail und holte den Autor tatsächlich mit einem Stipendium nach Deutschland. So war er von 2015 bis 2018 Teil des „Writer´s in Exile“-Programm des deutschen PEN-Zentrums („Poets, Essayists, Novelists“). In der PEN-Anthologie „Zuflucht in Deutschland. Texte verfolgter Autoren“ veröffentlichte Yazji den Text „Religiöse Skepsis und Atheismus in der islamischen Welt. Eine Skizze”.

Doch darauf, dass auch seine fünf weiteren, in Syrien erschienenen Romane ins Deutsch übersetzt werden, wartet Yazji bis heute: „Die Zähne des toten Mannes“, „Eine Chance für das Trugbild“, „Die blaue Wolga“, sein neuestes Werk „Liebe und die Revolution“ und „Die sieben Gebete der Liebe“, das auf Foulabook schon mehr als 30.000 Leute gelesen haben. Auch auf Facebook hat der Autor eine begeisterte Followerschaft für sich gewinnen können.

 

Du hast immer ein kleines Notizbuch bei dir, für spontane Gedanken. Was ist das letzte, das du dort reingeschrieben hast?

„Wenn ich am Rande meines Grabes stehe, werde ich sagen: Eines Tages habe ich geliebt.“


Was brauchst du zum Schreiben?

Tatsächlich bin ich nicht der Typ Autor, der mit einer Tasse Tee und Papier am Tisch sitzt. Die Worte überkommen mich wie eine fesselnde Inspiration und ich kann kaum durchatmen. Manchmal werde ich ohnmächtig vor Erschöpfung, nachdem ich einen Text geschrieben habe, erstaunt, dass ich so glücklich bin. Also habe ich immer ein Notizbuch für Texte bei mir. Und irgendwann füge ich diese Texte dann zu einem Roman zusammen.


Wann bist du am kreativsten?

Wenn ich alleine an der frischen Luft bin. Wenn ich dort stehe, fasziniert das Meer, den Wald oder den Schneesturm betrachte, fühle ich einen komischen, besorgniserregenden Ruf aus den Tiefen meiner Seele und eine gefährliche, rätselhafte Welle überkommt mich. Ich habe das Gefühl, als ob mich jemand suchen würde und ich versuche, diese Person aufzuspüren, aber wir beide finden uns nicht… Also renne ich erfolglos von einem Ende dieser Leere zum anderen. Ich stürze mich dem Wasser oder den Bäumen entgegen und breite meine Arme aus, aber nichts als eine Illusion hält mich. Niemand kommt zu mir, ich umarme nichts als das Echo. Auch wenn ich mir sicher bin, ganz nah dran zu sein, können meine fünf Sinne nichts greifen. Weder mein Herz noch ich können uns von diesem Wahnsinn erholen, bis mir schließlich Tränen in die Augen steigen.


Du wurdest als Kind christlich-orthodoxer Eltern geboren. Wie bist du dazu gekommen, mit 20 Jahren Atheist zu werden?

Damals waren meine Freunde Kommunisten. Mich persönlich hat die Diktatur des Proletariats nicht angesprochen. Aber es hat mich darauf gebracht, dass Gott eine große Lüge ist… Ich war fasziniert. Ich habe viel gelesen, viele verschiedene Dinge. Also habe ich angefangen, mich auf Werke zu konzentrieren, in denen die Existenz Gottes in Frage gestellt wird. Denn zwei große Fragen haben mich beschäftigt: Wenn es Gott gibt, wo ist er dann hergekommen? Und: Die Bibel, der Koran und die Tora sind so umfassend. Warum gibt es in keinem der Bücher auch nur eine Zeile, in der es heißt: „Gott existiert und der Beweis dafür ist […]“?


Brauchen Menschen vielleicht einfach Glauben – auch wenn nicht bewiesen ist, dass es Gott wirklich gibt?

Ja. Religionen entspringen den primitiven Gedanken der Menschen. Und das hat mit der Zeit zugenommen. Menschen müssen „ausgetrickst“ werden, um glücklich zu sein. Denn alles ist bloß eine Illusion.


Deine Inspirationen waren Shakespeare, Nietzsche und viele atheistische Werke (wie von Rumi, Maárri und Rawandi). Das war wohl eher ungewöhnlich für jemanden, der in Syrien lebt? Wie kam es dazu, dass du all das gelesen hast?

Ja, tatsächlich haben nur wenige andere diese Texte gelesen. Das Lesen ist mir in die Wiege gelegt worden. Wenn man mich fragt, warum ich lese wie andere essen, antworte ich: Weil ich mein Verdauungssystem geerbt habe. Außerdem hatte ich das Gefühl, übermächtig zu werden, dass ich Dinge wusste, die andere nicht wussten. Das hat mir gefallen und mir die Augen zu wahrer, großer Liebe geöffnet. Aber das wichtigste war mein tiefes Verlangen nach der Wahrheit… Und ich hatte das Gefühl, dass das Lesen die Seele belebt und das Licht erleuchtet. Ein Haus ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele.

Buddha hat gesagt: ,Wer ein Haus baut, wird zur Tür und zum Fenster.‘ Das soll bedeuten, dass jemand, der nur materialistisch denkt, selbst zum Material wird. Und Kazantzakis hat gesagt: ,Wer ein Haus baut, wird Gott nicht zu Gast haben.‘ Das bedeutet: Wird jemand, der den ganzen Tag hinter Wänden, Fenstern und Türen verbringt, zartsinnige Gefühle haben?

Ich hatte das Gefühl, mit Wissen könnte ich die Welt erobern. Aber jetzt, 40 Jahre später, habe ich das Gefühl, dass die ganze Welt über mich triumphiert und dass ich selbst keinen einzigen Cent in meiner Tasche habe.


Welches Buch von jemand anderem hättest du selbst gern geschrieben?

Der Urgroßvater von Youhanna Yazji, der jetzt als Patriarch John X von Syrien bekannt ist, war einer der berühmtesten Autoren im arabischen Raum. Er war griechisch-orthodox und Teil der arabischen Aufklärung (Nahda) im 19. Jahrhundert. Er heißt Nassif Yaszji. In der Schule haben wir seine Bücher gelesen, Generation für Generation. Er hat ein Buch über einen sehr bekannten arabischen Dichter geschrieben, Al-Mutanabi. Aber er konnte nicht die ganze Wahrheit schreiben, weil Syrien damals von den Osmanen besetzt war. Dieser Dichter, der von Hundertmillionen Arabern verehrt wurde, war ein Atheist und sagte von sich selbst, besser schreiben zu können als die Verfasser des Korans. Tatsächlich wird das schon an seinem Namen deutlich. Denn der bedeutet „der, der die Prophetenschaft für sich beansprucht“. Dieses Buch würde ich gerne neu schreiben.


Bevor du nach Deutschland kamst, dachtest du, man würde dir dein Buch „Blaue Wolga“, das von Nietzsche handelt, aus den Händen reißen und sofort übersetzen. Wann hast du gemerkt, dass die meisten Deutschen Nietzsche gar nicht so gut kennen?

Als ich nach München gekommen bin, war ich in Schachclubs, Bibliotheken und Ausstellungen, auf Lesungen und Konzerten, wo ich mit Deutschen über Nietzsche geredet habe. Ich dachte, jeder würde verrückt nach ihm sein. Ich dachte, dass er deren Wein und Brot wäre, so wie er es für mich ist, und dass ich innerhalb einer Woche einen Übersetzer für mein Buch über ihn finden würde. Als ich herausgefunden habe, dass die meisten ihn nur aus der Schule kennen, war ich überrascht. Bis zur Erschöpfung habe ich immer allen gesagt: Das ist euer Prophet!

Aber dann habe ich mich an Nietzsches Worte erinnert: Tue deine Gedanken nicht öffentlich kund. In der Öffentlichkeit sind nur einfache Menschen. Also habe ich meinen Mund gehalten. Ich war verrückt.


Fühlst du dich, als würdest du im Exil sein?

Zu einhundert Prozent.


Was empfindest du jetzt, wenn du an Syrien denkst? Hoffnung, Trauer, Wut, …?

Früher dachte ich, dass es Syrien nie wieder gut gehen kann, dass diese Ruinen nie wieder aufgebaut werden können. Aber wenn ich mich jetzt an die kleine Renaissance im letzten Jahrhundert erinnere, denke ich: Das liegt daran, dass westliche Technologien nach Syrien gekommen sind, z.B. Maschinen, Medikamente, Flugzeuge, Autos, Handys. Das wird auch zukünftig noch weiter und viel stärker passieren, weil die Wissenschaft in Europa und Amerika sich zügig weiterentwickelt. In fünfzig oder hundert Jahren wird Syrien wieder eine Renaissance erleben.


Würdest du nach Syrien zurückkehren wollen, wenn dort nur kein Krieg wäre?

Ich würde dort verhungern. Das Haus meines Vaters ist zerstört, das Auto gestohlen, das Geld verschwunden. Es gibt keinen Strom, kein Gas zum Heizen, keine Arbeit, keine Liebe, keine Schokolade.


Derzeit schreibst du an einem Buch über die Liebe in Zeiten von Krieg und Terror. Was denkst du: Gibt es in Zeiten von Krieg und Terror mehr oder weniger Liebe?

Niemand hört der Hymne des kleinen Baches zu, wenn der Sturm spricht… Aber ich bin mir sicher, dass es Liebende gibt, deren Herzen offen für Liebe sind, auch wenn die Zeit der Blumen vergangen ist und die Wiesen der Liebe durch den Ruin verhüllt sind.


Gibt es etwas, worüber du schon immer schreiben wolltest, aber bisher noch nicht die Gelegenheit oder ausreichende Inspiration zu hattest?

Ich möchte wirklich gern über das Leben des Mohammed schreiben. Ich meine seine wahre Geschichte, nicht die Erzählungen über Dschinns, Satane und Dämonen, um die es im Koran geht. Nicht darüber, dass er ein Prophet Gottes ist. Muslime berauben ihn seiner guten Taten. Zum Beispiel ist er derjenige, der den Koran geschrieben hat, aber es wird gesagt, das seien nicht seine Worte, sondern das Wort Gottes. Er war ein großartiger Militärführer, aber es wird gesagt, seine Siege seien die Siege Gottes. Ist er also bloß eine Maschine, die per Fernbedienung agiert?

Das Problem damit, so ein Buch zu schreiben ist, dass kein Verlag das je veröffentlichen würde. Und selbst wenn ein Verlag es doch tun würde, würde keine Bücherei es in seine Regale stellen. Und wenn doch, würden Extremisten die Bücherei sprengen… So ein Buch könnte aber ein guter (nicht-religiöser) Film sein.

 

Neben dem Schreiben eigener Bücher hat Yazji bereits Texte anderer Autor*innen vom und ins Arabische, Englische und Russische übersetzt. Gerne würde er das Schreiben und Übersetzen wieder zum Beruf machen. Bei Interesse oder Hinweisen kontaktiert Fouad Yazji gern per Mail: oder über Facebook .

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Autorengruppe
Clara Bettenworth
Clara studiert Politikwissenschaft an der Uni Hamburg und macht gerne Sport, vor allem Handball. Ihre größte Leidenschaft sind aber schon immer Worte gewesen. Am liebsten lernt sie in Gesprächen neue Leute kennen, um diese zu portraitieren. Denn: „Hinter jedem Menschen steht eine inspirierende Geschichte. Kohero bietet den Raum, damit diese Geschichten gelesen und gehört werden.“

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