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Schule und Bildung- ein Gespräch mit Fatima D.

Für Fatima ist Bildung die wichtigste Grundlage für die Zukunft, von der sie träumt. Fatima D. kommt aus Gambia und ist im Mai 2017 in Palermo angekommen. Sie gehörte zu den vielen minderjährigen Geflüchteten, die ohne Begleitung ihrer erwachsenen Familienangehörigen auf der Flucht sind. Im Jahr 2018 waren es nach Angabe von Unicef 12.700 Kinder, die unbegleitet nach Europa kamen. Unicef: Latest Statistics and Graphics on Refugee and Migrant Children.

Fatima D. im Konservatorium von Palermo

Jeden Tag telefoniert Fatima mit ihrer Mutter, die weiterhin ihre wichtigste Bezugsperson ist. Sie geht zur Schule und mittlerweile auch aufs Konservatorium, um sich ihre Zukunftsträume zu erfüllen. Fatima spielt Djembé und träumt davon, Sängerin zu werden.

„Ich heiße Fatima. Ich komme aus Gambia. Ich bin 19 Jahre alt. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Italien. Ich bin am 7. Mai in Italien angekommen. Seit ich in Italien bin, gehe ich zur Schule, um meinen Abschluss zu bekommen. Ich weiß nicht, wie die Dinge laufen, also wenn ich etwas lerne, wird es für mich besser werden. Ich habe keine Eltern hier, ich habe niemanden, der mir hilft. Aber es gibt Menschen, die mir zur Hilfe gekommen und in meinem Leben eine große Stütze sind, weil sie mich in die Schule gebracht haben. Es ist meine Entscheidung, ob ich zur Schule gehe oder nicht. Ich weiß, was ich im Leben will, und ich weiß auch, was ich in Zukunft sein will. Also bin ich mit ihnen übereingekommen, zur Schule zu gehen. Ich mache meinen Abschluss, die terza media (vergleichbar mit dem Mittleren Schulabschluss in Deutschland).

Fatima über Mädchen

Für Mädchen wie mich ist es schwierig. Wir haben keine Zeit für alles Mögliche. Viele Leute sind unter Druck, Geld zu machen. Aber mein Freund sagt: „Du kannst deine Taschen leeren, um Wissen zu finden, und danach wird dein Wissen deine Taschen füllen.” Ich denke, es ist ein wichtiges Sprichwort, oder?

Insbesondere Mädchen – keine meiner Freundinnen geht zur Schule, keine. Leute gehen, aber wenige. Der einzige Junge, den ich zur Schule gehen sehe, ist der, über den ich gesprochen habe. Er geht mit mir zur Schule. Mädchen gehen nicht zur Schule, weil die meisten meiner Freundinnen sagen, sie seien nicht hier, um zur Schule zu gehen. Sie seien hier, um ihre Träume zu erfüllen. Aber wie kannst du deine Träume erfüllen, ohne etwas zu lernen? Ohne irgendwas zu wissen. Wenn du nichts weißt, wer wird dir eine Arbeit geben? Es ist unmöglich.

Fatima D. mit einer Freundin in Ballarò

Eine meiner Freundinnen hat keine Papiere. Sie haben sie abgelehnt, weil sie nicht zur Schule geht. Sie schläft immer, telefoniert, macht Kram. Und wenn sie zu der Kommission geht, hat sie nichts darüber zu sagen, was sie in ihrer Freizeit gemacht hat, seit sie in Italien angekommen ist. Sie hatte nichts vorzuweisen, also haben sie ihr halt einen Negativbescheid gegeben. Und meine Freunde geben diesem und jenem die Schuld.

Ich rate meinen Mädels immer: „Ihr könnt immer noch Freizeit haben und etwas Gutes damit anfangen. Wir können einfach nicht draußen rumhängen und uns selbst etwas vorführen. Das wird uns nicht helfen. Denn eines Tages wollen wir alle etwas sein. Es ergibt keinen Sinn.”

Früher ging ich zu terza media und am Nachmittag machte ich irgendwas, ich traf Freund*innen, lief herum, ging in irgendwelche Orte, ich saß einfach rum. Ich sagte zu mir selbst: „Macht das Sinn? Was tue ich? Nein, ich kann so nicht weitermachen!”

Fatima über Unabhängigkeit

So kam es, dass ich mich voll auf die Schule konzentrierte. Ansonsten hätte ich einfach geschlafen oder auf mein Handy geschaut. Und das ergibt für mich keinen Sinn. Ich habe mich bestraft. Ich habe keine Zeit. Ich bleibe nie zu Hause. Aber das passiert nicht für jetzt, wir machen das für später, später wirst du Unabhängigkeit haben. Ich sage nicht, dass du niemanden brauchst. Aber das hat Grenzen. Ich hasse es, wenn – wir können nicht alles wissen, wir helfen einander – aber ich hasse es, wenn ich nach allem fragen muss, nach jeder Kleinigkeit. Wie meinen Namen schreiben: Wie soll ich meinen Namen schreiben? Und es ist alles vor deiner Nase, aber trotzdem musst du fragen. Wenn du nicht lernst, wird dir das passieren. Ich erlebe das jedes Mal, wenn ich rausgehe: einfache Dinge, einfache Anweisungen, die Menschen wie ich nicht umsetzen können. Sie wollen es einfach nicht wissen.

Fatima über das Lernen der italienischen Sprache

Auch die Sprache zu lernen, ist wichtig. Du willst ja schließlich arbeiten. Und wenn du nicht zur Schule gehen willst, um die Sprache zu lernen, kannst du ja italienische Freunde treffen oder so. Wir wissen nicht, wohin wir kommen, und wir alle wollen in guten Händen enden. Wenn wir uns nicht jetzt organisieren, wird es nur schlimmer. Dort, wo ich jetzt arbeite, helfen sie Migrant*innen wie mir einen Job zu finden oder ihren Lebenslauf zu schreiben. Sie haben mich auch gefragt, ob ich Freund*innen habe, die ihren Lebenslauf schreiben wollen oder ein Praktikum machen wollen, sodass wir zusammen unseren Lebenslauf schreiben können. Manchmal übersetze ich. Ich bin nicht gut in Italienisch, aber ich gebe mein Bestes. Also manchmal übersetze ich einfach. Manche von ihnen sind seit drei Jahren hier, einer sogar seit elf Jahren, und sie sprechen kein Italienisch. Er will es nicht sprechen. Es ergibt keinen Sinn.“

Interview mit Fatima D. am 12. Juni 2019 in Palermo

Dieses Interview wurde auf we-refugees-archive  veröffentlicht.

 

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