kohero: Am 29. November 2020 startete eure Social-Media-Kampagne #feminisumusistdieantwort in Deutschland. Drei Schwesterstiftungen aus den Ländern Georgien, Armenien und der Ukraine sind an der Kampagne beteiligt. Wie kam es zu dieser besonderen Zusammenarbeit? Und warum habt ihr euch für eine Social-Media-Kampagne entschieden?
R. Bartusch: Die Idee, eine Social-Media-Kampagne zu machen, kam von unseren Partnerinnen. Sie haben erzählt, dass Feminismus bei ihnen einen unglaublich schlechten Ruf hat – auch wegen der Kirche. Die orthodoxe Kirche ist in den Ländern noch wesentlich präsenter und stärker als die evangelische oder katholische Kirche in Deutschland. Sie sagen „Feministinnen zerstören die Familien“ oder „Dass Feminismus was Westliches ist“. Westliches ist immer sehr negativ konnotiert. Alles was aus dem Westen kommt, zerstört die eine eigene georgische oder armenische Kultur. Sie sagen aber gleichzeitig, dass es nicht so ist als würden sich Frauen nicht emanzipieren. Oder als gäbe es nicht auch LGBT-Menschen in den Ländern, die dafür arbeiten, sich durchaus sehr georgisch oder armenisch fühlen und die traditionellen Werte leben wollen. Unsere Partnerinnen meinten, dass wir da mal was machen müssen, damit die Leute verstehen, dass das überhaupt nichts Westliches ist und gegen die ureigene Kultur geht.
Für Social Media haben wir uns entschieden, weil wir dort diese Zielgruppe leichter erreichen.
Der Hashtag #feminismusistdieantwort ist gar nicht so in den anderen Ländern vorhanden. Wir haben zwar einen Look. Aber die Inhalte sind in jedem Land anders.
Anmerkung: Armenien startet ihre Kampagne aufgrund des Konflikts in der Region Bergkarabach erst am diesjährigen internationalen Frauentag, am 8. März 2021.
kohero: In einem eurer Newslettern berichtet ihr davon, dass die Frauen aus Armenien und Georgien gegen EINE transnationale Kampagne und für VIER nationale Kampagnen waren. Was waren die Gründe dafür? Und war euch das vorher bewusst?
R. Bartusch: Nein. Die Leiterin, meine Kollegin Katrin Wolf, hat das ganze Projekt so entwickelt, dass es eine transnationale Kampagne wird. Als sie das Konzept mit den Schwesterstiftungen geteilt hat, hat sie gemerkt: „Okay, das könnte vielleicht nicht klappen.“
Ein Beispiel, was es sehr deutlich gemacht hat, war die Frage: „Wie redet man über Kirche?“ Ich finde, dass die Kirchen gar nicht mehr so eine Meinungsmacht in Deutschland haben. Die sind für mich gar nicht mehr so präsent. Ich kann über die Kirche anders reden, ich kann sie theoretisch in manchen Punkten sogar als Verbündeten sehen, wenn es um bestimmte Fragestellungen gibt. Es gibt lesbische Pastorinnen, die lesbische Paare trauen.
Das haben wir so von der deutschen Seite ins Spiel geworfen und dann kam aus Georgien: Die Kirche ist der Feind! Die Kirche geht gar nicht! Wisst ihr denn, wie die über uns reden? Für die sind wir der Antichrist! Die verteufeln uns! Es gab keine Vorstellung davon, wie die Themen Feminismus und Kirche zusammenkommen können. So wie es in Deutschland sicherlich nicht flächendeckend ist, aber schon möglich. Da war für mich ganz klar, wir kommen nicht zusammen. Das ist wirklich erst im Laufe dieser Workshops so richtig raus gekommen.
Ein anderer Punkt war das Westliche, weil wir als Deutsche in der Suppe drin sind und wir einfach die Geldgeber sind. In den anderen Ländern hätte man darauf hingewiesen, dass die Kampagne oder eine ähnliche Kampagne in anderen Ländern stattfindet. Sie wollten nicht den Anschein haben, dass es etwas ist, das aus Deutschland, einem westlichen Land kommt. Und sie, die Kampagne, nur weiter verbreiten. Auch wenn es jetzt so gar nicht gewesen wäre. Es wäre ja trotzdem eine Gemeinschaftsarbeit gewesen. Aber wirklich sagen zu können, das sind unsere georgischen, ukrainischen oder armenischen Inhalte war ihnen schon wichtig.
Kohero: Was sind für dich persönlich Fragen, die mit dem Hashtag #feminismusistdieantwort beantwortet werden?
R. Bartusch: (lacht) Ich muss jetzt mein Jeopardy! Beantworten? Für mich sind das ganz viele Fragen. Für mich ganz persönlich ist es die Frage „Wie möchte ich mein Leben leben?“ Ich war die Jahrgangsemanze und fand das nicht so schön. Meine Eltern haben mich zu einer selbstständig denkenden und auch irgendwie kleinen Feministin erzogen, womit ich damals gehadert habe. Natürlich wollte ich auch, dass mich mal ein Junge toll findet. Das hat manchmal nicht so funktioniert, wenn man zu doll eine eigene Meinung hatte. Für mich hat sich die Frage „Wie möchte ich mein Leben leben?“ beantwortet, als ich feststellte, dass es aber okay ist und ich alles Mögliche sein kann.
Das Bild von Feministinnen ist ja meistens eine Klischee-Vorstellung von der Emanze. Sie ist auf jeden Fall humorlos und trägt nie Make-up. Das tue ich auch nicht. Aber ich habe lange Haare und trage mit Hingabe kurze Röcke. Und das ist okay. Feminismus heißt für mich nicht, es gibt nur eine bestimmte Art und Weise mein Leben zu leben. Sondern eben gerade, dass ich aus der Vielzahl an Optionen, das für mich am besten passende Leben zusammenstelle. Ich wollte ein Kind, aber es ist vollkommen okay, wenn sich eine andere Frau entscheidet, dass sie kein Kind möchte. Ich will versuchen zu arbeiten und ein Kind zu haben. Aber es ist genauso okay, wenn eine Frau sagt, sie möchte so lang ihre Kinder klein sind, nur Hausfrau und Mutter sein. Es gibt eigentlich keine unemanzipierte Wahl, auch wenn sie vielleicht traditionell ist wie z. B. Hausfrau und Mutter. So lange es wirklich aus einer selbstbestimmten Position heraus geschieht, ist es Feminismus. Als Gesellschaft oder Individuum müssen wir noch wahnsinnig viele Sachen umlernen. Aber das war für mich die Antwort.
Ich merke gerade warum das nicht funktioniert hat, weil das nicht in einem kurzen Post zu beantworten ist.
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kohero: Wann und wie kamst du eigentlich mit dem Thema Feminismus in Kontakt?
R. Bartusch: Bei uns zu Hause gab es die Emma. Und ich bin tatsächlich so mit 16/17 durch meine Eltern mit dem Thema in Berührung gekommen. Ich bin ein Ostkind, was im Westen aufgewachsen ist. Ich hatte eine arbeitende Mutter. Hier auf dem Land war das überhaupt nicht normal – eine Vollzeit arbeitende Mutter und einen Vater, der arbeitssuchend zu Hause sitzt. Also wirklich in verdrehten Rollen. Wenn mein Vater Arbeit hatte, waren ja beide außer Haus. Das war auch speziell. Und einfach zu merken: Aha, das ist gar nicht der Standard. Meine Mutter hat sich dann stark mit dem Thema auseinander gesetzt, weil sie selbst in ihrer Arbeit auf einmal so Sachen gesagt bekommen hat, die hat sie im Osten nie gehört wie: Oh, sie haben schon Kinder? Sie haben schon so alte Kinder?“ Meine Mutter hat mich mit 20 bekommen. Das war im Osten total normal zu der Zeit. Damit hatte sie mit 36 eine 16-jährige Tochter. Ich habe mein Kind mit 36 bekommen und bin total typisch.
Das hat durch meine Eltern so angefangen und ist schleichend reingekommen. Es gab sicherlich Zeiten, in denen ich das nicht als erstes über mich erzählt hätte, aber es war immer irgendwie ein Thema. Ich habe in Berlin Literatur studiert und habe auch da immer irgendwie mir Frauen oder feministische Themen ausgesucht ohne eine große Absicht zu verfolgen. Seitdem ich ins Berufsleben getreten bin und eher durch Zufall bei Terre de Femmes angefangen habe, würde ich sagen: „Ja, ich bin Feministin.“
Kohero: Sind für dich die Themen Frauen, Frauenrecht und Feminismus denn deutlich erkennbar in den sozialen Medien? Oder muss da noch mehr gemacht werden?
R.Bartusch: Das ist ein Bubble-Problem. Wenn ich jetzt den Twitter-Account von filia aufmache, dann sind sie sehr präsent. Aber das hat was damit zu tun, wem ich folge. Ich folge vor allem Menschen aus der Frauenrechtswelt, generell aus der Menschenrechtssphäre, anderen Organisationen oder einzelnen Aktivistinnen. Ich folge auch von den Medien her eher progressiven als konservativen Medien. Die sozialen Medien sind ja so gesehen immer kuratiert.
Wenn ich sehe, wie es in anderen Bubbles aussieht, merke ich, dass die Themen aber überhaupt nicht präsent sind. Ich würde sagen, dass Feminismus und Frauenrechte in den sozialen Medien genau so wie in der analogen Welt behandelt werden. Es ist halt kein großes Thema, was schockierend ist, wenn man bedenkt, dass es 50 % der Weltbevölkerung angeht.
kohero: Was hältst du von Beauty-Bloggerinnen, Insta-Models und dem Bild, das viele Frauen und auch Mädchen von sich in den sozialen Medien vermitteln?
R. Bartusch: Kurzer Disclaimer: Ich habe keine Ahnung von Beautyblogger*innen. Aber das wenige, was ich mitbekomme, bekomme ich über unseren Kooperationspartner Benefits Cosmetics mit. Benefits Cosmetics ist sehr pink und das ist okay. Ich bin immer vorsichtig Make-up grundsätzlich als antifeministisch zu bezeichnen, denn das ist es nicht.
Wie sich Mädchen und Frauen darstellen, ist problematisch, wenn ich das vorsichtig ausdrücken darf. Also immer noch und das ist nicht nur auf Instagram so, sondern überall in den Medien. Letztendlich folgen sie weiterhin dem patriarchalischem Diktat. Das sagt, dass unser Äußeres wesentlich entscheidender ist als das, was wir im Kopf haben. Was ich schade finde, ist, dass es anscheinend immer mehr auf Jungs übergreift. Da habe ich den Eindruck, dass es auch bei denen einen enormen Druck gibt.
kohero: Welche Vorteile siehst du in den sozialen Medien gegenüber z. B. analogen Veranstaltungen?
R.Bartusch: Es ist tatsächlich die Reichweite. In den sozialen Medien ist es leichter, in den Austausch zu gehen, weil man keine lange Mail schreiben muss. Man kann einfach was unter einem Post schreiben und ich kann darauf reagieren. Es hat ein gewisses Gefühl von Unmittelbarkeit.
kohero: Und umgekehrt: Welche Gefahren siehst du?
R. Bartusch: Ich habe letztens einen Beitrag von einem Youtuber gesehen zum Thema „Wie soziale Medien sind und was sie für die Vereinsamung unser Gesellschaft bedeuten“. Sein Interviewpartner meinte, wenn die sozialen Medien die erste Station in der Fahrt sind, dann ist das gut. Wenn sie genutzt werden, um sich kennenzulernen, um dann irgendwann ins Offline zu gehen und sich dort begegnet, dann ist das gut. Sie sollten niemals die letzte Station auf der Fahrt sein. Als Organisation ist es nicht so wichtig, Leute draußen zu treffen, aber für uns ist die Unterstützung wichtig. Ein Like auf Facebook ist toll, aber dieser Like muss auch irgendwann zur Spende werden.
kohero: Habt ihr während eurer Kampagne oder bereits vorher Erfahrung mit Hatern gemacht? Wie geht ihr damit um?
R.Bartusch: Filia selbst hat gar keine Probleme mit Hatern. Was ich fast schlecht finde, weil das heißt, dass wir nur in unserem netten kleinen Unterstützer*innenkokon sind.
kohero: Folgst du Accounts oder kennst du Websiten, die sich mit dem Thema Frauen auseinandersetzen und jeder kennen sollte?
R. Bartusch: Da würde ich natürlich sagen unseren tollen Projektpartnerinnen Paula Panke und Flamingo e. V. Wer ganz tolle Onlinearbeit macht ist Pinkstinks
Das ist fast eher was Privates, aber Antje Schrupp. Ich folge ihr privat auf Facebook und Twitter. Sie ist Journalistin und Publizistin und ganz spannend, weil sie sich auch mit Feminismus und Theologie beschäftigt. Sie postet eine gute Mischung aus „Arbeitsthemen“ und Privatem. Also sie postet auch mal ihr Frühstücksmüsli, was ganz amüsant ist.
Eine Sache, die ich auch toll finde, das ist wieder was Kirchliches, das ist Anders Amen. Das ist ein Youtube-Kanal von einem lesbischen Pastorenpaar, die in einer niedersächsischen Einöde Pastorinnen sind. Sie haben vor allem Videos zu LGBT in der evangelisch Kirche.
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