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Für sichere Fluchtwege: Ein Interview mit der Seebrücke Hamburg

Seitdem die Flüchtlingszahlen nach 2015 und 2016 wieder deutlich gesunken sind, hört man nur wenig über die aktuelle Situation auf dem Mittelmeer. Doch das Sterben geht weiter: Am vergangenen Wochenende sind mindestens 170 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen, ertrunken. Weitere 100 wurden am frühen Montagmorgen gegen ihren Willen in das Bürgerkriegsland Libyen zurückgedrängt, wo sie Folter, Vergewaltigung und Lebensgefahr ausgesetzt sind.

Auf dem Mittelmeer findet noch immer eine Tragödie statt – doch die Politik verschließt ihre Augen. Wie kann es sein, dass niemand für die europäische Abschottungspolitik und das bewusste Sterbenlassen zur Verantwortung gezogen wird? Lilli Janik hat darüber mit Christoph Kleine von der Seebrücke Hamburg gesprochen, die sich für sichere Fluchtwege und die Entkriminalisierung von privater Seenotrettung einsetzt.

Am Sonntag wird es wieder eine Kundgebung der Seebrücke Hamburg geben. Was sind eure Forderungen und Ziele?

CK: Die Situation auf dem Mittelmeer hat sich stark zugespitzt. Es sind allein am letzten Wochenende mindestens 170 Menschen ertrunken, und Rettungsschiffe dürfen nirgends mehr anlegen. Das ist eine untragbare Situation. Wir fordern, dass die Seenotrettung sofort wieder möglich ist. Wir fordern außerdem die Aufnahme der Geretteten. Vor allem durch die Kommunen in Deutschland, die sich dazu bereit erklärt haben, unter anderem Hamburg. Deswegen wünschen wir uns auch, dass der Hamburger Bürgermeister nicht nur allgemein seine Bereitschaft bekundet, Gerettete aufzunehmen, sondern jetzt richtig aktiv wird und gegenüber Seehofer und Italien auf den Putz haut.

Was entgegnet ihr Menschen, die argumentieren, Seenotrettung motiviere noch mehr Menschen nach Europa zu kommen?

CK: Das ist eine zynische Argumentation, die letztendlich sagt, dass es für das vermeintliche Interesse der Flüchtlingsabwehr in Ordnung ist, Tote in Kauf zu nehmen. Das ist aus unserer Sicht überhaupt nicht in Ordnung. Offenkundig stimmt es auch einfach nicht: Das einzige Resultat der Abschottungspolitik ist es, die Zahlen der Opfer nach oben zu treiben. Migration verhindern zu wollen – daran sind schon alle Staaten, die das in der Geschichte jemals versucht haben, gescheitert.

Wie kann man Druck auf die Politik ausüben?

CK: Es kommt darauf an, dass viele Menschen deutlich zeigen, dass sie nicht einverstanden sind. Außerdem muss es die Bereitschaft zu deutlichen Aktionen geben. Ich bin auch für ungehorsame Aktionsformen, wie beispielsweise Menschen zu verstecken, die von Abschiebung bedroht sind. Oder dafür zu sorgen, dass Menschen nach Europa kommen, auch wenn die offiziellen Wege das verbieten. Wir müssen breit protestieren und deutlich machen, dass unser Interesse, in einer menschlichen Gesellschaft zu leben, deren Migrationspolitik nicht auf Leichen aufgebaut ist, so stark ist, dass wir auch bereit sind, dafür ein persönliches Risiko einzugehen.

Nach dem Gesetz muss Schiffen, die in Seenot geraten sind, Hilfe geleistet werden.¹ Wie kann es sein, dass das einfach ignoriert wird?

CK: Im Recht manifestieren sich auch immer Machtverhältnisse und solange sich kein Gericht oder keine Institution findet, die dieses Recht durchsetzt, wird es nicht angewendet. Insofern richtet sich unsere Kritik auch nicht nur an die Staaten Italien und Malta, die ihre Häfen schließen, sondern auch gegen die Bundesrepublik Deutschland, die im Rahmen der EU einfach nichts tut. Sie ist zufrieden damit, dass sie nicht am Mittelmeer liegt und lässt Italien und Malta die Drecksarbeit machen.

Gehört dazu auch, dass Deutschland kürzlich aus der Mission Sophia ausgetreten ist?

CK: Insgesamt bin ich der Meinung, dass Militär im Mittelmeer nichts zu suchen hat. Ich denke, dass es bei der Verhinderung von Toten bei der Flucht nach Europa nicht notwendig ist, die Bundeswehr einzusetzen. Es gibt ausreichend zivile Rettungskapazitäten, die genutzt werden könnten. Viel wichtiger ist es aber, legale und sichere Fluchtwege zu eröffnen. Wenn wir das Mittelmeer überqueren, dann steigen wir auf eine Fähre, es gibt Rettungsboote und Rettungswesten. Alles wird für unsere Sicherheit getan. Mit dem gleichen Standard könnten auch Leute in die andere Richtung reisen und müssten nicht mehr in diese Schlauchboote steigen.

Glaubst du, dass sich durch die Seebrücke ein anderes Bewusstsein für das Thema entwickelt oder bereits entwickelt hat?

CK: Ich glaube, ganz viele Menschen haben ein Bewusstsein dafür, dass das was die Bundesrepubik und Europa da tut, grundlegend falsch und moralisch einfach durch nichts zu rechtfertigen ist. Und trotzdem schielt die Politik auf den rechten Rand und läuft lieber der AfD hinterher, als unserem Bedürfnis nach einer Gesellschaft zu folgen, die auf Solidarität und Menschlichkeit basiert. Ich glaube, wir müssen unbequemer und lauter werden, damit sich das ändert. Es sind viele Menschen auf unserer Seite, sie werden nur nicht ausreichend sichtbar.

Was können Menschen, die helfen wollen, tun? Wie kann man beispielsweise die Seebrücke konkret unterstützen?

CK: Die eigene Stimme erheben! Das heißt, zu Demonstrationen und Aktionen zu kommen, zum Beispiel zu der am Sonntag um 14 Uhr an den Landungsbrücken. Außerdem kann man helfen, dieses Bewusstsein zu verbreiten. Das kann heißen Flugblätter zu verteilen, Nachrichten zu teilen oder auch für die Seenotrettungsorganisationen zu spenden. Es gibt eine Palette an Möglichkeiten etwas zu tun. Das Wichtigste ist, einfach anzufangen.

Kundgebung am 27.01.2019, 14 Uhr, an den Landungsbrücken Hamburg

¹Informationen zu den rechtlichen Grundlagen für die Pflicht zur Rettung von in Seenot geratenen Menschen findet ihr im Beitrag „Seenotrettung ist Pflicht – was Menschenrechte schützt und bedroht“ von Angelika Willigerod Bauer.

 

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Lilli kommt aus Frankfurt am Main, lebt aber schon seit einiger Zeit in Hamburg und studiert hier Medienwissenschaften. Bei kohero leitet sie den Podcast „Multivitamin“. Ansonsten macht sie viel Musik – am liebsten Jazz und Soul. „Ich bin beim kohero Magazin, weil es mir Spaß macht, mit interessanten Menschen und spannenden Geschichten zu arbeiten. Außerdem hilft es dabei, die Meinungen, Probleme und Erfolge von Geflüchteten in unserer Gesellschaft sichtbarer zu machen.“

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