Das Thema Rassismus beschäftigt mich seit vielen Jahren. Als ich in meiner Heimat war, war ich der Ansicht, dass Rassismus zwischen weißen und schwarzen Menschen passiert. Allerdings hatte ich diese Meinung, ohne es selber erlebt zu haben. Erst als ich mein Land verließ, aber immer noch in Afrika war, habe ich das Gefühl bekommen, dass ich diskriminiert wurde. Ich versuchte oft, nicht darüber zu reden, weil ich dann zeigen würde, dass ich schwach bin. Und manchmal dachte ich, das ist bestimmt, was sie wollen, und ich würde ihnen nicht geben, was sie wollen. Mindestens nicht durch mich.
Seit meiner Zeit außerhalb meines Landes und seit meiner Flucht nach Europa hat sich meine Definition von Rassismus weiterentwickelt. Nicht nur schwarze Menschen, sondern viele Flüchtlinge (unterschiedlicher Hautfarbe) erleben Rassismus. Ich wusste: Wenn ich in Afrika diskriminiert werde, ist es nicht merkwürdig, dass ich es auch in Europa erlebe. Da ich aber nach Freiheit und Bildung suchte und mir sicher war, dass ich diese in Europa finden kann, habe ich mir gesagt, dass es sich lohnt, das in Kauf zu nehmen.
Sie haben im Bus den Platz gewechselt
Ich habe verschiedene Erfahrungen in verschiedenen Teilen von Deutschland gemacht: In der ersten deutschen Stadt, in der ich gewohnt habe, war es schon genug, eine Straße entlang zu gehen, um Rassismus zu erleben. Die Blicke, die mich getroffen haben war einfach hart. Manche Männer zeigten mir und meinen Freunden den Mittelfinger. Manche Menschen gingen mir aus dem Weg, wenn ich nach einer Adresse gefragt habe. Ich habe mir dort abgewöhnt, den Bus zu nehmen. Das erste Mal Bus gefahren bin ich mit sechs anderen Männern aus Eritrea und einem Afghanen auf dem Weg zu unserem A1-Deutschkurs. Zwei von uns haben sich neben zwei jugendliche Männer gesetzt. Die beiden haben sich die Nase zugehalten, so dass wir es sehen sollten, sind aufgestanden und haben den Platz gewechselt. Ich bin danach nie wieder Bus gefahren. Meine Kollegen haben damals gesagt, ich sollte mir eine „dickere Haut“ zulegen. Viele haben gefragt, warum ich ihretwegen nicht mehr Bus fahre. Aber für mich war es wichtig, mich auf das Lernen zu konzentrieren, nicht auf solche Leute. Ich wollte nicht ausprobieren, ob es nochmal passiert. Es war ein Erlebnis, was zu vielen anderen dazu gekommen ist und ich konnte es nicht einfach ignorieren.
Meine Definition von Rassismus hat sich verändert
Seitdem ich in Deutschland lebe, hat sich meine Definition von Rassismus vergrößert. Es sind ein paar Themen dazugekommen wie z.B., dass unsere Religion, Bildung und Kultur negativ bewertet werden. Ich versuchte darüber mit Deutschen, die mir nahe stehen, zu reden. Sie halfen mir sehr, mein Leben in Deutschland besser zu verstehen. Aber auch von ihnen habe ich ab und zu rassistische Wörter gehört, die ich nie vergessen werde. Das bedeutet für mich nicht, dass meine deutschen Freunde Rassisten sind. Das sind sie nicht! Aber sie haben ihre Meinung über mich/uns (als Afrikaner und Flüchtlinge) gezeigt und diese hat mich verletzt und mich traurig gemacht. Manchmal ist es schwieriger, zu vergessen was Menschen sagen, denen wir vertrauen, weil sie Freunde oder Familie sind. Ich möchte damit auch zeigen, dass man gleichzeitig rassistische Sachen sagen kann, wenn man Flüchtlingen hilft und ein guter Mensch ist. Es gibt Unterschiede zwischen „ein Rassist sein“ und „rassistische Sachen sagen“.
Hier in Hamburg hat mich zum Beispiel ein Türsteher aus einer Disko rausgeworfen, weil andere Gäste sich beschwert hatten, dass es einen Diebstahl gab. Vielleicht war der Türsteher kein Rassist. Aber sein Vorurteil, sofort den jungen schwarzen Mann zu verdächtigen, ist rassistisch. Als er vor allen zu mir sagte „RAUS!“ war mir das peinlich. Ich war verletzt und fühlte mich unfair behandelt. Warum bin ich eher verdächtig, als die (weißen) deutschen Freunde, mit denen ich tanzen war? Die Freunde, mit denen wir unterwegs waren, wollten trotzdem weiter tanzen. Ich sollte lächeln und einfach weitermachen. Als ich gesagt habe, dass ich lieber nach Hause will, versuchten sie, mich zum Bleiben zu überreden.
Und das ist eine wichtige Frage, wenn wir über Rassismus und Diskriminierung reden: Warum glauben mir andere meine Erfahrungen nicht?
Bitte erklärt mir nicht, was ich selber erlebt habe!
Für diesen Artikel hat Lilly mich bei unserem Treffen gefragt, welche Reaktionen helfen und welche nicht. Also: Wie sollten andere Menschen reagieren, wenn ich sage, dass ich Rassismus erlebt habe? Ganz klar: Die Antwort „sei nicht so sensibel“ ist keine Hilfe. Manche Menschen denken, sie helfen mir, wenn sie die Erklärung für eine Situation bei mir suchen. Wenn sie z.B. sagen „ja, aber vielleicht hast du in diesem Moment X oder Y gemacht“. Bitte erklärt mir nicht, was ich selber erlebt habe! Dann kann es passieren, dass ich gar nicht mehr erzählen möchte. Eine Erklärung kann helfen, wenn sie die Situation einordnet, z.B. wenn mir Menschen sagen „ich habe davon gehört, dass das schon mal passiert ist“. Das ist aber nicht das gleiche. Am meisten hilft es mir, wenn mir zugehört wird. Vielleicht ist die Situation schneller vorbei, wenn ich das Gefühl habe, man hört mir zu.
Meiner Meinung nach ist Rassismus das Niedermachen von anderen Menschen wegen ihrer Religion, Hautfarbe, Herkunft oder ihrem Bildungshintergrund. Das alles würde ich auch als Vorurteile bezeichnen. Daher sind diese Vorurteile meines Wissens nach ein Teil von Rassismus.
Dieser Text entstand im Rahmen unseres Schreibtandem-Projekts. Idris schrieb den Artikel in Zusammenarbeit mit Lilly Murmann