Es schafft uns ganz schön, aber wir schaffen so einiges!
Mai 2018. Viel ist passiert. Ich bin mit „meinen“ Jungs durch einige Höhen und Tiefen gegangen. Nachdem F. und B. im Sommer 2016 ihren Schulabschluss in der Tasche hatten, folgte ein Jahr mit Irren und Verwirren. F. ergatterte ein Platz in einer Stadtteilschule in der über 90% der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Wir freuten uns. Das passt doch. Eine super Chance. Gedankenlos – wie wir erfahren müssen, aber wer verschwendet in dem Moment einen Gedanken daran, dass Flüchtlinge, die gerade Deutsch lernen, Jugendsprache nicht verstehen? F. fragte mich hilflos: „Sie sagen immer Dicker, warum? Das ist nicht nett und sie sind nicht dick.“ Wie erkläre ich Jugendsprache mit ihrer ganz eigenen, kreativen Wortnutzung und oft extrem falschem Satzbau? Deutsche Erwachsene lachen darüber, F. erfuhr so erneut Ausgrenzung durch Sprache. Er nahm es mit Humor und scheinbar locker, aber Freunde fand er dort keine. Integration? Fehlanzeige.
B. suchte ein Ausbildungsplatz, u.a. mit Hilfe der Arbeitsagentur. Machte Praktika. Brach sie ab. Wollte sich nicht als kostenlose Arbeitskraft ausnutzen lassen. Wollte nur den einen Beruf lernen und keine Kompromisse machen. Misserfolge, Rückschläge, Depressionen, Rückenschmerzen. Er schlief nicht mehr. Bekam viel Druck von seinem Vater in der Ferne, der Geld verlangte für die Medizin der Mutter. Viel Geld. Er arbeitete schwarz. Ich war sauer, weil er alle Hilfe bekam und doch keine Absprachen einhielt.
„Irgendwann machte es Klick bei ihm“
Es war ein unbefriedigendes Jahr. Für alle. Irgendwann machte es Klick bei ihm und er ergriff endlich die ausgestreckte Hand mit einem Ausbildungsplatz bei Bekannten von Bekannten im Baugewerbe. Seit Sommer 2017 arbeitet er dort und sie sind sehr zufrieden mit ihm. Er fühlt sich gut dort. Die Berufsschule klappt auch und er schläft wieder durch. Auch sein Aufenthalt ist geklärt: Abschiebeverbot, wie bei allen jungen Afghanen, die ich inzwischen kenne.
F. schafft das Schuljahr, aber nicht die Prüfung. Ratlosigkeit bei mir, denn er hätte … wir hätten doch … Was? Und nun? Ich finde ein Praktikum für ihn bei einem Frisör bei mir um die Ecke. Nach einer Woche meinte dieser: F. könne bei ihm eine Ausbildung machen. Wow! Jippie! Und das macht er nun und ist sehr zufrieden dort. Ich besuche ihn regelmäßig im Salon, nur an meine Haare lasse ich ihn noch nicht …
A., unser erster Kontakt mit einem Flüchtling, hatte sich schon 2016 von uns zurückgezogen, aber ich weiß über ihn, dass auch er eine Ausbildung macht und dort gut und gerne arbeitet.
Ab September 2017 helfe ich einem 18jährigen Mädchen aus Ägypten mit ungeklärtem Status. Mit ihr, die fast ein Jahr ohne Betreuung sein wird, lerne ich alle Ämter kennen. Ich gehe mit ihr zur Erstaufnahme, warte trotz Termin, vier Stunden auf die Verlängerung ihrer Duldung, begleite sie zum Anwalt, ins BAMF und zu einem Termin bei „Children for tomorrow“, wo sie, wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, eine Psychotherapie macht. Seit einem knappen Jahr hat sie wieder eine offizielle Betreuerin.
Intensive Phasen und Zeiten ohne Kontakt wechseln sich ab
Ihre Geschichte bringt es mit sich, dass sie immer wieder abtaucht und wir monatelang keinen Kontakt haben. Bis sie dann plötzlich wieder von einer neuen Telefonnummer anruft und wir uns treffen, sprechen und lachen, als wäre nichts gewesen.
Das ist eine meiner wichtigsten Erfahrungen: Intensive Phasen wechseln sich ab mit Zeiten, oft Wochen, ohne Kontakt. Und wenn ich denke, okay, jetzt sind sie „groß“ ohne mich, ploppt der Kontakt wieder auf und ich treffe sie wieder.
So geht es mir auch mit M. aus Somalia, den ich ungefähr alle drei Monate, ins UKE begleite, wenn er wieder einen Kieferorthopäden-Termin hat und Verständigungshilfe braucht. Er traut sich oft nicht nachzufragen, wenn er etwas nicht versteht – wer kennt das nicht – und das ist nicht nur ein sprachliches Problem. Das Nachfragen übernehme ich dann für ihn.
Das Mädchen und M. aus Somalia waren Schüler meiner Freundin, die in einer IVK (Internationale Vorbereitungs-Klasse) Deutsch und Englisch unterrichtete und mich um Hilfe bat. Deshalb konnten sie auch schon einigermaßen gut Deutsch. Meine Freundin engagierte sich selbst, weit über ihre Lehrtätigkeit hinaus, für ihre Schüler*innen und ich konnte ihre Bitten um Mithilfe schlecht ausschlagen.
Nachdem es mit diesen Jungs und Mädchen ruhiger geworden ist, wurde ich auf das Flüchtling-Magazin aufmerksam. Und da ich ganz am Anfang, 2015, eigentlich nur Mails schreiben wollte, dachte ich mir: schreiben kannste ja, also warum nicht auch im Tandem mit Flüchtlingen?