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„Wir brauchen mehr Freiheit in unserem Glauben“.

Wer nach Freiheit ruft, muss auch Freiheit leben - meint der Autor dieses Kommentars, Hussam Al Zaher. Eine neue Fatwa zur Ehe von muslimischen Männern in nicht-muslimischen Ländern mit nicht-muslimschen Frauen, aktuell veröffentlicht vom syrischen Islamrat, spricht jedoch eine ganz andere Sprache. Hussam Al Zaher nimmt das zum Anlass, um wichtige Fragen zum Glauben und zur eigenen Entscheidungsfreiheit zu stellen. Ein Denkanstoß:

Am 29.10 habe ich eine neue Fatwa gelesen, die von dem Syrischen Islamrat in Istanbul veröffentlicht wurde. Eine Fatwa ist (nach der Definition vom deutschen Islaminstitut) eine Bestimmung oder ein Urteil von islamischen Gelehrten und Autoritäten. Oft wird es auch als “Rechtsgutachten” beschrieben, das Fragen des islamischen Rechts behandeln. Die wissenschaftliche Leiterin des Islaminstituts, Dr. Schirrmacher, schreibt: “Die Frage, die an den Gelehrten herangetragen wird, entspringt in der Regel dem Wunsch, in einer für den Fragenden zweifelhaften Angelegenheit von einer theologischen Autorität zu erfahren, was die Aussage des Koran, der islamischen Überlieferung (der Berichte über Muhammads Entscheidungen in bestimmten Fragen) oder, allgemeiner, der Sharia (des islamischen Gesetzes) zu dieser Frage ist, bzw. ob es in diesem Bereich eine verbindliche Handlungsanweisung für den gläubigen Muslim gibt.”

Beten für die Freiheit – aber Unfreiheit für eigene Entscheidungen?

Zurück zum Syrischen Islamrat: Viele syrische Imame, die in Istanbul leben, haben diesen im Mai 2014 gegründet. Diese Imame sind gegen die Assad Regierung und sie sagen, sie beten für die Freiheit. Die Fatwa, die jetzt veröffentlicht wurde, ist für muslimische Männer, die nicht in muslimischen Ländern leben. Damit meinen sie europäische Länder. Den Männern wird gesagt, sie sollen keine nicht-muslimische Frauen heiraten, sondern nur gläubige, muslimische Frauen.

Ich habe gelernt: Im Quran steht geschrieben, dass muslimische Männer Frauen heiraten dürfen, denen die Schrift gegeben wurde. Damit ist gemeint, dass sie Christinnen und Jüdinnen heiraten können, weil sie an Gott und eine heilige Schrift glauben. Der Syrische Islamrat hat aber eine ganz andere Meinung dazu. Ich kann einen Teil davon hier auf Deutsch beschreiben. Das Original ist auf Arabisch.

Fatwa auf Arabisch2

Sie schreiben, dass eine Heirat mit Frauen in nicht-muslimischen Ländern von Gelehrten verhindert wird wegen der schweren Schäden für die muslimische Familie,  die nach einer Scheidung folgen könnten.

Zum Beispiel:

  • “der Verlust der gerichtlichen Zuständigkeit für die Ehefrau und Familie und die Unfähigkeit des Ehemannes, sie aufgrund von Gesetzen und Bestimmungen, die gegen die Scharia verstoßen, zu befolgen, (…) insbesondere in den Bestimmungen der Familie und der Scheidung und des Sorgerechts”
  • “Angst um den Nachwuchs des muslimischen Mannes, sich aus der Nichtreligion zu erheben oder mit nicht-islamischer Ethik aufzuwachsen und sich an die sozialen Bedingungen und die Auswirkungen der Verletzung der Legitimität im Bildungsumfeld zu gewöhnen.”
  • “Der Schaden, den diese Ehe den Muslimen zufügt, und die Ausbreitung der Ehe nicht-muslimischer Frauen und die Unwilligkeit, sie zu heiraten.”

Eine einzige gemeinsame Antwort kann es nicht geben

Als ich diese Fatwa gelesen habe, habe ich mich an die Wahlkampfposter der AfD erinnert: “Neue Deutsche? Machen wir selber”. Der Syrische Islamrat sagt doch eigentlich: “Neue Muslime? Machen wir selber.” Ich finde, es ist der gleiche Gedanke.

Die syrische Facebook-Gruppe „Das syrische Haus in Deutschland“  hat eine Umfrage gemacht, ob die syrischen Menschen, die in Deutschland leben, für oder gegen diese Fatwa sind. Mit folgendem Ergebnis:

1450 sind gegen diese Fatwa

230 stimmen dieser Fatwa zu.

Ich frage hier:

Ist es wichtig, dass unsere Kinder Muslime werden, nur weil ihre Eltern Muslime sind? Oder können wir mit unseren Kindern gemeinsam und auch für uns selbst darüber nachdenken, warum wir Muslime sind? Was bedeutet Islam für uns? Warum brauchen wir den Islam mehr als andere Religionen? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Und jeder Mensch kann nur eine eigene Antwort finden. Ich glaube, eine einzige gemeinsame Antwort kann es nicht geben.

Wenn man nach Freiheit ruft, darf man nicht vergessen, diese Freiheit auch zu leben und nicht nur danach zu rufen. Wir brauchen mehr Freiheit in unserem Glauben und bei den Fragen, wie wir jetzt glauben sollen. 

In der Religion und im Islam ist die persönliche Beziehung zwischen Allah und mir als Mensch von Bedeutung. Lange schon glaube ich, dass wir als Gesellschaft zunächst mehr religiöse Freiheit brauchen, und Freiheit in unseren Traditionen. Danach können wir auch politische Freiheit finden. 

Wir sollten jetzt nach dem IS und den vielen Terroranschlägen über unser Modell des Islam nachdenken, nicht versuchen mehr Grenzen in unseren Gedanken aufzubauen.

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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