Geflohen über das Mittelmeer, über die Balkanroute, eingepfercht in Lastwagen, auf überfüllten Schlauchbooten, den Schleppern ausgeliefert.
Zu Fuß über endlose Straßen und Wege. Durch Zäune und Stacheldraht. Von Lager zu Lager. Die Heimat habt Ihr zurückgelassen, Eure Städte und Dörfer, Eure Häuser und oft auch Eure Familien.
Den Tod vor Augen, das Kind oder die Frau auf der Flucht verloren. Verzweifelt und traumatisiert, hoffnungslos und doch mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in Freiheit und Frieden und in Würde.
Angekommen in Europa. Es wird nicht mehr geschossen, es fallen keine Bomben mehr. Es gibt Essen und Decken. Menschen, die sich um Euch kümmern, und doch bleibt die Lage vielerorts bedrohlich. Es gibt keine Busse und keine Zelte. Die Grenzen sind dicht. Auch hier Zäune und Stacheldraht und robuste Polizei- und Militäreinsätze. Sommer 2015. Ihr wollt weiter nach Westen, nach Österreich, Deutschland, Schweden; das scheint unmöglich. Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat für syrische Flüchtlinge vorübergehend die Dublin-Regel aufgehoben. Flüchtlingen sollen vorerst nicht mehr dahin zurückgeschickt werden, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Internationale Medien berichten „Deutschland öffnet seine Tore“. Angesichts der zu erwartenden Flüchtlingsströme – man rechnet in Deutschland inzwischen mit bis zu 800.000 Flüchtlingen für das Jahr 2015 – sagt die deutsche Bundeskanzlerin: „Deutschland ist ein Sehnsuchtsort für viele Menschen auf der Welt“ und erklärt Ende August 2015: „Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden.“
Ich bin stolz auf mein Land und auf die mutige Kanzlerin.
Ihr seid voller Hoffnung und kommt doch nicht weiter in Richtung Westen. Tausende Flüchtlinge sitzen an der Grenze zu Ungarn und in Ungarn fest, teils unter menschenunwürdigen Bedingungen. Am Budapester Bahnhof hört man Rufe: „Merkel, Merkel“. Dann in der Nacht vom 04. auf den 05. September 2015 die erlösende Nachricht, dass, aufgrund der Notlage an der ungarischen Grenze, Österreich und Deutschland einer Weiterreise der Flüchtlinge in ihre Länder zustimmen.
Willkommen in Deutschland. Die Stimmung ist gut, die Hilfsbereitschaft ist groß. Es fehlt aber an Unterkünften. Die Behörden sind überfordert. Lange Schlangen vor den Registrierungsbehörden und Essensausgaben. Tausende ehrenamtliche Helfer sind im Dauereinsatz. Wir schaffen das, davon sind sie überzeugt. Erstaufnahmeeinrichtungen, Asylverfahren, Anhörungen, Bescheide. Notunterkünfte, ewiges Warten, manch zerplatzter Traum, manch bittere Enttäuschung. Abschiebungen, erschwerter Familiennachzug. Deutschland Sehnsuchtsland?
Die ersten Freundschaften. Man lernt sich kennen. Vielfalt der Kulturen. Gegenseitiger Respekt. Und dann endlich der Anerkennungsbescheid, die Duldung, die Gewährung von subsidiärem Schutz. Der Sprachkurs, Schule, eine Berufsausbildung, Schreiner, Elektriker, Journalist, die Fortsetzung eines im Heimatland begonnenen Studiums, zuhause in einer deutschen Familie, die eigene Wohnung, eine Landarztstelle in Brandenburg, Künstler treffen Künstler, orientalische Musik in Hamburg und Berlin, Essen aus dem Orient, gemeinsames Feiern. Menschen begegnen Menschen und zeigen Menschlichkeit. In Deutschland angekommen. Der Lebensalltag normalisiert sich, mit all seinen Herausforderungen und Rückschlägen. Jetzt müsst Ihr es schaffen, den Alltag zu meistern. Millionen wollen und werden Euch dabei helfen. Das erfahrt Ihr jeden Tag. Ihr spürt aber auch den immer rauer werdenden Wind, und immer wieder auch die Ablehnung, die Euch begegnet.
Wir, die hier unsere Wurzeln haben, müssen noch besser kommunizieren, welche Bereicherung Ihr für unser Land seid, kulturell und wirtschaftlich und wie wichtig gerade für Deutschland die kulturelle Vielfalt ist und bleibt. Ihr müsst uns dabei helfen und mit uns klare Positionen gegen jede Art von Gewalt beziehen. Nur so können wir gemeinsam auch die überzeugen, die jetzt noch Ängste haben vor allem Fremden. Zusammen schaffen wir das. Zusammen schaffen wir es, dass Ihr eines Tages sagen könnt: “ Wir sind angekommen, wir sind daheim“. Ihr und Eure Kinder.
Eure Zeitung ist ein wichtiger Beitrag zu Eurer und unserer Integration. Weiterhin viel Glück auf diesem Weg.
2 Antworten
Danke für diese Darstellung und den Aufruf, dass wir dem Gegenwind nur gemeinsam entgegentreten können, um Ängste abzubauen. Es ist nicht immer einfach, wir -beide Seiten- brauchen Geduld, Empathie und den steten Dialog. Nicht rausgehen aus dem Kontakt, dranbleiben, gemeinsam weitergehen – jeden Tag einen Schritt!
Ein sehr guter Artikel. Ich „arbeite“ seit über zwei Jahren mit Flüchtlingskindern in einer Folgeunterkunft und kann nur jedem sagen, wieviel Freude es macht, mit dankbaren Flüchtlingen zu tun zu haben. Man bekommt mehr zurück als man investiert. Es ist schade, dass viele Menschen eine Hemmschwelle haben, mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten. Von einer Änderung würde die gesamte Gesellschaft profitieren, weil dadurch überflüssige Ängste abgebaut werden könnten.