In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen Alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems Lama und Uschi.
DAS TANDEM
Mein Name ist Lama, ich bin 32 Jahre alt und komme aus Syrien. Ich bin in Edib geboren und in Aleppo aufgewachsen. Ich habe vier Jahre Jura studiert – und dann kam der Krieg. Aufgrund der politischen Situation konnte ich nicht mehr in Syrien bleiben. Ich entschloss mich zur Flucht und kam innerhalb von zwei Wochen nach Deutschland. Es war eine sehr schwere Zeit.
Ich bin Uschi (Ursula), 54 Jahre alt und in Hamburg groß geworden. Seit 35 Jahren fliege ich bei der Lufthansa als Flugbegleiterin. Mit meiner großen und bunten Familie bin ich seit einigen Jahren in Hamburg-Marienthal zuhause.
BHFI: Frau B., wann haben Sie angefangen, sich zu engagieren, direkt im Oktober 2015?
Uschi B.: Ja, ich bin da so reingerutscht. Man kann es auch Fügung nennen. Beim Gassi gehen mit meinem Hund begegnete ich einer Frau aus meiner Schulzeit. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, daß im Camp Jenfeld Moorpark jede Hand gebraucht würde. Sie traf bei mir gleich den richtigen Nerv. Ich fing an Kleidung auszugeben. Die Flüchtlinge kamen ja quasi in Flipflops und kurzen Hosen. Es war wirklich abenteuerlich am Anfang, aber wir Frauen brachten irgendwie System rein.
Lama H.: Es waren fast 800 Leute in dem Camp. Hauptsächlich Männer, einige wenige Familien und ich war die einzige alleinstehende Frau. Ich kam im Dezember nach Jenfeld und war mit 16 anderen Personen erst in einem Zelt und dann in einem Container untergebracht. Alle anderen Frauen hatten Kinder. Sie kamen aus Eritrea, Afghanistan, Iran, Syrien auch und aus Gambia, alle gemischt.
BHFI: Wie haben Sie beide sich kennengelernt? Sie sprechen Englisch, das ist sicherlich schon hilfreich im ersten Kontakt. Wie sind Sie aufeinander zugegangen?
Uschi B.: Ich merkte irgendwann, dass ich in der Kleiderkammer nicht mehr weitermachen kann. Es war harte körperliche Arbeit in diesem Verteilungscontainer. In der Gemeindeküche gab es ein paar deutsche Frauen, die mit den Flüchtlingen aus allen möglichen Ländern kochten. Denen habe ich mich angeschlossen. Lama war auch dabei.
Es war eine entspannte Atmosphäre – man macht etwas zusammen, redet dabei über alles Mögliche. Es gibt eine Vorspeise aus diesem Land und die Hauptspeise aus einem anderen Land und eine Nachspeise aus einem dritten. Die Frauen wollten uns natürlich immer etwas präsentieren, was wir nicht kannten. Und wir haben Spargel in der Spargelzeit präsentiert. Gegessen wurde an einer langen Tafel, es war wirklich schön. Lama fiel mir auf, weil sie schon sehr westlich angezogen war. Sie trug aber immer eine Mütze. Das passte gar nicht so richtig dazu.
Lama H.: Ich hatte einfach Angst, ohne Mütze zu gehen mit diesen vielen Männern im Camp. Ich bin zwar Muslima, aber nicht praktizierende Muslima. Meine Familie ist gemischt. Ein Teil kommt aus Armenien, der andere Teil aus der Türkei. Mein Vater mochte Kopftücher überhaupt nicht. Aber nachdem meine Mutter starb, (Lama war 13 Jahre alt) hat die Mutter meines Vaters durchgesetzt, dass ich ein Kopftuch tragen muss. „Sie muss ein Kopftuch haben, weil die Leute sonst nicht gut über sie sprechen“, hat sie zu meinem Vater gesagt und sich durchgesetzt. Zwar heiratete mein Vater nach zwei Monaten wieder – eine Frau ohne Kopftuch! – aber ich habe mein Kopftuch behalten, damit die Leute nicht über mich sprechen. Hier in Deutschland ist es ganz anders, jetzt habe ich meine Freiheit, ich kann machen, was ich will. Aber am Anfang, im Jenfeld Camp – das war ein schlechtes Camp für eine alleinstehende Frau. Die Mütze war Schutz für mich. Ich trug auch Oberbekleidung mit langem Arm. Die Männer und die Frauen guckten sehr, wie ich angezogen war. Sie fragten mich, ob ich eine muslimische Frau oder christliche Frau bin. Das hat mich echt böse gemacht.
Wie Mutter und Tochter
Uschi B.: Gemeinschaftlich zu kochen, war schon viel mehr nach meinem Geschmack, aber irgendwann dachte ich, ich möchte jetzt einen Menschen haben, um den ich mich richtig kümmern kann. Und ich habe dann (Blick nach oben ins Universum) gesagt, hallo, schicke mir mal den einen Menschen. Dann kam Lama. Ich fand sie total sympathisch und habe sie einfach gefragt, ob sie Lust hat, mit mir und meinem Hund spazieren zu gehen. Da hat sie mich einfach nur angelacht. Die Spaziergänge haben wir beibehalten und wurden immer bessere Freundinnen. Die englischen Sprachkenntnisse von Lama waren eine große Hilfe.
Lama H.: Mir ist Uschi schon in der Kleiderkammer aufgefallen, wir haben zwar gar nicht gesprochen, weil ich ein bisschen schüchtern bin. Ich hatte das Gefühl, sie ist nicht wie die anderen Frauen. Dann haben wir zweimal zusammengekocht und angefangen, miteinander zu reden. Ich habe ihr erklärt, warum ich immer eine Mütze trage. Wir sind nicht nur Freundinnen, sie ist wie meine Mutter. Am Anfang war es Freundschaft, aber ich hatte ein so gutes Gefühl. Sie hat mir so viel geholfen in meinem neuen Leben. Mit Wohnung, Deutschkurs und Klamotten. Sie macht so viele gute Sachen in meinem Leben.
Uschi B.: Aber nicht nur sie ist glücklich, ich bin es ja auch, dass ich endlich eine Tochter habe. Ich habe drei Jungs (in patchwork) und jetzt habe ich endlich auch ein Mädchen.
BHFI: Wie ist es, wenn man mit einem Schlag drei Brüder bekommt?
Lama H.: Yannis (der leibliche Sohn von Uschi, 21 Jahre alt) sehe ich am meisten. Die beiden anderen sind weiter weg. Er ist ein bisschen wie ein Bruder. Er ist so… open minded.
BHFI: Wann gingen denn die ersten Deutschkurse los?
Lama H.: Ich musste ein Jahr warten, bis ich einen richtigen Deutschkurs haben konnte. Dann hatte ich endlich einen Kurs am Steindamm.
Uschi B.: Sie war in einer furchtbaren Sprachschule am Steindamm, in der übelsten Ecke und auch abends bis 21.30 Uhr. Um diese Zeit anschließend noch nach Barmbek zu fahren, das ging gar nicht. So eine gut aussehende junge Frau abends in dieser Gegend. Wir haben dann sehr gesucht, bis Lama an einer ordentlichen Schule untergebracht war. Mit viel Hartnäckigkeit und ein Quäntchen Glück hat die Berlitzschule ja gesagt. Trotz Warteliste. Dann haben wir uns gesputet mit den Papieren und zehn Tage später war sie drin.
Lama H.: Bis dahin hatte ich A1 gemacht und vielleicht 20 Seiten auf B1. Und auf der Berlitz habe ich sofort auf B1 angefangen, das war schon ein bisschen schwer.
Uschi B.: Englisch war unsere gemeinsame Sprache, das ging aber so nicht weiter. Natürlich war das erst einmal ein Bruch in unserer Beziehung. Wir konnten vorher einfach über alles reden – das war plötzlich nicht mehr möglich. Es war schwer durchzuhalten, für uns beide. Aber total notwendig und dann ging es auch ziemlich gut voran.
Lama H.: Mit B2 kämpfe ich noch, den mündlichen Teil habe ich bestanden, den schriftlichen leider nicht. Wir sollten über „Schwangere Frauen“ schreiben. Ich weiß nichts darüber und kenne auch die Vokabeln dazu nicht. Ein anderes Thema war (stockt und sucht ein Wort) Kokain oder Drogen und davon weiß ich auch nichts. Ich hatte Schule und Praktikum zur gleichen Zeit und nirgendwo einen Platz zum Lernen. Das war einfach sehr schwierig.
Uschi B.: Dann habe ich gesagt, Du musst raus aus dieser Unterkunft in Barmbek, es war so wichtig, dass sie irgendwo mal die Tür zumachen und lernen konnte. Bei diesem Chaos zwischen Frauen und Kindern konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren.
„Mach‘ Dich schick, wir gehen jetzt zusammen dahin!“
Lama H.: Ich habe auch ein Problem mit Schlafen, ich kann nicht gut schlafen nachts. Das war echt Krise und so viele Leute um mich herum. Die Kinder schlafen gar nicht, die Frauen fangen morgens um 5.00 Uhr an zu quatschen.
Uschi B.: Ich habe mich auf die Suche nach einer Alternative gemacht und fand eine Kollegin, die Beziehungen zu einer WG in Altona hatte. Ein Zimmer war frei, wir haben alle Freunde mobilisiert, einer hat ein Bett gespendet, jeder auch irgendwas gegeben, damit das Zimmer schön eingerichtet war.
Lama H.: Ich konnte jetzt die Tür zu machen und lernen. Schon ein bisschen besser. Aber leider nicht zum Wohlfühlen. Ich will jetzt nichts weiter dazu sagen. Und dann kam das richtige Glück. In der Facebook-Gruppe von Uschi war wieder eine Kollegin und ich konnte endlich bei einer richtigen Familie wohnen.
Uschi B.: Diese Kollegin ist außerdem die perfekte Frau für Amtsgeschichten und Schriftliches. Das ist nicht so mein Ding. Für sie war es auch ein Gewinn, dass Lama kam. Lama kocht ja so gerne. Die Familie hat es geliebt, dass sie so schön mit syrischem Essen versorgt wurde. Außerdem hat Lama sich sehr wohl und behütet gefühlt. In dieser lebhaften Familie und mit deren Freunden und Nachbarn.
Dann haben wir es noch getoppt. Wieder kam ein Zufall zu Hilfe. Ich hörte von einem Bauprojekt in Fuhlsbüttel mit 74 sozial geförderten Wohnungen. Und da sagte ich zu Lama H.: „Mach‘ Dich schick, wir gehen jetzt zusammen dahin!“ Wir haben allen Charme aufgeboten und es hat geklappt, 50qm Erstbezug am Alsterwanderweg in Fuhlsbüttel.
BHFI: Eine schöne Wohnung, seit zwei Wochen die Arbeitsstelle bei Budnikowski…
Lama H.: Und jetzt möchte ich die zweite B2 Prüfung machen. Ich habe jetzt eine Nachhilfelehrerin, das hilft mir sehr. Und ich habe auch schon bei Budni Probearbeit gehabt, hat aber leider nicht funktioniert. Ich habe drei Tage zur Probe gearbeitet und war ein Tag zu spät, nur eine Minute, und sie haben mich nicht genommen. Dabei war ich krank (immer noch ein bisschen Empörung in der Stimme) ich hatte Schnupfen und Husten.
Uschi B.: Das war eine harte Schule – beim nächsten Probearbeiten war sie 10 min zu früh.
Lama H.: Ich weiß jetzt, dass es so wichtig ist, pünktlich zu sein, das wird mir nicht mehr passieren. Aber ich war echt krank (sie findet es immer noch ungerecht).
BHFI: Ich freue mich sehr, ich sage ganz herzlichen Dank. Ich bin sehr dankbar, was sie beide jetzt erzählt haben.
Wer Interesse an einer Patenschaft hat oder wissen möchte, wie Tandems entstehen, kann sich an Rose-Marie Hoffmann-Riem unter wenden.