„LÜ-GEN-PRES-SE! LÜ-GEN-PRES-SE! “ – Immer wieder sind die Rufe auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Berlin zu hören. Die ZDF-Moderatorin Dunya Hayali ist vor Ort und möchte sich mit den Teilnehmer*innen austauschen, doch auch bei direkter Kontaktaufnahme wird die Reporterin weiter angefeindet. Man habe sie als „Schlampe“ und „Lügnerin“ beschimpft. Sicherheitsleute greifen ein, doch die Lage spitzt sich weiter zu. Das Team ist gezwungen den Dreh abzubrechen.
Vorfälle wie diese sind schon längst keine Einzelfälle mehr. Überall in Deutschland berichten Journalist*innen von pressefeindlichen Beleidigungen und aggressivem Verhalten auf Demonstrationen. Körperliche Gewalt bleibt dabei keine Seltenheit. Pressevertreter*innen seien bespuckt, geschubst und attackiert worden.
„Es gab im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr einen extremen Anstieg der Anzahl an Gewaltfällen gegenüber Medienschaffenden bei der Berichterstattung“, bestätigt so auch Anne Renzenbrink. Die Journalistin arbeitet bereits mehrere Jahre bei der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen. Als Pressereferentin ist sie unter anderem inhaltlich für den Großraum Deutschland zuständig und dokumentiert die besorgniserregenden Entwicklungen. Insbesondere käme es bei „Querdenker“-Demonstrationen im rechtspopulistischen Bereich zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber Medienvertreter*innen. „Das sind auch Demonstrationen, die laut Veranstaltern für Grundrechte eintreten. Aber Pressefreiheit ist ein Grundrecht und wer Medienschaffende angreift oder sie in ihrer Arbeit behindert, greift dieses Grundrecht an“, erklärt Renzenbrink und verdeutlicht den Widerspruch.
Behinderungen bei der Berichterstattung
Bislang fehlt es in vielen Situationen häufig an ausreichenden Maßnahmen, um Medienschaffende effektiv zu schützen. Vor Ort muss die Polizei in der Lage sein, den Reporter*innen die Berichterstattung zu ermöglichen, doch diese seien oftmals überfordert gewesen. In einigen Fällen käme es sogar zu einer aktiven Behinderung der journalistischen Arbeit durch die Polizei. „Obwohl wir in den vergangenen Jahren eine Verbesserung erkennen können, kommt es immer wieder vor, dass manche Polizist*innen scheinbar nicht wissen welche Rechte Medien haben“, kritisiert Renzenbrink. Oftmals ließen die Beamten Medienschaffende bei Demonstrationen nicht durch Sperren, in manchen Fällen sprachen sie sogar Platzverweise aus oder drohten mit einer Gewahrsamnahme. Um diese Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden, gibt es bereits erste Kooperationen zwischen Polizeischulen und Journalistenverbänden, die mehr Verständnis schaffen sollen.
Doch Reporter ohne Grenzen fordert mehr: In unserer gesamten Gesellschaft müsse ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutsamkeit von Pressearbeit geweckt werden. Die Übergriffe seien Resultat einer medienfeindlichen Stimmung in unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen. Diese zunehmende Radikalisierung von Demonstrierenden gefährde die Pressefreiheit stark und dürfe nicht einfach von der Politik hingenommen werden. „Medienschaffende sind dazu da, um über diese Demonstrationen zu berichten. Das ist von öffentlichem Interesse und deshalb sollten sie auch frei arbeiten können.“
Einschränkungen durch Gesetze
Trotzdem kommt es immer wieder dazu, dass auch Gesetze oder Gesetzesinitiativen das journalistische Arbeiten bedrohen. So diskutiert die Politik momentan über den Einsatz von sogenannten „Staatstrojanern“ für die Geheimdienste. Dies würde bedeuten, dass verschlüsselte Kommunikation von bestimmten Personen überwacht werden dürfte. Für Reporter ohne Grenzen wäre dies eine Beschränkung der Pressefreiheit. Obwohl das Gesetz nicht gezielt darauf ausgelegt sei Medienarbeit zu behindern, fehle ein ausreichender Schutz für Journalist*innen und ihre Quellen. „Man muss sich als Quelle gerade bei extrem heiklen Themen darauf verlassen können, dass die Kommunikation sicher ist“, erklärt Renzenbrink. Eine Überwachung von journalistischen Gesprächen würde die Recherche erschweren und Menschen, die bereit sind sich zu kritischen Thematiken zu äußern, gefährden. Dabei seien eben diese Perspektiven nötig, um ein ganzheitliches Bild von Problematiken für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Renzenbrink verdeutlicht: „Medienschaffende und ihre Kommunikation müssen schützenswert sein“.
„Die Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft“
Ebenso müsse auch die Pressefreiheit an sich schützenswert bleiben und nicht als ein selbstverständlicher Zustand angesehen werden. Denn obwohl Journalist*innen sich hierzulande für ihren Beruf nicht in akute Lebensgefahr begeben müssten, zeige die Entwicklung des vergangenen Jahres, dass auch in einer Demokratie Beschränkungen bestehen blieben, die die Freiheit der Medienarbeit gefährde. „Die Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft“, betont Renzenbrink. Medienschaffende seien dafür verantwortlich, „den Mächtigen auf die Finger zu schauen“ und für einen ungehinderten Zugang zu Informationen über das gesellschaftliche Geschehen zu sorgen. Umso mehr müsse man darauf achten, die Pressefreiheit zu bewahren.
Quellen:
Interview mit Anne Renzenbrink
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