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Wie die Ausländerbehörde uns traumatisiert: Ein offener Brief

Mohammad Okasha, 34 Jahre alt aus Ägypten, promoviert an der Uni Leipzig und arbeitet als Netzwerk-Koordinator beim Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen e.V. (DSM). Er schreibt über Themen, die sich hier in Deutschland ereignen, vor allem wenn er auf einen Aspekt hinweisen möchte, den vielleicht einige übersehen oder ignorieren. In diesem offenen Brief geht es um traumatisierende Erfahrungen mit der Ausländerbehörde. Weil ihn schon kurze Gespräche dazu in Panik versetzen und er den Namen der Behörde nicht mehr sehen und schreiben kann, nutzt er im Text die Abkürzung AB für Ausländerbehörde.

Als Migrant, der seit über fünf Jahren mit der Ausländerbehörde (AB) in Leipzig zu tun hat und als Sozialbetreuer, der drei Jahre lang Unterkünfte für Geflüchtete betreut hat, die wiederum jeden Tag mit der AB Leipzig zu tun haben, kann ich gut einschätzen, was die AB mit uns als Migrant*innen und Geflüchtete, mit unseren Seelen und unserer Gesundheit macht.

Diese Geflüchteten haben Kriege, Verfolgung, gefährliche Fluchtwege, Unterdrückung und vieles mehr durch- und überlebt. Die meisten sind deswegen traumatisiert, oft ohne es zu wissen oder es sich eingestehen zu wollen. Trotzdem erzählen sie stundenlang darüber, dabei fühlen sie sich schlecht, vermissen ihre Heimatländer, ihre Familien und Freunde. Tränen füllen ihre Augen, wenn sie die Erinnerungen hervorrufen, die guten und die schlechten.

Sobald sie jedoch anfangen, über ihre Erfahrung bei der AB zu reden, bekommen die meisten von ihnen Herzklopfen und Panikattacken. Ein fünfminütiges Gespräch über die AB reicht, um den Augen den Schlaf zu verbieten. Fünf Minuten reichen, um die unbewussten Stress- und Unsicherheitsmuster sowie Anspannungen in ihren Körpern und Seelen zu aktivieren. Der eine erzählt über die Sachbearbeiterin, die wie eine Maschine arbeitet und keine Flexibilität zeigt. Die andere erzählt über die Willkür, die sie von ihrem Sachbearbeiter immer wieder zu spüren bekommt.

Angst prägt die Gesichtszüge

Ich sitze im Büro und muss nur einen Blick auf das Gesicht eines Bewohners werfen, um zu wissen, ob er wegen eines Briefs der AB zu mir kommt. Angst, Panik, Unsicherheit prägen seine Gesichtszüge. Meine zwei besten Freunde sahen sich sogar gezwungen, nach Westdeutschland zu ziehen, nachdem sie für länger als ein Jahr erfolglos mit der AB in Leipzig gekämpft haben. Einer von ihnen ist deswegen sogar im Krankenhaus gelandet.

Ich habe Revolution und Militärputsch überlebt, bin seit 2002 auf Demonstrationen, habe, seit ich 15 bin, mit angesehen, wie mein Vater jedes Jahr verhaftet wurde, habe zwei Massaker mit meinen eigenen Augen gesehen und Freunde auf Demonstrationen verloren. Trotzdem bin ich immer noch aktiv, erzähle in vielen Veranstaltungen über die ägyptische Revolution und zeige Filme und Bilder, die in mir diese schlimmen Erinnerungen hervorrufen. Dabei bleibe ich immer stark und kann am nächsten Tag meinen Alltag normal gestalten. Trauer und Wut sind natürlich da, aber das hat mich nie besiegt.

Ein Gespräch reicht, um in Panik zu geraten

Ein einziges Problem mit der AB Leipzig wegen meines Aufenthaltes und eines Antrags auf Familienzusammenführung hat es jedoch geschafft, mich aus der Bahn zu werfen. Nur ein Problem hat mich dazu gebracht, mich erstmals, seit ich in Deutschland bin, krank schreiben zu lassen, da ich weder arbeiten noch etwas leisten konnte.

Ich organisiere fast monatlich eine Veranstaltung über die Revolution, erzähle stundenlang von ihr und mein Trauma bleibt still. Ein fünfminütiges Gespräch über die AB reicht jedoch, um mich in Panik zu versetzen. Ich fühle die extreme Anspannung meiner Muskeln und meiner Psyche. Allein den Namen der Behörde kann ich nicht mehr sehen, deswegen benutze ich beim Verfassen dieses Texts eine Abkürzung.

Ich fühlte und fühle mich als Teil dieser Gesellschaft. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich viel engagiere, ehrenamtlich und hauptamtlich. Doch aufgrund der Probleme mit der AB hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, ich gehöre nicht hierher. Dieser Staat und dieses System verdienen mein Engagement und meine Energie nicht. Nur eine Sachbearbeiterin reichte, damit ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Deutschland arbeitsunfähig wurde.

Warum sind die Auswirkungen so groß?

Wir als Migrant*innen und Geflüchtete haben uns mit einer großen Hoffnung auf den Weg nach Deutschland gemacht: Sicherheit. Wir sind geflüchtet, da es in unseren Ländern nicht sicher ist, andernfalls wären wir nicht geflüchtet und hätten wir unsere Länder, Familien und Freunde nicht verlassen. Aber leider fanden wir hier eine sehr mangelhafte Sicherheit bzw. eine unsichere Sicherheit.

Wir werden hier zwar nicht verfolgt, aber uns wird stets damit gedroht, an den Ort, wo wir der Verfolgung ausgesetzt sind, zurückgeschickt zu werden. Wir werden hier zwar nicht von Polizist*innen oder Offizier*innen erschossen, jedoch leben wir stets mit der Angst, dass die Unterschrift eines Sachbearbeiters, EINE EINZIGE Unterschrift, uns in ein Flugzeug zurück in die Arme unserer Folterer befördert. Auf Arabisch sagen wir „Der Tod ist mir lieber als das Warten auf ihn.“ Deswegen hört man Geflüchtete oft sagen: „Der Tod in meinem Land ist mir jetzt lieber als diese seelische Folter, die die AB hier verkörpert.“

Wir brauchen Gerechtigkeit

Die AB traumatisiert uns. Die AB steht zwischen uns und der Integration. Denn sie sind es, die ständig an unsere Türen klopfen, die uns immer wieder daran erinnern, dass wir kein Teil dieser Gesellschaft sind. Die AB treibt viele Menschen in die Arbeitsunfähigkeit. Denn wie kann man arbeiten, leisten, produzieren, während die eigene Existenz bedroht ist?

Natürlich respektieren wir das Aufenthaltsgesetz. Aber wir respektieren nicht den großen Ermessensbereich einzelner Sachbearbeiter*innen, in dem der oder die eine mir eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und der oder die andere einen Ablehnungsbescheid. Wir brauchen Gerechtigkeit. Keine Maschinen, sondern Menschen brauchen wir, die erkennen und sich bewusst sind, wie ihre Arbeit das Leben, die Psyche und Gesundheit von Menschen aufbauen oder zerstören kann.

Wir brauchen wenigstens ein Beschwerdemanagement, um sicherzustellen, dass nicht nur einzelne Personen über unsere Schicksale entscheiden. Um sicherzustellen, dass Sachbearbeiter*innen nicht zu Göttern erhoben werden. Uns reichen die Götter, die uns vertrieben und das Leben schwarz gemacht haben. Wir brauchen keine anderen Götter.

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2 Antworten

  1. Ich finde die Art, wie in Deutschland mit Menschen kommuniziert wird generell sehr fragwürdig. In meinem vorherigen Job hatte ich einen syrischen Flüchtling unter meinen Kollegen. Er hat einen Brief vom Arbeitsamt bekommen, der in so schrecklichem Beamtendeutsch verfasst war, dass ich als Germanistik-Studentin Schwierigkeiten hatte, den Inhalt zu verstehen. Mein Kollege hatte Angst, etwas falsch gemacht zu haben und von der Polizei verhaftet zu werden – dabei war der Inhalt letztlich total trivial. Wie kann man so unmenschlich sein und Menschen, die vielleicht seit zwei oder drei Jahren in Deutschland sind, so einen Brief in einer solch unverständlichen Sprache zukommen lassen? Wie kann man überhaupt so unmenschlich sein, irgendeinem Menschen so unverständliche Briefe zu schicken? Ich glaube sofort, dass diese Angst vor einem dieser kalten Bürokratie hier, die das Individuum überhaupt nicht berücksichtigt, einen Menschen krank machen kann. Auch wenn es nicht viel hilft, möchte ich mich für die Art, mit der Geflüchtete in meinem Heimatland teilweise behandelt werden, entschuldigen.

  2. Danke für diesen sehr persönlichen Artikel! Selbst mir als Deutsche mit einem „ausländischen Freund“ geht es so! Höre ich das Wort Ausländerbehörde bekomme ich ein mulmiges Gefühl/ zeitweise sogar Angst was meinem Freund zustoßen könnte. Die Macht die von einzelnen Sachbearbeitern ausgeht fühlt sich überwältigend an- da sie ja nunmal am System sitzen. Ich finde auch, dass es dringend ein Beschwerdemanagement geben sollte! Ich habe leider erlebt, dass die Menschen dort keine Manschinen sind- sondern ihre politische Meinung in ihre Arbeit einfließen lassen und nie objektiv handeln!

    Beste Grüße

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