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Was ist das Deutsche? Ein Erklärungsversuch.

Trotz der Skandälchen und Riesenskandale sehen 63% der Deutschen die Marke VW als ein Symbol für das Deutsche schlechthin an. Das Weltauto schafft es sogar, den großen Denker und Lyriker Goethe und die Nationalhymne hinter sich zu lassen. Diese Zahlen gehen aus einer Studie hervor, die von Christoph Drösser, Autor der Wochenzeitung Die Zeit, und dem Forschungsinstitut YouGov in dem Buch „Wie wir Deutschen ticken" veröffentlicht wurde. Ausschnitte davon sind in der Online-Ausgabe der Zeit vom 10.08.2015 zu finden. Auch einige Klischees wurden in der Studie auseinander genommen:

Foto von Julia Von Weymann

Bei Kirschgrün gehen oder Wurzeln schlagen?

Die Korrektheit der Deutschen im Straßenverkehr ist ein Markenzeichen unseres Charakters. Man könnte meinen, eher würden wir vor einer kaputten Ampel verhungern, als bei Rot zu gehen. Die Umfrage fördert jedoch ein viel realistischeres und – nennen wir es mal – weltkonformeres Bild der Deutschen zutage. 71% der deutschen Fußgängern gaben zu, über Rot zu gehen, wenn der Verkehr es zulässt. Wie auch immer man das interpretieren mag …

Die wohltemperierte Currywurst

Der weltbekannte Ruf als „Volk der Dichter und Denker“ galt über viele Jahre als unumstößlich und so gut wie in Stein gemeißelt. Historisch gesehen könnte das sogar noch heute stimmen. Doch dürften hieran wage Zweifel aufkommen, wenn man die Frage stellt, welche Menschen oder Dinge typisch deutsch sind. Einen sensationellen Erfolg erreicht hier nämlich die Königin der deutschen Kantinen: die Currywurst. Und genau den gleichen Umfragewert erreicht einer der genialsten deutsche Komponisten aller Zeiten – Johann Sebastian Bach ist also nicht viel mehr wert als die gemeine Wurst, beide bekamen 24% der Punkte.

Tatort: „Made“ in Germany – hat sie eine Schwäche für Mord?

Unsere Bevölkerung scheint auch ein recht klares Bild davon zu haben, was einen typischen Ekelfaktor bei den Deutschen ausmacht. Maden im Fleisch ist der absolute Renner, fast 80% stimmten zu. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass andere Gesellschaften diesen Anblick als nicht genau so abstoßend wie unsere Landsleute einschätzen würden. Auch die bekannte Liebe zu Krimis konnte sich nicht als das halten, was viele Deutsche als typisch für sich sehen. Trotz der hohen sonntäglichen Einschaltquoten, konnte die langjährige Krimiserie Tatort nur magere 16% für sich verbuchen. Also doch kein besonders Faible für Mord und Totschlag. Friede, Freude, Eierkuchen wären da eher ein gemeinsames gesellschaftliches Merkmal – so jedenfalls könnte man das deutsche Phlegma deuten, wenn man den Gedanken eines berühmten deutschen Philosophen folgt.

Die Mut und der Langmut. Ein deutsches Paar.

Immanuel Kant hat eher ein negatives Verhalten seiner Landsleute als typisch beschrieben. Die Deutschen besäßen einen gleichmütigen Charakter und deshalb könne man ihnen politisch einiges zumuten. Sie fügen sich unter allen zivilisierten Völkern am leichtesten und dauerhaftesten der Regierung, unter der sie leben. Angesichts der aktuell mangelnden Proteste in Bevölkerung und Medien, trotz einer quälend langen und zum Teil erfolglosen Suche nach einer neuen Regierung, scheint Kant hier in weiser Voraussicht einiges erahnt zu haben. Er lag aber trotzdem falsch, wenn wir die jüngste deutsche Geschichte betrachten. Der Umsturz einer kommunistischen Diktatur, und der trennenden Grenze, war das Ergebnis eines mutigen Kampfs und einer an der Schmerzgrenze politischer Anstrengungen. Die Obrigkeitstreue scheidet spätestens hier als ein typisch deutsches Verhalten aus.

Sind Deutsche Profis in Angstkultur?

Unsere Nachbarn aus dem englischsprachigen Raum hingegen, scheinen eine besondere gemeinsame deutsche Qualität ausgemacht zu haben: die German Angst. In einem Artikel von Deutschland Funk Kultur, vom 25. Januar dieses Jahres, beschreibt der Journalist Matthias Baxmann die Sichtweise auf diese neue deutsche Eigenschaft. Den Worten von Derek Scally aus Irland folgend, merken die Deutschen die gegenwärtige, weltweite Angst eventuell nicht, weil sie das mit der Muttermilch bekommen haben. Einer seiner Freunde meinte, dieser kulturelle, deutsche Pessimismus hänge mit dem 30-jährigen Krieg zusammen – der Angst, dass irgendetwas Böses passieren könnte. Irland habe eine recht traurige geschichtliche Entwicklung, die Iren hätten aber die Idee, dass am Ende alles gut würde. Der irische Lyriker und Autor Oscar Wilde hat bereits im 19. Jahrhundert diese positive Sicht der Dinger humorvoll beschrieben: „Am Ende wird alles gut! Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Es bleibt zu hoffen, dass die regelmäßige Lektüre dieses Aphorismus‘ unsere neue, gemeinsame deutsche Angst vor dem Leben etwas abmildern könnte.

Akiko Yamashita aus Japan attestiert uns einen grundsätzlichen, deutschen Negativismus: „Früher dachte ich immer, die Deutschen haben Angst vor wirtschaftlichen Situationen, immer diese etwas pessimistische Prognose für die Zukunft. Und jetzt, wo es Deutschland wirtschaftlich so gut geht, spüre ich dennoch Angst. Für mich sieht es so aus, als ob die Deutschen immer nach Problemen suchen, vor denen man Angst haben sollte.“ Hat etwa der große Lyriker Heinrich Heine mit seinem Gedicht „Denke ich an Deutschland in der Nacht“, diese grundsätzliche Angst des deutschen Wesens auf den Punkt gebracht? Die Deutschen, ein Volk von Schisshasen?

Typisch Mensch!

Auch wenn versucht wird, manche Verhaltensweisen als das Deutsche schlechthin darzustellen, treffen sie genau so wenig oder so viel auf uns zu, wie der Versuch, das typisch Spanische, Italienische, Englische, Japanische oder Indische zu beschreiben. Wir sind alle mehr denn je Kinder und Bürger einer rasanten, globalisierten Welt, in der Verhaltenseinflüsse in verschiedenen Bereichen blitzschnell eine neue Heimat finden.

Ich sehe uns als Weltmenschen. So wie die erfolgreichste Automarke der Welt. Da ist es schon wieder, das typische Deutsche.

 

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Autorengruppe
Leonardo De Araujo
Leonardo De Araujo, geboren in Rio de Janeiro, Brasilien lebt seit etwas mehr als 30 Jahren in Deutschland, vorwiegend in Hamburg. Nach einigen Berufsjahren in Werbeagenturen hat er 35 Jahre in der Fernsehproduktion gearbeitet. Nebenbei hat er sich auch als Drehbuchautor und Fotograf beschäftigt – und für das Flüchtling-Magazin, heute kohero, geschrieben.

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