Wir treffen uns immer nur im Aufzug, in dem Gebäude, in dem wir zusammen leben. Ich glaube, ich habe meine Nachbarin noch nie ohne ihren Hund gesehen. Sie heißt Paola, wie ich bald erfuhr. Die Hündin, meine ich. Jedes Mal, wenn sich die Aufzugtür öffnet und ich das Paar vor mir sehe, legt sich ein Ausdruck von Stress auf mein Gesicht – und ihres zeigt Unzufriedenheit. Mir ist Paola unangenehm. Das würde ich gerne weniger deutlich zeigen, aber es ist so. Die Reaktion meiner Nachbarin auf mein Unbehagen erstaunt mich- und machte mich neugierig. Paola ist doch nur ein Hund!
In Syrien ziehen wir strenge Grenzen zwischen Mensch und Tier
Ich beschäftigte mich daraufhin mehr mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihren Hunden und stellte fest: Die Abneigung gegen ein Tier empfindet auch sein Besitzer. Ebenso wie der Besitzer sich freut, wenn man sein Tier begrüßt und willkommen heißt. So begann ich die Gefühle meiner Nachbarin zu verstehen. In Syrien ziehen wir strenge Grenzen zwischen Mensch und Tier. Und in mir regte sich ein Widerspruch – zwischen dieser Grenze und den schönen braunen Augen von Paola, die immer freudig mit ihrem Schwanz wedelt, wenn sie mich sieht.
Ich suchte nach einem Grund, warum es in der muslimischen Kultur verboten ist, Hunde zu berühren. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es so ein Verbot in dieser Form gar nicht gibt. Viele Islam-Gelehrte sprechen von der Unreinheit des Hundespeichels. Sie sagen: Wenn ein Hund von deinem Teller gegessen hat, musst du ihn mit roter Erde und Wasser waschen. Aber rote Erde ist nicht nötig, wenn man nur das Fell des Hundes angefasst hat. Mit diesen neuen Informationen in meinem Kopf beschloss ich, meine Abneigung gegen Paola aus meinem Unterbewusstsein zu verbannen. Bei unserer nächsten Begegnung am Aufzug lag der bekannte Ausdruck von Unzufriedenheit auf dem Gesicht meiner Nachbarin.
Mein Herz fing an zu schlagen
Ich sprach Paola an und sie wedelte freudig mit ihrem Schwanz, als ich ihren Namen sagte. Dann kam der Moment der Wahrheit: Ich führte meine Hand in die Nähe von Paolas Kopf, um mit ihr zu spielen. Ich spürte eine Gänsehaut am ganzen Körper, das möchte ich nicht verschweigen. Ich wollte weglaufen, um meine Hand schnell zu waschen, aber ich kontrollierte mich. Ich berührte anschließend sogar meine Haare, meine Kleidung, in einer Art Schocktherapie, um die alten Ideen aus meinem Kopf zu bekommen.
Später am selben Tag begegnete ich wieder Paola mit ihrem Frauchen. Als ich Paola rief, rannte sie wieder auf mich zu. Mein Herz fing wieder an zu schlagen. Zum Glück rief die Besitzerin Paola zurück, bevor sie meine Hand lecken konnte. Und ich dachte erleichtert: „Eine Schocktherapie am Tag ist genug…“
Für mein Leben in Deutschland war diese Erfahrung sehr wichtig. Ich muss nun nicht mehr jedem Hund ausweichen, der in meine Nähe kommt. Ich lasse ihn ohne Angst an mir vorbeigehen – und manchmal sage ich ‚Guten Tag‘.
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