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„Viele meiner Kolleg*innen wurden umgebracht“ – als Kameramann im Irak

Der Irak ist eines der gefährlichsten Länder weltweit für Journalist*innen. Jedes Jahr werden kritische Medienschaffende inhaftiert, ermordet oder sie verschwinden einfach spurlos. Der Irak belegt auf der Liste der Pressefreiheit, die von Reporter ohne Grenzen jährlich herausgebracht wird, aktuell Platz 162 von 180. Allein in diesem Jahr starben sechs Reporter unter bis dato ungeklärten Umständen.

„Viele meiner Kolleg*innen wurden umgebracht“ - als Kameramann im Irak

Aso Quader (36) hat in seinem Heimatland unter schwierigsten Bedingungen als Fotojournalist und Kameramann gearbeitet. In dem folgenden Gespräch erzählt er von auf ihn abgefeuerten Schüssen und gegen ihn gerichteten Morddrohungen, aber auch von seiner Faszination für den Journalismus und der Leidenschaft, mit der er diesen Beruf ausübt.

Was war für dich der Fluchtauslöser?

Ich habe im Irak als Kameramann gearbeitet. Ich und mein Team wollten die Geschehnisse im Irak festhalten, wollten vor Ort filmen, über die Missstände berichten. In jeder Stadt im Irak gibt es sogenannte Checkpoints, die von Soldaten besetzt sind, um beispielsweise Terroristen abzuwehren. Ich habe einen dieser Checkpoints gefilmt, aber die dort stationierten Soldaten fanden mein Handeln gar nicht gut. Schüsse sind gefallen, dabei ging meine Kamera kaputt. Zwischen der Kugel und meinem Arm waren nur wenige Millimeter Platz, beinahe wäre ich getroffen worden. Die Soldaten sind dann handgreiflich geworden, sie haben uns angegriffen, haben uns geschlagen. Die Fensterscheibe von unserem Auto wurde dabei zerstört. Das war am 7. November 2015. Später wurde ich massiv angefeindet, bekam sogar Morddrohungen. Viele andere Journalist*innen waren bereits ums Leben gekommen. Also habe ich mich entschlossen, den Irak zu verlassen.

Hattest du Angst?

Natürlich hatte ich Angst. Viele meiner Kolleg*innen wurden umgebracht, weil sie den Mut hatten, ihre Stimme zu erheben. Kritik ist im Irak ist gefährlich. Der Irak ist kein sicheres Land, vor allem für Journalist*innen nicht.

Wie bist du nach Deutschland gekommen?

Ich bin zunächst im Geheimen in die Türkei geflohen, keiner durfte davon wissen, keiner war informiert. Ich habe einen Flug gebucht. Für eine Weile bin ich in der Türkei geblieben. Ich habe immer geschaut und darauf gewartet, dass sich die Situation im Irak verbessert, jedoch vergebens. Für mich gab es schlussendlich keinen Weg zurück in mein Heimatland. Ich bin dann also von der Türkei weiter nach Griechenland geflohen, mit einem Schiff über das Meer, von dort aus ging es dann zu Fuß weiter, später mit einem Auto und einem Bus. Von Griechenland bin ich weiter bis nach Mazedonien, von dort nach Serbien und von Serbien nach Kroatien und Ungarn. Österreich war die letzte Station vor Deutschland. Ich bin also insgesamt durch sieben Länder geflohen. Am 3. Dezember 2015 bin ich dann schließlich in Deutschland angekommen.

 Wie hast du dich am Abend vor deiner Flucht gefühlt?

Ich war aufgeregt, hatte Angst und natürlich war ich auch traurig, meine Heimat verlassen zu müssen. Schlimm war für mich, dass ich mit niemanden über meine Flucht sprechen konnte, alles lief im Geheimen ab. Ich habe mich einsam und allein gefühlt. Wie es für mich weitergehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt völlig ungewiss. Es waren im November 2015 zwar viele Menschen unterwegs, aber ich habe mich nicht getraut, Kontakt mit jemanden aufzunehmen. Ich wusste einfach nicht, wer Freund oder Feind ist. Da habe ich lieber geschwiegen.

Was war dein erster Gedanke, als du in Deutschland angekommen bist?

Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich gehört hatte, dass es ein sicheres Land für Journalisten ist. Im Jahr 2015 hat Deutschland seine Grenzen für Flüchtlinge geöffnet. Ich habe diese Chance genutzt in der Hoffnung auf ein friedliches Leben ohne Angst. Mein erster Gedanke war, hier Arbeit als Fotograf oder Kameramann zu finden.

Wie würdest du im Nachhinein deine erste Zeit in Deutschland beschreiben?

Als ich in Deutschland angekommen bin, bin ich zunächst nach Berlin gefahren. Berlin ist eine Medienstadt und ich hatte die Hoffnung, hier Arbeit zu finden. Ich war für 15 Tage in einer Sporthalle untergebracht, dann bekam ich einen Brief von der Ausländerbehörde, in dem stand, dass ich nach Hamburg gehen soll. Also bin ich weiter in den Norden gezogen. Für 1,5 Jahre habe ich in einem großen Flüchtlingslager gelebt, mit mir waren dort an die 600 Menschen untergebracht. Mitteweile lebe ich in einer WG.

Fühlst du dich mittlerweile gut integriert?

Manchmal ja, manchmal nein. Was meine Situation massiv erschwert, ist, dass ich keinen Aufenthalt bekomme. Das macht alles schwerer. Aber ich habe schnell die deutsche Sprache gelernt und ich habe verschiedene Praktika gemacht, die mich in beruflicher Hinsicht weitergebracht haben. Ich habe an verschiedenen Weiterbildungen teilgenommen und unterschiedliche Kurse gemacht. Diese Jobs haben auf jeden Fall dazu beigetragen, mich zu integrieren. Und ich habe deutsche Freunde gefunden, was sehr wertvoll ist.

 Du lebst jetzt seit fünf Jahren in Deutschland – wie hat sich dein Leben verändert?

In meiner Heimat war mein Leben ziemlich schwierig. Als ich nach Deutschland gekommen bin, musste ich zunächst eine völlig neue, schwere und für mich komplizieret Sprache lernen. Ich bin mit einer total fremden Kultur in Berührung gekommen. Die ganze Situation war neu für mich. Wenn jemand als Flüchtling nach Deutschland kommt, ist dies natürlich ganz anders als wenn er wegen des Studiums oder wegen der Arbeit herkommt. Die Gegebenheiten im Jahr 2015 war sehr schwer für alle Flüchtlinge, nicht nur für mich. Ich musste mich in Geduld üben, habe gelernt, dass Geduld zwingend notwendig ist vor allem in Bezug auf das Erlernen der Sprache. Wie kann man in einer solch schlechten Situation klarkommen? Diese Frage habe ich mir gestellt und die Antwort ist: weitermachen. Jetzt kann ich hier in Deutschland in Frieden leben und ich muss keine Angst mehr haben. Das ist sehr wertvoll.

Wie sieht dein Alltag hier in Deutschland aus?

Früher habe ich einen Deutschkurs besucht und habe eine Weiterbildung gemacht. In meiner Freizeit lese ich viel und gerne die Nachrichten um informiert zu bleiben. Das ist mir sehr wichtig. Ich bin oft in den sozialen Netzwerken unterwegs, pflege meinen Facebook- und Twitter-Account. Das Wichtigste für mich ist jedoch die Fotografie, ich bin oft draußen mit meiner Kamera unterwegs und mache Fotos. Und natürlich treffe ich mich mit meinen Freunden.

Und was machst du, wenn du dich mit deinen deutschen Freunden triffst?

Wir reden viel über die Geschehnisse in der Welt, also über Politik. Und wir tauschen uns oft über unsere unterschiedlichen Kulturen aus, unterhalten uns über die Geschichte unserer beiden Länder, Deutschland und dem Irak. Manchmal kochen wir auch zusammen und haben einfach Spaß zusammen.

Was sind denn die größten Unterschiede zwischen der deutschen und der irakischen Kultur?

Zunächst einmal ist der Irak zweigeteilt: Es gibt den irakischen und den kurdischen Part. Ich kann an dieser Stelle also gerne etwas über die kurdische Kultur erzählen. Wir haben zum Beispiel traditionelle Musik und traditionelle Kunst, die sich beide sehr stark von der deutschen Musik und Kunst unterscheiden. Hinzu kommen unsere Geschichte und unsere Sprache, auch diese unterscheiden sich sehr stark von der deutschen. Und nicht zu vergessen – unser Essen. Typisch für die irakische Küche ist, dass wir immer mit sehr viel Öl kochen und wir essen eigentlich immer warm, während die Deutschen häufig kalte Speisen zu sich nehmen. Und wir trinken sehr viel Tee, in Deutschland wird wohl mehr Kaffee und Bier konsumiert. Das sind so die kleinen Unterschiede, die mir tagtäglich auffallen.

 Was ist für dich typisch deutsch?

Pünktlichkeit ist für mich typisch deutsch. Und das eben erwähnte Bier. Und die Deutschen reisen gerne, sind gerne unterwegs, fahren in den Urlaub. Immer wenn ich freitags am Hauptbahnhof bin, staune ich darüber, wie viele Menschen mit Koffern und Rucksäcken unterwegs sind.

Wie wichtig sind dir dein Glaube, deine Religion?

Ich selber bin Moslem. Und ich akzeptiere alle Religionen. Das Wichtigste für mich ist der Fakt, dass wir alle Menschen sind, egal ob beispielsweise Christ oder Moslem. Da spielt Religion für mich keine Rolle, ich bin in dieser Hinsicht wirklich tolerant.

Was denkst du über die jüngsten Terroranschläge in Frankreich?

So etwas passiert ja nicht nur in Frankreich. Terror ist immer Terror, egal ob in Nizza, Hanau oder im Irak. Wir sind alle Menschen und wir müssen zusammenhalten, müssen gemeinsam gegen den Terror kämpfen. Diese Anschläge machen mich sehr traurig, denn es werden unschuldige Menschen getötet. Terrorismus greift unsere Demokratie an – dem müssen wir uns entgegenstellen.

Wie bist du Journalist geworden?

Als ich 16 Jahre alt war, hat mein Onkel mir eine Kamera geschenkt. Mit dieser Kamera habe ich die ersten Filme aufgenommen. Ich habe gemerkt, dass das genau das ist, was ich beruflich machen will. Die Tätigkeit als Kameramann hat auf mich eine sehr große Anziehungskraft gehabt, ich war fasziniert. Ich habe mir viel selber beigebracht, zum Beispiel, wie die einzelnen Einstellungen an einer Kamera funktionieren. Und ich hatte Glück, ich bekam einen Job beim lokalen Fernsehsender. Dort habe ich dann vier Jahre als Kameramann gearbeitet. Mein Ziel war immer, meine Arbeit möglichst gut zu machen. Ich konnte verschiedene Sendungen und Reportagen mitgestalten. Das war prägend. Auch das Fotografieren liebe ich, derzeit fotografiere ich mit einer Sony Alpha 7s, ich habe in der Vergangenheit aber auch verschiedenen Modelle ausprobiert, zum Beispiel eine Canon oder eine Panasonic.

Was empfindest du beim Fotografieren?

Ich kann das gar nicht so genau erklären. Dieses Gefühl, das ich beim Fotografieren habe ist so ganz anders, es ist besonders. Fotografieren macht mich glücklich und es lässt mich die Welt um mich herum vergessen. Ich fotografiere unglaublich gerne Menschen, aber auch Architektur und Landschaften. Und ich arbeite viel mit Farbeffekten, so sind meine Bilder für meinen Instagram-Account eigentlich immer recht farbenfroh.

 Hast du manchmal Heimweh?

Ja, natürlich. Ich vermisse meine Familie, meine Heimat. Ich habe 30 Jahre meines Lebens im Irak verbracht, bin dort aufgewachsen, mein Kopf ist voll mit Erinnerungen. Besonders meine Familie fehlt mir sehr, meine Mutter, mein Vater, meine Geschwister, sie sind alle noch dort, ebenso wie viele meiner Freunde. Oft habe ich Angst um sie.

Was wünschst du dir für den Irak?

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass sich die Situation dort verbessert und dass Journalist*innen in Ruhe und ohne Angst ihrer Arbeit nachgehen können. Denn für uns Journalisten ist die Situation im Irak nach wie vor sehr gefährlich. Sie verschwinden plötzlich spurlos oder werden ermordet. Auch ich bekomme immer noch Drohungen oder sie bedrohen meine Familie. Das muss aufhören.

 Und was sind deine Pläne für die Zukunft?

Mein Ziel ist es, eine feste Anstellung als Fotograf oder Kameramann zu finden, denn ich möchte in der Medienbranche Fuß fassen. Das ist mein Traum, meine Hoffnung. Hier in Deutschland möchte ich die Möglichkeit ergreifen, in Sicherheit meiner journalistischen Arbeit nachgehen zu können.

 

 

 

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