kohero: Magst du dich bitte einmal kurz vorstellen? Was ist dein beruflicher Background, was hast du studiert?
Mein Name ist Xenia Wolfgramm, ich bin 29 Jahre alt, komme ursprünglich aus Bremen und lebe jetzt in Berlin. Von 2010 bis 2014 habe ich an der Theaterschule Aachen für Schauspiel und Regie meine Schauspielausbildung gemacht.
Du bist Schauspielerin. Was reizt dich daran, auf der Bühne zu stehen?
Einiges. Vor allem liebe ich es aber Geschichten zu erzählen die die Menschen berühren, egal in welcher Hinsicht, ob nun erheiternd oder bedrückend, für mich ist es schön zu merken, dass es die Menschen bewegt.
Worin liegt dein schauspielerischer Schwerpunkt? Im Drama oder in der Komödie? Sind es also eher die lustigen oder die ernsteren Rollen, die dir liegen?
Das ist so pauschal schwer zu beantworten. Bisher wurde ich mehr für ernstere Rollen besetzt, aber auch die Komödie gefällt mir, aufgrund dessen, dass ich aber viel mehr ernstere Stücke gespielt habe, würde ich sagen, dass sie mir schwerer fällt. Allgemein ist Komödie zu spielen oft schwieriger als der Zuschauer denken mag, weswegen ich große Hochachtung vor guten Komikern habe. Es braucht ein unglaublich gutes Gefühl für das Timing!
Ich mag beides sehr und würde keiner Art mehr Gewicht geben und würde mich auch ungern entscheiden wollen. Aufgrund meiner Erfahrung fühle ich mich mit ernsteren Texten prinzipiell aber erstmal wohler.
Was genau zeichnet das Dokumentar Theater Berlin aus? Welche Art von Theater wird hier vorrangig praktiziert?
Wir machen „Theater gegen das Vergessen“, sprich: aus der Historie heraus. Relevante, geschichtsträchtige aber auch unbekannte Ereignisse bringen wir auf die Bühne. Ich bin seit 2015 bei dem Theater dabei und habe beispielsweise in einem Stück über die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl mitgespielt, sowie auch in dem Stück für das wir vom Bfdt ausgezeichnet wurden „Akte/NSU“. Es variiert je nach Inhalt und Stück, wie genau die Regisseurin Marina Schubarth arbeitet. Grundsätzlich aber – wie der Name schon sagt – dokumentarisch. Recherchen und sich mit Zeitzeugen zu treffen, wenn es um Themen wie Zwangsarbeit geht, sind also unumstößlich. Der riesige Erfahrungsschatz unserer Regisseurin ist dabei Gold wert!
Es gibt Szenen, die kommen ganz ohne Text aus
Bei dem Stück „… und der Name des Sterns heißt Tschernobyl“ hatte sie z.B. ein sehr gemischtes Ensemble und kaum einer sprach Deutsch, also gibt es relativ wenig Text, abgesehen von der Hauptfigur, die ihre Geschichte erzählt und das Stück ist sehr bildhaft, die Musik ist sehr wichtig. Es gibt Szenen, die kommen ganz ohne Text aus. „Akte/NSU“ hingegen ist laut, schnell, aggressiv, wir haben Auszüge der echten Verhöre der Angehörigen der Opfer. Bei dem Tschernobyl-Stück folgen wir fast ausschließlich der Geschichte von einer bestimmten Frau. „NSU“ spielt mal an der Ostsee, wo das Trio Urlaub machte, dann befinden wir uns wieder im Gerichtssaal, dann im ehemaligen Jugendclub usw.
Wie groß ist euer Ensemble? Auf was für Schauspieler trifft man bei euch? Sind es Profis oder eher Laien?
Wir sind für ein unsubventioniertes Ensemble tatsächlich relativ viele, je nach Projekt teilweise an die 20 Personen. Für die meisten Stücke bei uns müssen wir auch mindestens 13 Menschen sein. Unser Theater ist super bunt durchmischt. Von früher gibt es noch den ein oder anderen, der aus einem Jugendclub ans Theater kam und viel Spielerfahrung hat, jetzt aber was ganz anderes studiert.
Altersspanne von 16 bis 70
Und auch Schauspieler, die keinen bezahlten Job haben, aber weiterhin spielen möchten, oder Schauspieler, denen die Themen einfach so am Herzen liegen, dass sie es einrichten, dass es möglich für sie ist, ehrenamtlich zu spielen. Menschen aus allen möglichen Bereichen, die einfach gern auf der Bühne stehen wollen und vor allem einfach Menschen, denen es wichtig ist, dass diese Geschichten auf der Bühne erzählt werden. Momentan ist unsere Altersspanne von 16 bis 70 etwa und auch verschiedenste Religionen, Diversitäten, Herkunftsländer usw.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Thema NSU auf die Bühne zu bringen? Was war der Auslöser?
Marina Schubarth hat damals, als rauskam, dass es der nationalsozialistische Untergrund war, der die Morde beging, mit Jugendlichen ein Theaterprojekt gemacht und eines Tages kam einer dieser Jugendlichen zu ihr und meinte, sie solle doch auch darüber ein Stück schreiben, denn schließlich hätte das auch ihr Vater sein können. Und je mehr Marina recherchierte, desto klarer war für sie, dass sie es machen muss.“
Welche Herausforderungen sind euch während des gesamten Prozesses, also von der ersten Idee bis hin zur Umsetzung und zur Premiere, begegnet? Was war besonders schwierig?
Ich persönlich war leider nicht bei der ursprünglichen Entstehung des Stücks dabei und kann deswegen auch nur erzählen, was ich von der Regisseurin weiß. Das Mühsamste war wohl tatsächlich das Recherchieren und dann Herausfiltern, was für das Theater nutzbar ist. Aber im Großen und Ganzen war die Entstehung des Textes sozusagen das geringere Problem. Im Nachhinein gab es eher hier und da schon mal Schwierigkeiten oder man lädt uns halt nicht ein oder so… Die tatsächliche Herausforderung ist mehr das Spielen. Vor allem natürlich, wenn man die Rolle eines Neo-Nazis hat. Das ist einfach nochmal eine andere Herausforderung und so wie Marina inszeniert hat, agieren die Neo-Nazis teilweise auch mit dem Publikum und da muss sich der eine oder andere schon sehr überwinden, jemandem ins Gesicht zu brüllen, am besten noch beleidigend.
Du weißt nie, wie das Publikum reagiert
Für mich war es jedenfalls eine riesige Überwindung. Und dann stolpert man teilweise immer wieder über neue Hürden. Dieses Jahr im April konnten wir beispielsweise auch in Krakau spielen und obwohl ich das Stück unzählige Male gespielt habe und zuletzt das Gefühl hatte, mich da schon sehr gut „automatisiert“ zu haben, hatte ich wieder wie beim ersten Mal ein Lampenfieber, das stärker als nur die normale Aufregung war. Du weißt letztendlich nie, wie das Publikum reagiert, wenn du auf einmal mit erhobenem rechtem Arm vor ihnen stehst und inbrünstig rufst „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“
Wie oft probt ihr?
Zwei bis drei Mal die Woche für circa zwei Stunden, vor den Aufführungen aber intensiver, je nach Verfügbarkeit.
Welche Rolle spielst du in dieser Produktion? Was sind deine Aufgaben?
Bei „NSU“ spiele ich verschiedene Rollen und auch immer je nach Ensemblegröße mal mehr mal weniger. Relativ fix sind meine Rollen als Neo-Nazi und Sekretärin. Das macht mir auch großen Spaß mittlerweile. Anfangs fand ich es nur furchtbar, Nazi sein zu müssen. Jetzt kann ich die Ideologie aber sehr gut von mir fernhalten. Ich habe für mich einen Weg gefunden, dass ich die richtige Intention habe, um den Nazi verkörpern zu können, innerlich aber anders damit umgehe.
Von einem Extrem ins andere hüpfen
Ich kann also sehr kraftvoll mit großer Energie nach außen den Nazi spielen und ein paar Minuten später bin ich eine etwas trottelige, aber super engagierte, charmante Sekretärin einer Behörde, bei der sie wahrscheinlich selbst nicht einmal genau weiß, wie die heißt. Das ist natürlich ein wahnsinniger Spaß! Ich liebe es auch von einem ins andere Extrem hüpfen zu können. Parallel dazu biete ich aber auch regelmäßig vor unseren Proben Unterricht für unsere Laien an. So wollen wir versuchen, ein möglichst hohes und gleiches Maß an Qualität erhalten zu können. Gleichzeitig wächst unser Ensemble schnell zusammen und ich kann Techniken vermitteln, die sie dann im Spiel nutzen können. Profis können sich so aber auch einfach fit halten.
Was ist eure Intention? Was wollt ihr mit Akte/NSU zum Ausdruck bringen?
An allererster Stelle steht natürlich das Erinnern, im Kopf behalten, Bewusstsein, aber auch Aufklärung. Zwar ging der Prozess sehr medial und es gab eine große Aufmerksamkeit aus der Bevölkerung, doch zum einen, wie das ja nun mal immer so ist, nicht nachhaltig und zum anderen wurde und wird fast ausschließlich nur über die Täter gesprochen. Wir haben absichtlich auch ein großes Augenmerk auf die Opfer und ihre Angehörigen gelegt, Ermittlungs-Pannen, von denen es einige gab, rücken wir ins Licht. Grundsätzlich gilt aber leider: es ist nicht vorbei. Es kann immer jeden Moment wieder losgehen.
Du unterstützt das Dokumentartheater ehrenamtlich. Was bedeutet dir ehrenamtliches Engagement?
Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit und ich bin einfach nur froh, dass ich, obwohl ich nichts „anständiges“ gelernt habe, mich gesellschaftlich engagieren kann.
Wie reagiert das Publikum auf dieses Theaterstück?
Positiv, wenn man das so sagen kann. Also ich habe schon oft gehört, dass Zuschauer erstmal etwas verstört waren, weil es so intensiv ist, aber ich kann mich an keine Vorstellung erinnern, bei der es am Ende keine stehenden Ovationen gab. Es dauert oftmals einige Minuten, bis angefangen wird zu klatschen, weil die Leute (zu Recht) verwirrt sind, ob sie klatschen „dürfen“. Deswegen kommen wir oftmals dann schon in abgewandeltem Kostüm raus, sodass sie verstehen, dass sie den Schauspielern applaudieren können und das nicht bedeutet, dass sie den Taten applaudieren.
Wann sind die nächsten Aufführungstermine?
Wir haben mit „Akte/NSU“ Ende November drei Aufführungen geplant. Leider ist die Bühne auf der wir ursprünglich spielen sollten aus verschiedenen Gründen nicht mehr verfügbar und wir sind händeringend auf der Suche nach einer neuen Auftrittsmöglichkeit. Momentan sieht es zwar gut aus, aber ich muss vorsichtshalber bitten, dass alle, die Interesse haben, sich über unsere Homepage auf dem Laufenden zu halten.