Der Autor des Welt-Artikels aus dem Jahr 2015, Eliyah Havemann, wurde in Ost-Berlin geboren. Er wuchs in Hamburg und im Elsass auf. Zwei aufgeschlossene, tolerante Gesellschaften hat er hier wie dort kennengelernt. Heute lebt er in Israel und arbeitet in der IT-Branche. Als Konvertit und orthodoxer Jude. Eliyah will nicht als Jude in Deutschland toleriert, sondern als Mensch, als ein Individuum akzeptiert, bestenfalls geschätzt werden.
„Akzeptanz ist keine Einbahnstraße wie die Toleranz“
Er sagt: „Mein religiöses Verhalten kann man gern beknackt finden und dann gnädig tolerieren, aber mich als religiöse Person und Mensch bitte nicht. Meine Religion sollte nicht Teil der gesellschaftlichen Norm sein, gemeinsam Essen und ins Kino gehen eher. Es ist eine schwere Aufgabe der Politik, diese Normen zu finden. Das Grundgesetz ist dabei die Grundlage, die wichtigste existierende Normsammlung in Deutschland. Und sie lässt korrekterweise keine große Toleranz zu. Tolerieren wir also die Muslime, alteingesessene oder neu eingewanderte, in Deutschland nicht. Sondern, akzeptieren wir sie. Muslime gehören zu Deutschland genau wie jeder andere hier lebende Mensch. Akzeptanz ist aber keine Einbahnstraße wie die Toleranz. Sie funktioniert nur gegenseitig. Ist das der Grund warum so viele nach einer bedingungslosen Toleranz rufen? Weil sie dann zwar von den Tolerierenden alles, von den Tolerierten aber nichts fordern müssen?
„In den meisten Fällen ist Respekt ein Synonym für Angst oder Furcht“
Genauso schlimm wie die herablassende Toleranz für einen Menschen ist der Respekt, der eine Religionsgemeinschaft einfordert. Ich respektiere etwa Leistungen oder die Privatsphäre anderer. In den meisten Fällen ist aber Respekt ein Synonym für Angst oder Furcht: Ich habe Respekt vor den Reißzähnen eines großen Hundes. Ist es das, was verlangt wird, wenn ich aus Respekt vor dem Islam keinen Mohammed malen soll? Was sind das für Gläubige, die, statt sich gelassen ihren Teil zu denken, zu einer gewaltbereiten, beleidigten Leberwurst mutieren, weil jemand despektierlich von ihrem Propheten spricht?“*
Diese Art zu denken ist praktisch in jeder religiöser Form vorhanden. „Sie wollen keinen Respekt. Sie wollen, dass wir Angst haben“, folgert Eliyah Havemann in seinem Beitrag.
Auch durchschnittliche Bürger versuchen mit allen Mitteln, ihre mangelnde Bereitschaft zu zeigen, andere Menschen als solche zu akzeptieren. Flüchtlinge aus Syrien und anderen muslimischen Ländern stellen Deutschland nicht nur vor logistische Schwierigkeiten. Brennende Flüchtlingsheime und Jagd auf ausländisch aussehende Menschen sind lediglich sichtbare Zeichen einer Auseinandersetzung. Diese kreist um die Frage, wie man mit Neuankömmlingen aus einem anderen Kulturkreis umgehen soll. Den Bedenkenträgern wirft man oft Islamophobie vor. Mehr Toleranz wird gefordert. Das hört sich richtig an. Der Ansatz bekommt aber einen schalen Beigeschmack, wenn man bedenkt, dass der real existierende Judenhass, verstärkt durch den von einigen Flüchtlingen eingeschleppten Hass kaum mehr einen Aufreger wert ist. Toleranz ist eine hingenommene Abweichung von der Norm und eine sehr einseitige Sache.
„Toleranz ist ein Akt der Vernunft“
Eine ganz andere Sicht der Dinge hat der Journalist Kurt Sontheimer in einem deutlich älteren Zeit-Beitrag: „Tolerant sein bedeutet, Menschen und Ideen nicht zu unterdrücken, obwohl sie einem gegen den Strich gehen. Diese Tugend ist mancherorts in Verruf geraten, weil sie nicht ausreicht, eine gerechte Ordnung zu schaffen. Mehr und mehr werden Auseinandersetzungen in den Parteien oder an den Hochschulen vom Geist der Intoleranz beherrscht. […] Nur der kann wirklich tolerant sein, der kraft seiner Vernunft weiß, warum und wofür er es ist. Toleranz ist keine Angelegenheit des Gefühls sondern ein Akt der Vernunft“.**
Diese Worte stammen aus dem Jahr 1974 und könnten noch heute die momentane Lage besten beschreiben, wie wir mit anders denkende, anders gläubigen und anders aussehende Menschen umgehen. Oder – wie wir sie als Menschen akzeptieren. Lange bevor es unsere christliche Gesellschaften gab, schrieb der große Philosoph Heraklit (520 – 460 v. Chr.) aus Griechenland. „Die einzige Konstante im Universum ist die ständige Veränderung. Und jede Veränderung bringt weitere Veränderungen“. Diese simple Feststellung könnte uns allen helfen, eine sich rasant verändernden Welt besser zu verstehen und zu akzeptieren. Samt ihrer Menschen, wie wir alle.
Quellen der zitierten Beiträge: