2015 habe ich begonnen, ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe zu arbeiten. Ich war damals in einer Kirchengemeinde hier in Hamburg in einem Patenschaftsprogramm aktiv. Dort übernahm ich alle Aufgaben, die so anfielen, unter anderem habe ich Deutschnachhilfe gegeben und beispielsweise bei Behördengängen unterstützt. Den Geflüchteten sollte die Teilhabe am Leben in Deutschland erleichtert werden. Ende des Jahres 2015 hat die Kirche aus verschiedenen Gründen diese Art des Supports beendet. Ich habe dann mit ein paar Leuten, die dort ebenfalls ehrenamtlich aktiv waren, beschlossen, auf jeden Fall weiterzumachen und das am liebsten nahtlos, um den bei uns Hilfesuchenden Kontinuität zu geben. Und so haben wir den Verein Integrationshilfe für Geflüchtete e.V. gegründet.
Neben der Kontinuität für die Geflüchteten war die Vereinsgründung auch wichtig, um wieder ein formales Dach für unsere Arbeit zu haben. Als Verein konnten wir gegenüber Behörden und anderen Institutionen seriöser auftreten. Außerdem konnten wir so auch Spenden sammeln. Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Der harte Kern besteht aus zehn Unterstützer*innen und circa acht bis zehn „Satelliten“, die eine einzelne Aufgabe wie beispielsweise Nachhilfe für die Berufsschule übernehmen.
Unser Angebot
Wir bieten einen wöchentlichen Treffpunkt an, immer dienstags von 16 bis 19 Uhr in einem Verlagshaus. Der Verlag stellt uns kostenlos Räume zur Verfügung. Hier führen wir Deutschunterricht durch. Das Ganze gestaltet sich so, dass wir uns in kleinere Gruppen aufteilen, jede Gruppe hat einen Lehrer, so kann intensiv gelernt werden. Wir versuchen, die Gruppen nach Niveau zusammenzustellen. Im Anschluss an diese Nachhilfe sind wir Anlaufstelle und Ansprechpartner*in für verschiedene Anliegen, zum Beispiel helfen wir beim Verstehen von behördlichen Briefen oder beim Schreiben von Bewerbungen. Das ist das, was wir am Dienstag so machen. Dieses Treffen ist der feste Anker, den auch alle kennen. Sollte mal jemand verhindert sein, weil er vielleicht regulären Deutschunterricht hat oder sich im Praktikum oder in einer Ausbildung befindet, dann können die Betroffenen auch erst um 18 Uhr vorbeischauen, wenn Sie ein Anliegen haben. Sie wissen einfach, dass wir vor Ort sind.
Vertrauen aufbauen
Zwischen einzelnen Geflüchteten und Mentor*innen entstehen auch engere, vertrauensvolle Kontakte, denn es gibt natürlich auch über den Dienstag hinaus Dinge, die organisiert und geregelt werden müssen. Oder man verbringt auch einfach gern individuell Zeit miteinander, unternimmt als Tandem etwas zusammen. Darüber hinaus machen wir viele gemeinsame Aktivitäten. Vor Kurzem waren wir in St. Peter Ording an der Nordsee, das war unglaublich toll. Es ist ein großer Zusammenhalt in der Gruppe zu spüren, und alle gehen sehr respektvoll miteinander um. So wird Teilhabe aktiv gelebt.
Ein weiterer Aspekt unserer Arbeit ist, dass wir Geflüchtete in ehrenamtliche Arbeit vermitteln. Sie wollen sich engagieren, sich einbringen und auch so in Kontakt mit Deutschen kommen. Das ist vielen auch deshalb wichtig, weil sie darüber das Gefühl haben, etwas beizutragen, gebraucht zu werden. Und sie können etwas zurückgeben für die Hilfe, die sie selber von verschiedenen Stellen bekommen. Auch hier ist wieder Teilhabe das Stichwort. So stehen wir beispielsweise in engem Kontakt mit dem NABU Hamburg. Es gibt ein paar Leute in unserer Gruppe, die sich jeden Samstag freiwillig im Naturschutz engagieren.
Wie Teilhabe gelingen kann
Das Ziel, welches über allem steht, ist also „Teilhabe“. Grundsätzlich heißt das für mich, dass wir die Geflüchteten bei allem unterstützen, was ihnen ermöglicht, am Leben hier in Deutschland als selbstbewusste Individuen teilzunehmen. Voraussetzung ist natürlich, dass sie die Sprache beherrschen, deswegen geben wir ja auch Nachhilfe. Dann geht es damit weiter, dass wir ihnen helfen, ein Praktikum oder eine Ausbildung zu finden. Denn der Aspekt Arbeit ist aus meiner Sicht ganz, ganz wichtig für eine erfolgreiche Integration. Es geht nicht nur darum, eigenes Geld zu verdienen, sondern auch darum, dass über Arbeit Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entsteht. Teil eines Teams zu sein, über einen Job Teil eines in unserer Gesellschaft wichtigen, Identität stiftenden Lebensbereiches zu sein, das schafft Teilhabe und kann Integration gelingen lassen.
Aber auch die weichen Faktoren, also alles, was das gesellschaftliche Leben sonst noch so ausmacht, versuchen wir zu vermitteln – Sport, Kultur, gesellschaftspolitische Aspekte. Das Ideal ist, dass unsere Schützlinge irgendwann wie selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft sind. Dazu gehört natürlich auch, dass sie Aspekte aus ihrer eigenen Welt, aus ihrer eigenen Kultur miteinbringen können und dies auch ausdrücklich sollen. Bspw. kochen wir circa zweimal im Jahr als große Gruppe zusammen. Da werden dann Gerichte aus den unterschiedlichen Esskulturen zubereitet.
Zur gelungenen Teilhabe gehören Kontakte und Begegnungen einfach dazu. Gleichzeitig empfinde ich es auch als die größte Herausforderung, einen Weg zu finden, dass diese Kontakte und Begegnungen selbstverständlich werden, dass sie Alltag werden. Dass wir sie nicht mehr erleben als „Deutsche treffen oder unterstützen Geflüchtete“, sondern dass wir uns treffen und begegnen, weil wir als Menschen das gleiche Interesse für irgendetwas teilen.
Ehrenamtliches Engagement
Ehrenamt bedeutet für mich zunächst ganz formal, eine gesellschaftliche Aufgabe ohne Bezahlung zu übernehmen. Es ist aber natürlich mehr, es geht darum, etwas zu unterstützen, mich einzubringen und zum gesellschaftlichen Wohl beizutragen. Ich persönlich glaube, dass ich extrem privilegiert in dieser Gesellschaft bin. Ich habe großes Glück, in genau dieser Gesellschaft zu leben. Deshalb habe ich das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Ich möchte auch etwas tun, was unsere Welt ein klein wenig besser macht. Und ich möchte mitgestalten. Toll im Ehrenamt ist aber auch das, was ich zurückbekomme von den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Das motiviert mich ungemein!
Die Willkommenskultur
Unter dem Begriff Willkommenskultur verstehe ich zunächst einmal, wenn Menschen nach Deutschland oder auch zu mir nach Hause kommen, dass ich sie Willkommen heiße. Ich trete ihnen offen und unvoreingenommen gegenüber und sage: Wie schön, dass du da bist, ich möchte dich gerne kennenlernen und ich hoffe, du möchtest mich ebenfalls gerne kennenlernen. So möchte ich eigentlich jedem Menschen gegenübertreten. Die Menschen, die zu uns kommen, haben in der Regel – so meine Erfahrung – einen wirklich triftigen Grund, warum sie ihr Heimatland verlassen haben. Dazu gehören Krieg, andere gewaltsame Auseinandersetzungen, fehlende Perspektiven, sich ein menschenwürdiges Leben auszubauen etc. In der Situation erst einmal zuzuhören, ihre Geschichte kennenzulernen und ihnen zu sagen, dass sie bei uns gerne ankommen dürfen, das ist für mich Willkommenskultur.
Das Jahr 2015
2015 war diese Bereitschaft extrem hoch, die Bilder, die durch die Medien gingen, haben uns alle berührt. Ich glaube, dass sich das gesamtgesellschaftlich im Laufe der letzten vier Jahre schon verändert hat. Und dennoch gibt es nach wie vor wahnsinnig viele Initiativen, die tolle und herausragende Arbeit für und mit Geflüchteten leisten. Sie sind leider nur nicht mehr so sichtbar. Grundsätzlich ist die Sorge, wie das alles bewältigt werden soll, in der Gesellschaft gestiegen. Das liegt daran, dass eben nicht alles reibungslos läuft, das kann es auch gar nicht. Es gibt natürlich Herausforderungen kultureller Art, aber auch pragmatischer und organisatorischer Art. Wenn ich mir beispielsweise überlege, wie belastet und überfordert die Ämter plötzlich waren, man kann ihnen daraus auch wirklich keinen Vorwurf machen.
Und auch die Geflüchteten, die total willens waren, hier in Hamburg alles so schnell wie möglich kennenzulernen und zu schauen, wie sie die deutsche Sprache lernen können und sich sonst noch einbringen können, waren irgendwann frustriert, eben weil das nicht so reibungslos funktioniert hat, wie sie es sich vielleicht gewünscht hätten. Ich vermute, dass viele Deutsche gar nicht so sehr grundsätzlich gegen Flüchtlinge sind, sondern, dass sie sich einfach nicht so recht vorstellen können, wie das alles bewältigt werden soll. Manchen fehlt allerdings auch die grundsätzliche Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, um diese Herausforderungen meistern und bewältigen zu wollen.
Natürlich ist das auch kommunikativ unglaublich herausfordernd, weil die Problematik nun mal sehr komplex ist. Ich merke schon, dass das Interesse an der Thematik zurückgegangen ist und dass es leider – wie bei vielen anderen gesellschaftspolitischen Themen auch – ein sehr starkes Schwarz-Weiß-Denken gibt. Ich wünsche mir, dass die Kommunikation lösungsorientiert bleibt. Und dass wir auf den Einzelnen schauen und aufhören zu pauschalisieren. Dass es das wert ist, zeigt mir die ehrenamtliche Tätigkeit. Bei dieser lerne ich unglaublich nette und ambitionierte Menschen kennen, jeden Tag aufs Neue. Das erfüllt mich mit unheimlich viel Freude.