Je länger ich Deutsch lerne, desto größer wird die Auswahl an Möglichkeiten. Viele Möglichkeiten zu haben ist sehr positiv, aber es hat auch eine negative Seite. Wie sieht ein Tag für einen Menschen aus, der Deutsch lernen will und im Zeitalter der tausend Möglichkeiten lebt?
Ein Tag voller Möglichkeiten, aber nur 24 Stunden Zeit
Morgens gehst du in den Deutschkurs, da bekommst du viele Arbeitsblätter und Aufgaben. In der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause machst du natürlich eine von den hundert „Deutsch-Lern-Apps“ auf deinem Handy. Wenn du zu Hause angekommen bist, bist du immer noch motiviert und beginnst die Hausaufgaben und Übungen. Plötzlich merkst du, dass es nicht so leicht ist, wie du gedacht hast. Macht ja nichts, du fragst deine Freunde! Das Problem ist aber, dass du auch schnell wieder vergisst, was dir deine Freunde erklärt haben. Macht nichts, es gibt ja auch noch Lernvideos auf Youtube. Jetzt bist du im Internet, du musst dich entscheiden: Ein deutsches Lernvideo oder doch lieber eine arabische Erklärung? Dann hast du ungefähr fünfzig Videos zum Thema „Grammatik“ gemacht und fünfzig, um neue Wörter zu lernen.
Jetzt hast du schon so viel gemacht, die Hausaufgaben sind immer noch nicht fertig, aber du brauchst jetzt erst mal eine Pause. Da fällt dir aber ein, du könntest ja ins Kino gehen. Du hast gehört, deutsche Filme schauen sei sehr gut, um die Sprache zu lernen. Ist der Film vorbei, fragst du die anderen, um was der Film denn eigentlich ging. Daheim angekommen, musst du nach der langen Pause natürlich wieder an die Schulaufgabe. Du versuchst die Aufgaben endlich fertig zu machen. Da kommt dir die Idee: Dir hat jemand empfohlen, deutsche Audios zu hören. Alles was man hört, kann man sich besser merken…
Oh je, wie konnte das passieren. Du bist eingeschlafen und musst schon wieder ganz schnell in den Kurs. Dort zu spät angekommen denkt dein Lehrer du bist verantwortungslos und faul. Zum Schluss fragt er dich dann: „Warum hast du keine Hausaufgaben gemacht?“
Wie sieht ein Tag im Deutschkurs aus?
Manchmal sieht der Unterricht im Kurs so aus: Der Lehrer war sehr fleißig und hat für jeden Schüler 15 Arbeitsblätter ausgedruckt. Es gibt ein großes Angebot an Arbeitsblättern. Arbeitsblätter mit Lernverben, Grammatik, neuer Wortschatz, Übungen für gleich, Übungen als Hausaufgabe. Man bekommt so viele Blätter, weil das Buch alleine nicht ausreicht, so heißt es! Das ist bestimmt gut gemeint. Zuhause hat man digitales Chaos in Youtube und in der Schule Blätterchaos.
Im Kurs gibt es viele verschiedene Menschen in einer Klasse. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass der große Altersunterschied in einer Lerngruppe oft schwierig ist. So sind die jungen Schüler meist ganz schnell mit den Aufgaben fertig und langweilen sich während sich die älteren schlecht fühlen, weil sie nicht so schnell verstehen wie die jungen. Dann gibt es noch Menschen im Kurs, die zuhause nie eine Schule besucht haben. Nicht nur eine andere Sprache ist also neu für sie, auch das Lernen in der Schule selbst.
Problematisch ist auch, dass viele Lehrer zuvor nur Muttersprachler unterrichtet haben. Dass jetzt so viele Leute in Deutschkurse gehen müssen, bedeutet auch, dass Lehrer ohne DaZ-Erfahrung unterrichten (DaZ: Deutsch als Zweitsprache). Während der verschiedenen Kurse konnte man noch andere Unterschiede bei den Lehrern feststellen. Viele von ihnen stammen selbst nicht aus Deutschland und haben beispielsweise brasilianischen oder russischen Akzent. Das macht das Hörverständnis und das Sprechen-Lernen noch schwieriger für die Schüler. Meist wurde im Tandem unterrichtet. Das bedeutet, dass eine Klasse abwechselnd von zwei Lehrern unterrichtet wird. Heute lernst du also etwas, das morgen vielleicht schon wieder falsch ist, weil sich die Lehrer nicht einig sind.
Eine neue Sprache lernen ist wie kurzfristig stumm sein
Manchmal fragt man sich, was man die letzten zwei Jahre gelernt hat. Man ist jeden Tag zum Kurs gegangen und hat alle Stunden gemacht. Es gibt aber Momente, in denen man sich stumm fühlt. Zum Beispiel sitzt du in einer Gruppe und die Leute reden miteinander. Man kann sie aber trotzdem nicht verstehen. Alles, was man gelernt hat, scheint nicht genug zu sein.
Dann ist es aber auch so, dass man manchmal etwas sagen will, die passenden Wörter lassen sich jedoch nicht finden. Wenn man also in Deutschland beginnt, die Sprache zu lernen, dann ist das so als ob man stumm oder taub wäre. Du fängst an zu beobachten, wie die Menschen sprechen. Was machen deren Augen, Hände, also die Mimik und Gestik. Jemand möchte vielleicht die Computermaus von mir haben. Ich kenne das Wort nicht, aber ich erkenne es an dem Blick des anderen.
Bis heute, auch wenn mein Deutsch besser wird, habe ich mir das beibehalten. Ich kann mich mittlerweile sehr gut in Menschen hineinversetzen, die aus körperlichen Gründen nicht kommunizieren können.
Nur weil man Deutsch kann, ist man nicht unwissend
Es kann beim Deutschlernen auch passieren, dass die Leute vergessen, dass du „nur“ eine neue Sprache lernst. Ich weiß, dass der Mensch beim Atmen Sauerstoff einatmet und Kohlenstoff aus. Ich kenne nur die deutschen Begriffe nicht. Aber wenn du die Begriffe nicht kennst, dann kann es dir passieren, dass du den gesamten Atemprozess erklärt bekommst. Deutsch nicht zu können, verwechseln die Leute oft mit mangelndem Wissen im Generellen. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass die Menschen mir etwas erklären, weil ich Deutsch lerne. Sie geben mir ein Beispiel, damit ich die Wörter lerne und nicht weil ich die Atmung nicht verstanden habe.
Wenn ich aber zurückblicke auf meine erste Zeit in Deutschland und nun diesen fertigen Artikel sehe, den im ich Tandem geschrieben habe, darf ich sagen, dass ich doch schon ganz schön viel gelernt habe.
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Eine Antwort
Sehr schöner artikel