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So übersteht man einen Hate Storm

Was tun bei einem Hate Storm im Netz? Wie reagiert man angemessen auf den Hass, die Drohungen, die Hetze? Gerald Hensel hat es selbst erfahren. Er weiß also aus erster Hand, wie sich so etwas anfühlt, was es mit einem macht, was für Sorgen und Ängste ein solches Ereignis schürt. Und er musste feststellen: Es gibt kaum Anlaufstellen, die Unterstützung und Hilfe anbieten.

Foto von Thalia Theater ©Krafft Angerer

Daher hat er im April 2017 den Verein Fearless Democracy e. V. gegründet, unter anderem mit der Zielsetzung, Betroffene adäquat zu begleiten und zu unterstützen. Was genau Fearless Democracy e. V. macht und wie Gerald Hensel seinen eigenen Hate Storm überstanden hat, das erklärt der studierte Politologe in dem folgenden detaillierten und äußerst bewegenden Interview.

Stellen Sie sich doch bitte einmal kurz vor!
Mein Name ist Gerald Hensel, ich bin Marketingberater mit dem Schwerpunkt digitales Marketing. Seit nun mehr als 22 Jahren bin ich in verschiedenen Werbeagenturen tätig und berate große Marken bei digitalen Transformationsprojekten. Studiert habe ich ursprünglich Politik und Germanistik. Seit kurzem bin ich darüber hinaus der erste Vorsitzende von dem von mir im April 2017 gegründeten Verein Fearless Democracy e. V..

„Wir kümmern uns um die Mechanik hinter dem populistischen Hass“

Wie kam es denn überhaupt zur Gründung dieses Vereines?
Das ist eine etwas längere Geschichte. Ich hatte zuvor die Aktion Kein Geld für Rechts gestartet, das war eine Aktion, in der ich Marken darauf aufmerksam gemacht habe, dass Sie ihre Werbung auf rechten und rechtspopulistischen Seiten schalten und diese dadurch mitfinanzieren. Ich erhielt darauf hin einen zweiwöchigen, wirklich umfangreichen Shit Storm. Ziel dieser Kampagne war es, mich aus meinem Job zu bringen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt ein Team in einer großen Berliner Agentur geführt, eine Ebene unterhalb der Geschäftsführung. Und doch habe ich den Job dann letztendlich tatsächlich gekündigt. Mit der Gründung von Fearless Democracy e. V. möchte ich andere Betroffene dabei unterstützen, so einen Shit Storm zu überstehen. Denn ich weiß, wie schlimm und belastend so etwas sein kann.

Wie groß ist Fearless Democracy e. V. mittlerweile?
Das ist nicht die zentrale Frage. Fearless Democracy e. V. ist kein Verein, der sich über Manpower misst. Und wir haben eine andere Aufgabe als sonstige Vereine. Unsere Aufgabe ist es in aller erster Linie, zentrale und neue Fragen für die Themenbereiche Populismus und digitalen Menschenhass zu formulieren und zu diskutieren. Und Journalisten, Politikern sowie der interessierten Öffentlichkeit die Manipulationsmechanismen darzulegen, die sich dahinter verbergen. Wir kümmern uns also generell um die Mechanik hinter dem populistischen Hass. In Sachen Mitgliederzahl sind wir eher klein und wollen nur mäßig wachsen.

„Wer zwei Wochen lang einmal komplett durch die rechte Gegenöffentlichkeit gejagt wurde, der hat etwas erlebt, was andere überhaupt nicht nachempfinden können“

Was tut der Verein praktisch?
Momentan sehen wir uns wie ein junges, politisches Startup, welches sich um verschiedene, kleinere Projekte kümmert, die dieses Jahr verwirklicht werden sollen. Allen voran unser Projekt HateAid. HateAid ist Deutschlands erste Plattform, die sich intensiv um Opfer von Hasskampagnen im Netz kümmert. Denn wir haben festgestellt, dass es bei einem Hate Storm einfach keine Anlaufstelle gibt, die einen unterstützt, ich spreche da ja aus eigener Erfahrung. Wer zwei Wochen lang einmal komplett durch die rechte Gegenöffentlichkeit gejagt wurde, der hat etwas erlebt, was andere überhaupt nicht nachempfinden können. Deswegen können auch Freunde nicht wirklich behilflich sein. Und die Polizei und die Justiz ebenfalls nicht. Das ist traurig, ist aber die Realität. Hier wollen wir ansetzten: Die Betroffenen sind nicht alleine, wir stehen an ihrer Seite.

Der Hate Storm – eine systematische Rufmordkampagne beginnt

Sie haben es selbst erlebt: Wie fühlt es sich also an, Opfer einer Hasskampagne im Netz zu sein?
So ganz fremd waren mir Shit- und Hate Storms ja nie, ich hatte beruflich schon häufiger mit diesen Phänomenen zu tun, habe Marken betreut, die Hass und Hetze im Netz durchlaufen mussten. Aber persönlich ist es dann doch noch etwas ganz anderes. Natürlich wirkt so ein Hate Storm zunächst befremdlich, wenn man morgens aufwacht und man hat so viel Wut auf dem Screen. Ein Freund von mir hat alles mitverfolgt und festgestellt, dass es zu diesem Zeitpunkt in etwa 1,4 Millionen Tweets über mich gab. Das macht täglich so an die 5000 bis 6000 Beleidigungen, hinzu kamen noch einige Dutzend Morddrohungen.

„Ich hatte jedoch glücklicherweise einen Freundeskreis, der sich hinter mich stellte“

Was war der Inhalt dieser Beleidigungen?
Ziel hinter alle dem war ja, mich aus meinem Job zu kriegen. Weil ich jedoch nicht sofort gegangen bin, wurde im öffentlichen Raum eine Geschichte über mich erzählt. Das Ganze gipfelte in einer systematischen Rufmordkampagne, die jeden Tag wahnsinniger wurde. Mehrere Akteure – sie selber nennen sich Konservative Medien – hatten eine Geschichte um mich herum gesponnen, die sehr persönlich wurde. Man stellte ausgerechnet mich als Nazi und als Zensor da, beleidigte mich bis unter die Gürtellinie. Das war sehr primitiv.

Wie haben Sie sich verhalten?
Zuerst habe ich die Größenordnung dieses Shit Storms nicht absehen können. Denn selbst für hiesige Shit-Storm-Verhältnisse hatte meiner eine durchaus beachtliche Größe und fand auch Niederschlag in den großen Medien. Zu Beginn habe ich das Ganze nicht ernst genommen, so vier, fünf Tage lang. Doch es fing an, eine Belastung sowohl für mein professionelles als auch für mein Privatleben zu werden. Aus den anfänglichen Tweets und Mails wurden zunehmend richtige, ausführliche Artikel über mich. Die Twitter User klauten Bilder von mir, bearbeitet diese mit Photoshop und zweckentfremdeten sie. Es begann dann, sehr anstrengend zu werden. Ich hatte jedoch glücklicherweise einen Freundeskreis, der sich hinter mich stellte. Meine Freunde übernahmen das Lesen der giftigen Beiträge für mich, während ich versuchte, gemeinsam mit meinem Arbeitgeber das Chaos in den Griff zu bekommen.

Warum kann denn die Polizei nicht helfen?
Wissen Sie, die Polizei ist weder inhaltlich noch materiell dazu ausgestattet, zu verstehen, was da eigentlich passiert. Für die Polizei aber auch für die Staatsanwaltschaft ist es, wenn ein beleidigender Tweet oder eine Drohung an jemanden verschickt wird, bestenfalls so, als würde in der Kneipe jemand angerempelt. Die Staatsanwaltschaft sagt häufig, dass das Ganze geringfügig sei. Die Strafen sind für Beleidigungen und selbst für Volksverhetzungen lächerlich niedrig und stehen in keinem Verhältnis zu den PR-Gewinnen, die Rechtspopulisten beim Streuen von Hass und Lügen gewinnen können.
Die Polizei wiederum ist nicht dazu in der Lage, überhaupt auch nur ansatzweise nachvollziehen zu können, wie es sich anfühlt, wenn – wie in meinem persönlichen Fall- 1,4 Millionen beleidigende und drohende Tweets über einen verbreitet werden. Dies ist natürlich etwas ganz anderes, als wenn mich in der Kneipe jemand anrempelt. Nur versteht das die Polizei nicht. Oder sie will es nicht verstehen.
Hinzu kommt, dass die Polizei auch nicht über die Tools verfügt, das Ganze zu messen oder gar Beweise aufzunehmen. Im Übrigen hat die Polizei bisher – und das ist eines der Hauptprobleme – überhaupt nicht die Möglichkeit, entsprechende Untersuchungen einzuleiten. Wenn ich beispielsweise über einen Twitter Account ohne meinen richtigen Namen zu nennen von – sagen wir – Kalifornien aus jemanden beleidige, dann ist der Berliner oder Hamburger Polizist, der hier aktiv werden soll, schlichtweg überfordert. Was soll er also machen?

Hass als Mittel zum Zweck

Was genau versteht man überhaupt unter einem Hate Storm?
Im Grunde genommen ist dies ein Phänomen, welches erst in den letzten zehn Jahren mit dem Aufkommen der sozialen Medien, also Facebook, Twitter und Co, dahergekommen ist. Ein Mensch oder auch eine Institution macht oder sagt etwas, was eine Gruppe von anderen Menschen als empörend empfindet. Danach startet ein sogenannter Shit- oder eben Hate Storm. Beide Begriffe sind geläufig. Wir haben jedoch bewusst die Begrifflichkeit Hate Storm gewählt, weil es genau darum geht: um Hass.
Der Hate Storm ist ein neues Phänomen, wo politische Akteure bewusst Hass gegen etwas oder jemanden schüren, der für sie ein Problem darstellt. Dieses Prinzip gibt es in der Tat so erst im ganze großen Stil seit zwei Jahren. Der Shit Storm dagegen ist altbekannt. Inhalt dieses Hate Storms sind sowohl Beschwerden als auch Angriffe. Es kommt also viel Gegenrede auf und das in Form von lawinenartiger, negativer Kritik.

Und wie lange dauert so ein Hate Storm durchschnittlich?
Also, meiner dauerte – wie schon erwähnt – zwei Wochen, weil ich mich so schnell nicht aus meinem Job habe drängen lassen. Denn das war ja das Ziel.
Mittlerweile gibt es kleine, mittlere und eben große Hate Storms. Bei Jan Böhmermann beispielsweise hat das Ganze ja auch länger gedauert. Aber es gibt auch die ganzen kleinen Frechheiten, an die wir uns Tag für Tag immer mehr gewöhnen, sie lösen kaum noch Empörung bei uns aus. Bestes und prominentestes Beispiel ist hier der Tweet über Noah Becker, der von dem AFD-Abgeordneten Maier als „Halbneger“ bezeichnet wurde. Für uns werden solche Posts nach und nach zur Normalität, leider und erschreckenderweise.

„Die Gruppe, die gezielt rechte, digitale Manipulationen verbreitet und publiziert, ist relativ geschlossen“

Welche Personengruppen sind besonders anfällig für einen Hate Storm?
Oh, ich glaube, dass das ganze Phänomen Hate Storm noch viele wissenschaftliche Untersuchungen braucht. Ich würde jetzt den gleichen Fehler wie viele andere machen, würde ich an dieser Stelle ungeprüfte Wahrheiten verkünden. Bei dem, was ich gelesen habe und was ich persönlich auch glaube und täglich in unserem Community Management erlebe, gibt es schon eine bestimmte Gruppierung Mensch, die anfälliger für solche Geschichten ist als andere. Und genau hier, genau an dieser Stelle ist es ganz wichtig, klar zu differenzieren, wer überhaupt Sender und wer der Empfänger ist.
Die Gruppe, die gezielt rechte, digitale Manipulationen verbreitet und publiziert, ist relativ geschlossen. Sie ist sicher im Umgang mit Medien, das sind keine dummen Leute. Die wissen genau, wie man eine Lüge so verbreitet, dass sie auch rechtlich halbwegs abgesichert ist. Die Empfänger halte ich selbst eher für Männer über 50 Jahre, die so in den letzten zwei Jahren bei Facebook angefangen haben, aktiv zu werden. Aber wie gesagt, das ist nur meine Sicht der Dinge.

Jeder kann zur Zielscheibe werden

Sollten Betroffene auf einen Hate Storm reagieren?
Das ist ja Teil unserer Arbeit. Wohlgemerkt, wir sind noch relativ jung, haben aber in diesem Jahr viel vor, speziell in diesem Bereich. Unterstützung finden Betroffene auf unserer Seit HateAid.me. Das Ganze muss man derzeit als eine Art Prototyp sehen, den wir natürlich noch ausbauen wollen. Wir glauben, dass es erstens keine generelle Empfehlung dafür gibt, wie mit so etwas umzugehen ist, denn es kann in der Tat jeder zur Zielscheibe von Hass werden.
Die Zeiten sind vorbei, dass das ein exklusives Recht von Ministern und Politikern war. Es kann den Flüchtlingshelfer, den Journalisten oder auch den Bürgermeister treffen. Das ist bei uns alles schon vorgekommen. Es ist wichtig, dass man seine eigene Geschichte bestimmen kann. Und man sollte sich die Frage stellen, inwieweit man den Hate Storm kontrollieren will, falls so etwas wie Kontrolle überhaupt möglich ist.
Eine weitere Möglichkeit wäre natürlich auch, den eigenen Account für eine Weile zu schließen, ihn aus dem Netz zu nehmen. Ich habe das nicht gemacht, sondern habe mich an die großen Medien gewandt. Ich kann aber durchaus verstehen, wenn Betroffenen da anders reagieren. Letztendlich muss man sich sichern, darf keine Freunde und Familienmitglieder kompromittieren, muss den Stress aushalten und sich selber managen, sich und die eigene Geschichte.

„Sie wollen Kontrolle über dich, Kontrolle und Macht“

Welche Ziele verfolgen diejenigen, die einen Hate Storm inszenieren?
Ich habe letztens einen Artikel gelesen, den fand ich ganz interessant, da ging es um Bullys, also Schüler, die ihre Mitschüler massiv bedrohen und einschüchtern. Und genau solche Bullys gibt es im Netz auch: Sie wollen Kontrolle über dich, Kontrolle und Macht. Es geht darum, dass kleine Selbstbewusstsein durch Demütigungen zu befriedigen, aufzubauen.
Das hat speziell bei manchen rechten Gruppierungen im Netz vor allem den Vorteil, dass es nicht nur darum geht, einen politischen Gegner auszuschalten, sondern vielmehr darum, der eigenen Gruppierung ein Gefühl von Macht zu geben. Und wenn dann noch festgestellt wird, dass diese Masche erfolgreich ist, na dann wird doch erst recht weitergemacht!

Wie stehen die Chancen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen?
Langsam besser, ehrlich gesagt. In diese Richtung tut sich derzeit sehr viel und gerade in diesen Wochen ist das Netz DG, also das Netzdurchsetzungsgesetz, in aller Munde. Ich persönlich halte es für nicht sehr gelungen. Es hat zwar einige wenige gute Komponenten und auch die ursprüngliche Idee dahinter ist als durchaus positiv zu bewerten, es hat jedoch leider auch sehr viele negative Bestandteile.
Doch beginnen wir zunächst einmal mit den positiven Aspekten. Toll ist, dass es den großen sozialen Plattformen aufzwingt, ihre Daten freizugeben, sollte es zu Beleidigungen und Anfeindungen kommen. Dieses Tool nützt vor allem der Polizei, denn dadurch kann sie die Straftaten besser verfolgen.
Der schlechte Part jedoch ist, dass dieses Gesetz eigentlich nur ein PR-Gesetz ist. Es ist nicht nur schlechtgemacht, sondern auch schlecht durchdacht und weist in vielen Teilbereichen erhebliche handwerkliche Mängel auf. Eigentlich hat der Staat die Aufgabe, Straftaten zu benennen und im Zweifelsfall zu verfolgen. Der Staat tut dies jedoch nicht, sondern gibt das Ganze an – sagen wir Facebook – weiter. Als eine weitere fatale Folge haben Facebook oder auch Twitter hier in Deutschland logistisch gar nicht die Möglichkeit, solche Anforderungen adäquat zu bearbeiten.
Wie löst man dieses Problem nun also? Man setzt Algorithmen ein, einen Filter, der versucht, Themen herauszufiltern. Ein solcher Algorithmus ist jedoch nicht in der Lage, beispielsweise einen satirischen Titanic-Artikel von einem Beatrix von Storch Post zu unterscheiden. In der jüngsten Vergangenheit habe ich mit vielen verschiedenen Tools gearbeitet, die versuchten, Meinungen im Netz zu erfassen und zu filtern.
Mein Fazit lautet wie folgt: Algorithmen sind viel zu unterentwickelt, können längst nicht alles, was uns die großen Technik-Konzerne glauben machen wollen. Die Folge des Netz DG′s wird sein, dass bei Facebook Beiträge verborgen werden, ohne dass wir dies selbst moderieren. Es wird so getan, als würde im großen Stil zensiert werden.
Doch was verstehen wir überhaupt unter Zensur? Denn das, was wir gerade erleben, ist vielmehr eine komplett überforderte Institution und nicht unbedingt Zensur. Und: Diese Institution zensiert im Zweifel eher mehr als weniger.

Welche juristischen Schritte können eingeleitet werden?
Der Stand ist momentan folgender: Die Betroffenen wenden sich direkt an die sozialen Medien und lassen sperren, wenn dazu die Möglichkeit besteht.
Die zweite Möglichkeit ist es, zur Polizei zu gehen und Strafanzeige zu stellen.

Was sind die Ziele von Fearless Democracy .V. ?
Wir haben mehrere Hauptziele für dieses Jahr. Zunächst einmal wollen wir Manipulation und Hass im Netz offenlegen und die Betroffenen unterstützen. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, Gegenmaßnahmen zu diesen Hasskampagnen zu entwickeln.

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