Elementar für alle Seefahrer und ein Ausdruck der Menschlichkeit ist die Pflicht, in Seenot geratenen Schiffen und Booten Hilfe zu leisten. Bereits 1956 wurde diese positiv-rechtliche Pflicht von der Völkerrechtskommission bekundet. Mittlerweile ist das Recht der Seenotrettung in der „Seerechtskonvention der Vereinten Nationen“(SRÜ von 1994), im „Internationalen Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See“(SOLAS von 1974) und im „Internationalen Abkommen über Seenotrettung“ (SAR von 1979) festgelegt.
Pflicht zur Rettung von in Seenot geratenen Menschen
Die Pflicht zu retten obliegt grundsätzlich den Kapitänen jener Schiffe, die sich in unmittelbarer Nähe zum Unfallort befinden und zwar unabhängig davon, wo der Unglücksfall geschehen ist (auf hoher See oder nahe der Küste). Sie müssen Schiffbrüchigen unverzüglich zur Hilfe eilen. Eine Legaldefinition für „Seenot“ gibt es allerdings nicht. Es wird aber angenommen, dass eine solche Situation vorliegt, wenn aus Sicht eines erfahrenen Seemanns die begründete Gefahr besteht, dass Besatzung oder Passagiere ihr Leben verlieren. In Artikel 9 Absatz 2 lit.f der Frontex-Verordnungder EU (656/2014) werden noch weitere Fallkonstellationen aufgezählt, wie etwa:
Ein eventuelles Verschulden, z.B. durch bewusstes Überladen des Bootes hat auf die primäre Hilfspflicht keine Auswirkungen.
Eine Hilfsleistung in der Nähe des Festlands ist noch leicht zu organisieren, wird aber auf hoher See schwierig. Deshalb wurden die Ozeane in 13 sogenannte Such- und Rettungsregionen eingeteilt und den Küstenregionen besondere Verantwortungen auferlegt (SAR-Übereinkommen): Nachbarstaaten sollen sich vernetzen, Rettungseinrichtungen koordinieren, gemeinsame Standards schaffen und Einsätze untereinander koordinieren, Rettungsleitstellen sollen gebildet werden, ausgebildetes Personal bereitgestellt werden. Die Küstenstaaten müssen diese Pflichten untereinander in bilateralen Verträgen regeln. Hunderte von solchen Einzelverträgen sind im Archiv der in London sitzenden International Maritime Organisation (IMO) registriert.
Was ist für Küstenstaaten aus völkerrechtlicher Sicht maßgeblich?
Für die Frage nach den völkerrechtlichen Rechten und Pflichten eines Küstenstaates ist es maßgeblich, in welchen Gebieten das Schiff der jeweiligen Küstenwache operiert:
„Die Freiheit der Hohen See umfasst u.a. die Freiheit der Schiffahrt“
Wohin werden die Schiffbrüchigen gebracht?
Nach Art 33 der Genfer Flüchtlings Konvention darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete aus– oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (sog. Grundsatz des non-refoulement). Die Geretteten sind nach dem Seevölkerrecht nicht unbedingt in den nächsten Hafen sondern in angemessener Zeit an einen sicheren Ort zu bringen. „Sicher“ ist nach dem Recht nur ein Ort, „an dem das Leben der Überlebenden nicht mehr weiter in Gefahr ist und an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse (wie zum Beispiel Nahrung, Unterkunft und medizinische Bedürfnisse) gedeckt werden“. In Libyen ist das zur Zeit nicht gewährleistet. Die libysche Küstenwache hält sich allerdings nicht daran – Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet. Europäische Schiffe – auch private Rettungsschiffe – sind dagegen verpflichtet, die Geretteten an einen sicheren Ort zu bringen.
Menschenrechte dürfen nicht zur Disposition stehen
Immer häufiger wird aber privaten Seenotrettungsbooten, die Geflüchtete aufgenommen haben, die Einfahrt in sichere europäische Häfen verwehrt. Die Schiffe werden festgehalten, Kapitänen und Mannschaften strafrechtliche Konsequenzen angedroht. Küstenstaaten müssen ihre Häfen, die ja ihrer uneingeschränkten Souveränität unterstehen, nicht für die Ausschiffung von Migranten zur Verfügung stellen. Im Völkerrecht ist gewohnheitsrechtlich festgelegt, dass ein Nothafen angelaufen werden kann, setzt aber voraus, dass sich das Schiff ( hier ja dann das Rettungsschiff) in einer Notlage befindet. Die kann durch die Aufnahme von Schiffbrüchigen bedingt sein. Die Ausschiffung ( =das Anlandgehen) dieser Menschen im Nothafen ist aber keine notwendige Folge, falls der Küstenstaat auf andere Weise Hilfe leistet wie etwa Nahrungsmittel und medizinische Versorgung zur Verfügung stellt.
Hier ist eine politische Lösung gefragt: Dass sich die Problematik derzeit vor allem in Bezug auf private Rettungsschiffe zuspitzt, liegt nicht zuletzt daran, dass staatliche bzw. europäische Seenotrettungsprogramme eingeschränkt worden sind. Dass das internationale Flüchtlingsrecht und die Menschenrechte bestimmten Personengruppen Schutz gewähren, darf nicht zur Disposition stehen.
Vergleiche auch: Matz-Lück, Nele: Seenotrettung als völkerrechtliche Pflicht: Aktuelle Herausforderungen der Massenmigrationsbewegungen über das Mittelmeer, VerfBlog, 2018/8/18
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