Im letzten Semester konnte ich im November 2019 in der Ringvorlesung im Curriculum „Friedensbildung“ der Uni Hamburg einen Vortrag der Rechtsanwältin Annette Schmidt besuchen. Er hatte den Titel „Seenotrettung versus internationales Seerecht“. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus über das Gesetz des Meeres möchte ich gern mit euch teilen.
Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot
Die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot ist als Ausdruck der Menschlichkeit tief in der jahrhundertealten, maritimen Tradition verankert. Sie gilt als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht in jedem Bereich der See.
Der klassische Fall einer Seenotrettung betraf Seefahrer*innen, die auf ihrer Route mehr oder weniger zufällig Schiffe in Gefahr antrafen. Schon allein die Genfer Flüchtlingskonvention, die Anti-Folter-Konvention und die Menschenrechtskonvention (Siehe auch Hier) hindern staatliche Schiffe Europas daran, aus Seenot gerettete Menschen nach zum Beispiel Libyen zurückzubringen, ohne dass man vorher ihre Schutzbedürftigkeit sorgfältig überprüft hat.
Man kann diskutieren, ob private Seefahrer*innen auch an das „Non-Refoulement-Prinzip“, den Grundsatz der Nichtzurückweisung im Völkerrecht, gebunden sind. In jedem Fall befinden sie sich in der Pflicht, gerettete Personen an einen sicheren Ort zu bringen. Ein sicherer Ort ist mehr als nur ein trockener Boden unter den Füßen. Dass Libyen kein sicherer Ort ist, weiß man in der EU. Demnach, so berichtete Annette Schmidt es uns, verstößt es gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, aus Seenot gerettete Menschen nach Libyen zurückbringen. Das gleiche gilt, wenn man Boote mit Geflüchteten an der Weiterfahrt hindert, bis die libysche Küstenwache sie einholt. In der Realität praktizieren dies momentan häufig italienische Schiffe.
Klärung von Vorurteilen
Schmidt widersprach in ihrem Vortrag weit verbreiteten Vorurteilen, z.B., dass NGOs für die Schlepperei mitschuldig sind. Dabei wies sie darauf hin, dass die libysche Küstenwache und Küstenwachen anderer nordafrikanischer Länder selbst in das Schleppergeschäft verwickelt seien. Deshalb hätten die Seenotrettungs-Schiffe häufiger versucht, die Boote der Geflüchteten nach deren Rettung zu zerstören, damit sie nicht erneut verwendet werden können.
Die Forderung, die NGO-Schiffe sollten die geretteten Menschen zurück nach Afrika bringen, bedenkt nach Schmidt nicht, dass es verboten ist in die territorialen Hoheitsgewässer an der nordafrikanischen Küste einzudringen. Dies kann zum einen mit langjährigen Haftstrafen wegen Schlepperei geahndet werden undzum anderen können die Küstenwachen schlimmstenfalls mit Waffengewalt reagieren. Darüberhinaus verstößt das Zurückbringen der Geflüchteten gegen das internationale Völkerrecht.
Auch über das Vorurteil, NGO-Schiffe würden unerwünschte Migrant*innen nach Europa bringen, klärte Annette Schmidt auf. Dadurch, dass NGO-Schiffe einen Code of Conduct unterzeichnen müssen, was die EU bestimmt hat, sind sie gezwungen, gerettete Menschen nach Europa statt in ein anderes sicheres afrikanisches Land zu bringen.
Seenotrettung als Bestandteil der Menschenrechte
Vor allem junge Männer überleben die Überfahrt übers Mittelmeer nach Europa im Gegensatz zu Frauen und Kindern. Deshalb sind sie auf den Flüchtlingsbooten am stärksten vertreten. Die NGO-Schiffe sind, laut Schmidts Aussage, kein Pull-Faktor für flüchtende Menschen, wie häufig kritisiert wird. Die Rettungseinsätze begannen erst, nachdem bereits mehrere Zehntausend Menschen im Meer ertrunken waren. Sie sind zudem durch das Internationale Seerecht verpflichtet zu retten, sobald sie erfahren, dass Menschen in Seenot in der Nähe sind. Wenn sie dies missachten, kann es langjährige Haftstrafen geben. Wenn man von diesen gesetzlichen Grundlagen ausgeht, ist Seenotrettung ein wichtiger Bestandteil der Menschenrechte Europas.
Diese Artikel hat erstermal auf Civic Engagement Blogs Uni Hamburg veröffentlicht.