Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) engagiert sich für eine nachhaltige deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Die 1955 gegründete Organisation ist parteipolitisch unabhängig und prägt als Forschungs- und Mitgliederorganisation die außenpolitische Debatte in Deutschland. Das Forschungsinstitut der DGAP betreibt handlungs- und praxisorientierte Forschung. Mit mehr als 30 Expertinnen und Experten bietet es Expertise für strategische Lösungen in einer instabileren Welt. Die DGAP wird u.a. durch das Auswärtige Amt, Robert Bosch Stiftung GmbH, Mercator GmbH und die BAMF gefördert. Die aktuellen Themenschwerpunkte sind u.a. die Migration. Zu diesem Thema erschien am 26.05.2020 folgende Studie unter dem Titel „Analyse zu Rückkehr und Abschiebung von Migranten aus Deutschland“. Sie wird nachfolgend auf der Basis von Texten der Autorinnen Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig in Auszügen vorgestellt.
Trotz wiederholter Gesetzesverschärfungen lebt heute eine Viertelmillion Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Das sind doppelt so viele wie 2013. Im Jahr 2019 reisten nur rund 13.000 Personen freiwillig aus. Etwa 22.000 Menschen wurden abgeschoben. Jede zweite Abschiebung scheitert. Warum so wenige ausreisepflichtige Menschen Deutschland verlassen, erklärt die DGAP in dieser Studie und gibt zehn Handlungsempfehlungen für eine effizientere und menschlichere Rückkehrpolitik. Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig zeigen die zentralen Probleme bei Rückkehr und Abschiebungen auf:
- Scheitern von Abschiebungen: Sie scheitern oft daran, dass Menschen sich wehren oder gar selbst verletzen oder daran, dass die Herkunftsländer nicht kooperieren. Die tatsächlichen Zahlen aber sprechen eine andere Sprache. Mehr als 9 von 10 Abschiebungen scheitern eher laut Regierungsstatistik an „Stornierungen“ und „nicht erfolgter Zuführung“. Doch dies sind wenig aussagekräftige Kategorien. Sie lassen kein Urteil zu, ob die Verantwortung für das Scheitern bei deutschen oder ausländischen Stellen liegen. Statistisch ist es auch nicht belegbar, wie oft Menschen untertauchen, um sich der Abschiebung zu entziehen.
- Die freiwillige Rückkehr ist politisch und gesellschaftlich beliebter als Abschiebungen, da sie menschlicher und kostengünstiger ist. Aber trotz hoher 2. Investitionen bleiben die Zahlen der Rückkehrer relativ niedrig. Das liegt zum Teil daran, dass gute und erreichbarer Beratung nicht immer gegeben ist. Zum anderen sinkt die Zahl der Freiwilligen umso mehr, je unsicherer, ärmer und unfreier ihr Heimatland ist. Mittlerweile sind der Irak und Afghanistan die Hauptherkunftsländer der Ausreisepflichtigen mit einem begrenzten Potential für die freiwillige Rückkehr.
- Die Rückkehrpolitik ist ein föderaler Flickenteppich, in dem Hunderte von staatlichen Akteuren uneinheitlich vorgehen. Dies erweckt den Eindruck, Entscheidungen seien unfair und es würden „immer die Falschen abgeschoben“. Dazu kommt, dass vier von fünf Ausreisepflichtigen im Besitz einer Duldung sind und somit zeitweise nicht abgeschoben werden können. Die Ausreisepflicht ist eher eine theoretische Pflicht als eine praktische Verpflichtung.
Vergleichbarkeit, Transparenz und mehr verbindliche Standards sind nötig
Die Autorinnen schlagen folgende Lösungen vor, um die Rückkehrpolitik einheitlicher und menschlicher zu gestalten:
a. Die Verantwortlichkeiten von Bund und Länder sollen strukturell reformiert werden. Die Bundesländer sollen die Zuständigkeiten stärker bündeln und entsprechende Stellen finanziell und personell adäquat ausstatten. Das Training der Vollzugsbeamten sollte auf Bundesebene zentralisiert werden. So ließe sich sicherstellen, dass alle Beamten eine vergleichbare und hochwertige Ausbildung erhalten, bevor sie in diesem sensiblen Bereich der Abschiebung tätig werden.
b. Bundes- und Landesakteure (BMI, BAMF etc.) sollten aktuelle und vergleichbare Daten erheben und sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Alle sollten vergleichbare Zahlen zur geförderten Rückkehr vorlegen. Zu klären ist, woran Abschiebungen im Einzelnen scheitern. Die unklaren Kategorien „Stornierung“ und „nicht erfolgte Rückführung“, an denen mehr als neun von zehn Abschiebungen scheitern, brauchen eine genauere Aufschlüsselung.
c. Zahl und Dauer der Duldungen sollten reduziert werden. Fälle, in denen der Staat die Ausreisepflicht über lange Zeit nicht vollziehen kann, sollten zu einem regulären Status führen (Wege aus der Duldung). Die Durchsetzung der Ausreisepflicht bestimmter Gruppen sollte aber priorisiert werden. Regularisierung und Rückkehr sollten die zwei Pfeiler für eine ausgewogene Strategie sein.
d. Das Potenzial für freiwillige Rückkehrer sollte durch einheitliche und verbindliche Standards der Beratung gestärkt werden. Dazu gehört eine verpflichtende Ausbildung für Berater und eine langfristige finanzielle Ausstattung der Beratungsstellen.
e. Ein effektiveres System der Beobachtung der Abschiebungen sollte etabliert werden. Das aktuelle punktuelle Monitoring ist unzureichend. Eine unabhängige staatliche Stelle sollte die Abschiebungen flächendeckend beobachten. Darüber hinaus sollte eine neutrale Ombudsperson Rechtsbrüche sammeln und überprüfen.
Nutzen von Anker-Einrichtungen fraglich
f. Strategische Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern: Die Rückkehrkooperation sollte auf fundierten Analysen fußen, statt darauf, wo „die Tür offensteht“. Positive Anreize für Kooperation sind wichtig. Aber auch rote Linien sind zu definieren, deren Überschreiten negative Folgen nach sich zieht.
g. Der Fokus der Rückkehr- und Reintegrationsprogramme sollte auf Sach- statt Geldleistungen und auf Jobbeschaffung liegen statt nur auf Ausbildung. Ein Monitoring von Rückkehrern sollte Standard sein. Auch die Zusammenarbeit mit denen könnte glaubwürdiger wirken als mit offiziellen Stellen.
h. Kosten und Nutzen neuer Abschiebehaftplätze sollten überprüft werden, bevor der neue Ausbau gefordert wird. Beim relevanten Kriterium, die wesentlich höheren jährlichen Haftkapazitäten, ist zu prüfen, wie weit diese ausgelastet sind. Wegen der hohen finanziellen und menschlichen Kosten von Abschiebehaft sollten pragmatische Alternativen diskutiert und genutzt werden.
i. Das Konzept der Anker-Einrichtungen sollte kritisch überprüft werden. Der bisherige Nutzen fällt bescheiden aus (geringfügige Verkürzung des Asylverfahrens). Die finanziellen und menschlichen Kosten sind jedoch hoch (Gewalt, Isolation).
j. Die deutsche Gesellschaft sollte rhetorisch abrüsten. Die Debatte ist geprägt von Emotionen, Moral, Angst und Vorwürfen. Wir brauchen eine größere Wertschätzung der Menschen, die im Bereich Rückkehr arbeiten. Das gilt für Behörden ebenso wie für die Zivilgesellschaft. Das Thema Rückkehr wird auf Jahrzehnte hinaus in der politischen Debatte Deutschlands relevant bleiben.
Rückkehr sollte nicht länger „Schmuddelthema“ sein
Nach Meinung von Rietig und Günnewig sollte die Rückkehr nicht länger ein „Schmuddelthema“ sein. Das Thema ist Teil einer funktionierenden Migrationspolitik und braucht eine entsprechende Anerkennung.
Die von der Stiftung Mercator geförderte Studie basiert auf knapp 30 Interviews, die zwischen Juli 2019 und Mai 2020 stattfanden. Die Autorinnen haben in zwei Abschiebehafteinrichtungen und einen Anker-Zentrum in Bayern recherchiert. Beobachtet haben sie außerdem eine Ausbildung der Bundespolizei zur Vorbereitung von Beamten auf Abschiebeflüge.
Die komplette Analyse mit Quellenangaben:
Zur DGAP:
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