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Neutrale Forschung oder Politik? Die Mitte-Studie im Fakten-Check

Forschung soll neutral sein. Das ist ein allgemein akzeptierter Grundsatz. Doch was bedeutet Objektivität? Und wann überschreiten Forscher*innen die Grenze zur Politik? Diesem Vorwurf sahen sich die Autor*innen der Mitte-Studie ausgesetzt, die alle zwei Jahre rechte Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft untersucht. Es hieß: Die Forscher*innen fanden das heraus, was sie herausfinden wollten. Wir haben mit Prof. Dr. Andreas Zick, dem Leiter der Studie, gesprochen und seine Antworten einem Fakten-Check anhand der Studie unterzogen.

FM: Ihre Studie liest sich auf den ersten Blick so, als wollten Sie die Bevölkerung warnen und verhindern, dass sich Rechtspopulismus weiter verfestigt. Ist das ein Motiv, dass sie mit der Studie verfolgen?

AZ: Nein, mit der Studie haben wir nur ein Motiv: Eine empirische Analyse der Verbreitungen und Zusammenhängen von Überzeugungen – die nach allen Kriterien geprüft werden und die sämtlich transparent und nachprüfbar dokumentiert werden – der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, um Diskussionen zu ermöglichen, die auf empirischen Daten berufen. Ein Beispiel: Die Öffentlichkeit und Politik diskutieren, ob die Gesellschaft nach rechts oder links gerückt ist. Wir haben die Befragten selbst gefragt. Wir wollen prüfen, inwieweit Meinungen am Rand in der Mitte verhaften. Mich interessiert die Stabilität von Demokratie, die Ursachen von Vorurteilen. Andere Forscherinnen und Forscher interessieren andere Aspekte.

Fakten-Check: An dieser Stelle ist es wichtig, einen Grundsatz der empirischen Sozialforschung heranzuziehen: Die Ergebnisse einer Studie müssen vor dem Hintergrund ihrer Fragestellung bewertet werden. Wer nach rechtsextremen und –populistischen Einstellungen fragt, wird darauf eine Antwort bekommen – auf andere Fragen, z.B. nach Linksextremismus, jedoch nicht. In der Studie werden verschiedene Zusammenhänge untersucht, die ein Gesamtbild ergeben. Es zeigt, dass bestimmte Einstellungen sich in der Mitte der Gesellschaft festsetzen. Die Forschergruppe stellte die Frage „Kann angesichts bestimmter Faktoren von einem Verlust der Mitte gesprochen werden?“ und hat sie auf Grundlage ihrer Daten mit „Ja“ beantwortet. Die Mitte ist laut den Autor*innen dann in Gefahr, wenn „ihre sie einigende Qualität verloren geht und sie sich auf antidemokratische Ränder zubewegt“.

Es ist also weder das Ziel einer solchen Studie, die Bevölkerung zu warnen noch sie zu loben, wie es Sigmar Gabriel forderte. Eine wissenschaftliche Untersuchung bringt Ergebnisse auf Grundlage ihrer Fragestellung und ihrer Ausgangshypothesen hervor.

FM: Als Flüchtling-Magazin interessieren wir uns besonders für die Ressentiments gegenüber Asylbewerber*innen, die laut Ihrer Studie weit verbreitet sind. Erstaunt waren wir darüber, dass auch unter den jüngeren Menschen die ablehnende Haltung noch so groß ist. Wie schätzen Sie die Ablehnung von Asylbewerber*innen ein, v.a. in den unterschiedlichen Altersgruppen?

AZ: Wir beobachten in der Mitte-Studie, wie aber auch in einer anderen Studie (ZuGleich), dass negative Stereotype und Vorurteile gegenüber Asylsuchenden und Geflüchteten viel weiter verbreitet sind als wir annehmen. Wir beobachten, dass nach der heftigen Debatte um die Migration und die Grenzen das Vorurteil bleibt, weil das negative Bild die Diskussion bestimmt hat. Dass Vorurteile nach der Zuwanderung steigen und nicht während der Migration, ist bekannt. Jetzt können wir es empirisch zeigen.

Dass die Studie Asylstudie genannt wird, ist Zeichen der Schieflage, nicht Ausdruck einer Kritik. Aus der Akkulturationsforschung ist bekannt, wie schwerwiegend für die Integration Vorurteile gegenüber Gruppen sind. Sie bremsen Integrationsprozesse. Die Mitte-Studie regt dazu an, diese Stereotype und Vorurteile ernst zu nehmen. Die Korrelation der Meinungen zu Geflüchteten und Asylsuchenden zu Rechtspopulismus, -extremismus und neurechten Einstellungen, wie auch Gewaltbilligungen sprechen eine klare Sprache. Leider wird die Auseinandersetzung damit jedoch nun davon überdeckt, dass diskutiert wird, ob wir etwas unterstellen. Ich denke, der Umgang mit der Studie ist mehr Symptom als kritische Auseinandersetzung. Schade, aber auch ein Zeichen der Zeit.

Fakten-Check: Die Schieflage, die Prof. Dr. Zick anspricht, wird auch in der Mitte-Studie selbst thematisiert. Ein wichtiger Zusammenhang, den die Studie aufzeigt, ist der zwischen feindlichen Einstellungen gegenüber bestimmten Gruppen und einer generellen Skepsis gegenüber der Demokratie. Ein Großteil der Bevölkerung befürwortet die Demokratie an sich, doch: Wer Vorurteile hat und bestimmte Gruppen abwertet, zweifelt gleichzeitig oft stärker daran, dass die Demokratie die beste Staatsform ist. Die Zustimmung zu Demokratie und den Werten des Grundgesetzes bei gleichzeitiger Ablehnung von asylsuchenden Menschen scheint erst einmal paradox. Die Mitte-Studie zeigt allerdings, dass die Abwertung dieser Gruppe trotzdem verbreitet ist und deshalb funktioniert, weil sie als normalisiert wird. Hier zeigt sich genau die Verschiebung des Diskurses, auf die die Forschergruppe aufmerksam macht: Menschenfeindlichkeit wird in der Öffentlichkeit nicht mehr als solche bezeichnet, sondern als berechtigte Kritik an einer Menschengruppe „verpackt“. Diesen Vorwurf hört die Mitte allerdings nicht gerne.

Fazit: Was schon in der Einleitung zur Mitte-Studie bemerkt wird, zeigte sich in der Diskussion im Anschluss an ihre Veröffentlichung: Wer sich der Mitte zugehörig fühlt, will nicht aus ihr verdrängt werden, weil er Ansichten vertritt, die mit ihrer demokratischen Ausrichtung eigentlich nicht vereinbar sind. Dafür werden Expertisen in Frage gestellt und fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse als Unterstellung bezeichnet. Die Methoden und Ergebnisse einer solchen Untersuchung müssen immer hinterfragbar bleiben. Allerdings gilt in diesem Fall: Die Zahlen sprechen für sich und die Mitte der Gesellschaft wird sich damit auseinandersetzen müssen, wo sich menschenfeindliche Diskurse normalisieren und antidemokratische Haltungen Einzug halten.

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Anna hat Medienwissenschaften studiert und promoviert in der Erwachsenenbildung. Bei kohero koordiniert sie die Online-Redaktion. In ihrem zweiten Job arbeitet sie für eine Hamburger Stiftung als Projektkoordinatorin eines Weiterbildungsprogramms. „kohero ermöglicht mir, online und offline gemeinsam mit tollen Menschen für gesellschaftlichen Zusammenhalts zu kämpfen. Jede*r hat eine Geschichte zu erzählen – dieses Motto des Magazins ist für mich die Grundlage dafür!“

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