„Man ist immer aufgeregt“, erzählt Allaa Faham. Bereits kurz nach seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2015 wurde der 23-Jährige bei Life back Home aktiv. Inzwischen berichtet er schon über vier Jahre an Schulen von seinen Erlebnissen. Der Student ist einer von über 25 Bildungsreferent*innen, die bundesweit für das Projekt im Einsatz sind. Sie wollen kulturelle Barrieren überwinden und ein Gespräch mit Geflüchteten statt über sie initiieren. Seit 2016 führt das von The Global Experience e.V. ins Leben gerufene Projekt die Workshops in Schulklassen durch. Es vermittelt Schüler*innen Kenntnisse über Fluchtursachen und bringt ihnen entwicklungspolitische Themen näher.
Zu Besuch an Gymnasien, Grund- oder Gesamtschulen
Die Einsätze passen sich Thematik und Altersgruppe an, ähneln sich aber in ihrer Grundstruktur. Meist werden zwei Geflüchtete mit einem/einer Moderator*in an eine Schule entsendet. Workshops beginnen mit einer kurzen Einführung bei der der/die Moderator*in die jungen Referent*innen vorstellt und den Ablauf der Veranstaltung erklärt. Im Fokus stehen anschließend die Geflüchteten selbst. Nacheinander stellen sie ihr Leben vor, während und nach der Flucht in einem Vortrag dar und teilen persönliche Ereignisse ihrer Biografie. „Man sieht in den Augen, wie interessiert manche Schüler*innen alles mitverfolgen“, beschreibt Faham. Natürlich gäbe es je nach Schule und Altersklasse immer unterschiedliche Reaktionen, doch bisher habe er in aller Regel positive Erfahrungen bei seinen Besuchen gemacht.
Unterschiedliche Fluchterfahrungen im Gespräch
Viele seiner Teamkolleg*innen seien über die Balkanroute geflohen, beginnt Faham, als er von seinem Weg nach Deutschland berichtet. Er hingegen habe Glück gehabt. Als das Leben in seiner syrischen Heimatstadt Idlib zu gefährlich wurde, erhielt er ein Visum in Saudi-Arabien. Sein Vater wanderte bereits drei Jahre vor Beginn des Bürgerkrieges nach dorthin aus. Zunächst konnte er seine Schulausbildung abschließen, auf Grund seines Ausländerstatus blieben ihm die meisten Möglichkeiten an Universitäten jedoch verwehrt. Er beschloss, einen Flug nach Deutschland zu nehmen. „Fliegen klingt einfach, war es aber nicht“, betont Faham. Erst nach einem abgelehnten Antrag und mehreren Monaten Arbeit konnte der damals 17-Jährige alleine nach Deutschland einreisen. „In dem Moment war es vielleicht okay, aber jetzt im Nachhinein habe ich immer noch Schockmomente. Ich merke, dass ich noch alles was passiert ist, verarbeiten muss.“. Seine Geschichte sei nicht üblich, aber umso mehr eine relevante Perspektive des Projekts. „Es zeigt ein besseres Bild darüber, wie die Situation wirklich ist und was es für Möglichkeiten gibt“, erläutert er. Das sei der Sinn von Life back Home: Vielfältige Lebensrealitäten von Geflüchteten in Deutschland aufzuzeigen.
Auf die Vorträge folgen meist verschiedenartige Aufgaben zu entwicklungspolitischen Themen. Die Schüler*innen lernen Flucht und Migration in einem neuen Kontext zu sehen. Sie erarbeiten beispielsweise in Kleingruppen einen Fluchtplan, um sich in die Lage von Geflüchteten versetzten zu können. Sie sollen sich laut Faham fragen: „Was würde ich mitnehmen? Wie würde ich fliehen?“
„Es ist aber wichtig, dass sie diese Erfahrung selber machen“
Das Projekt soll allerdings nicht nur über Fluchtursachen und Umstände aufklären. Bevor die Schüler*innen in den Kleingruppen zusammenkommen, haben sie die Möglichkeit, Fragen an die Referent*innen zu stellen. Dabei kommt es oftmals zu Nachfragen, die sich nicht nur mit den individuellen Geschichten der Geflüchteten beschäftigen, sondern allgemeine kulturelle Unterschiede beleuchten. Faham erinnert sich an die häufige Frage: „Trägt deine Mutter eigentlich ein Kopftuch?“. Der Schulbesuch bietet den Schüler*innen eine Chance, tatsächlich in Kontakt mit Geflüchteten zu treten. Das schafft nachhaltiges Verständnis, baut Vorurteile ab und fördert Akzeptanz. „Viele Schüler*innen hören etwas über Flüchtlinge in den Medien oder von ihren Eltern. Es ist aber wichtig, dass sie diese Erfahrung selber machen. Nur wenn sie die Möglichkeit haben, können sie sich eine eigene Meinung bilden“, betont Faham nachdrücklich. Man wolle bei Life back Home keine bestimmte Idee vermitteln, sondern eine Erfahrung bieten, die die Schüler*innen anhaltend prägt.
Für Toleranz und Offenheit
Darüber hinaus profitiert Faham selbst auch von seinen zahlreichen Einsätzen an Schulen. Natürlich habe es ihm geholfen, das deutsche Schulsystem besser zu verstehen und auch in seinem Auftreten selbstsicherer zu werden. Allerdings sei es vor allem die Gelegenheit, in unserer Gesellschaft etwas zu bewirken, die ihn dazu bewogen hat, sich bei Life back Home einzubringen. „Meine ehrenamtliche Arbeit hilft mir dabei, etwas beizutragen und eine Rolle in unserer Gesellschaft zu spielen“, erläutert er. Obwohl er bereits vor seinem Engagement beim Projekt gesellschaftlich aktiv war, nähme sein Ehrenamt einen besonderen Stellenwert ein. Seit 2015 stellt Faham auf YouTube für ihn bedeutende Thematiken in kurzen Videos dar, die inzwischen tausende Menschen anklicken. Doch obwohl man auf diese Weise mehr Leute erreichen könne, sei die individuelle Erfahrung, die das Projekt bietet unersetzlich. „Der persönliche Kontakt hat einen größeren Effekt, weil man anders wirkt. Man kann mehr erzählen, Gefühle besser zeigen und mehr man selbst sein“.
Im Jahr 2020 mussten auf Grund der Pandemie eine Vielzahl von Veranstaltungen wegfallen, die nur teilweise in Online-Workshops umgewandelt werden konnten. Doch Allaa Faham schaut hoffnungsvoll auf weitere Einsätze. Er weiß, wie wichtig seine Arbeit für ein vorurteilsfreies Zusammenleben ist. „Schüler*innen sind die neue Generation. Durch Projekte wie unseres leben wir in Zukunft hoffentlich in einer toleranteren Gesellschaft.“.