„Mein Name ist Aurel und ich bin Lehrer an einer Stadtteilschule. Ich unterrichte seit fast acht Jahren, begonnen habe ich mit den Vorbereitungsklassen, also den Willkommensklassen. Am Anfang habe ich Alphabetisierungskurse durchgeführt. Die Schüler in diesen Kursen konnten noch nicht einmal in ihrer Muttersprache lesen und schreiben und schon gar nicht auf Deutsch.
Der Unterschied zwischen der internationalen Vorbereitungsklasse und der Willkommensklasse
Jetzt bin ich Lehrer für die IVKs, also die internationalen Vorbereitungsklassen. Hier trifft man auf Schüler aus der ganzen Welt, sie kommen aus Afghanistan, Pakistan, Gambia oder Eritrea. Ich gebe vor allem Deutschunterricht kombiniert mit Theater und Musik. Früher hießen die Willkommensklassen Basisklassen. Sie sind für Schüler, die das lateinische Alphabet nicht beherrschen, die vielleicht noch nie eine Schule besucht haben. Viele von diesen Kids wussten beispielsweise noch nicht einmal, was ein Bleistift ist. Daran merkt man dann, dass sie keine oder kaum Bildung in ihrem bisherigen Leben genossen haben. Die internationalen Vorbereitungsklassen dagegen sind für alle Schüler egal, ob sie aus Spanien, Portugal, Afghanistan oder Syrien kommen und egal, wie gut sie schon sind. Der Kurs geht ein Jahr. Erst danach dürfen die Schüler eine Regelklasse besuchen. Viele scheitern am Wortschatz. Sie hatten in ihrem Heimatland vielleicht Biologie oder Geschichte, aber die Fächer sind ja in Südamerika oder dem nahen Osten ganz anders als hier in Deutschland.
Die eigenen Erfahrungen mit den Schülern
Für die Schüler war und bin ich als Lehrer eine wichtige Bezugsperson: Ich bin Vater, bester Freund, Sozialarbeiter und eben Lehrer, weil sie keine richtige Heimat haben. Viele von meinen Schülern wurden auf der Straße aufgegriffen, in Deutschland gilt ja die Schulpflicht. Doch die meisten Kids dachten, dass sie hier nach Deutschland kommen um zu arbeiten, um Geld zu verdienen, damit sie ihre Familien unterstützen können. Meine Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen empfinde ich als sehr bereichernd und es ist ungemein spannend, fremde und neue Kulturen kennenzulernen. Gerade am Anfang hatten wir sehr viele Schüler aus dem arabischen Raum. Wir hatten Angst, dass es in den Pausen zu Streitigkeiten kommt, denn der normale Umgangston unter den Kids ist schon etwas rauer, sie sind einfach ein wenig lauter. Aber ich habe noch nie einen Schüler erlebt, der einer Lehrerin nicht die Hand gegeben hat oder der richtig Stress gemacht hat. Klar hat man als Mann einen Vorteil als Lehrer, man hat einfach einen anderen Stellenwert. Das heißt aber nicht, dass meine Schüler zu Frauen unverschämt sind.
Das Problem mit der Pünktlichkeit
Es fällt den Flüchtlingen oft schwer, Regeln einzuhalten, ein ganz großes Problem ist die Pünktlichkeit. Sie haben Schwierigkeiten, verbindlich, zuverlässig zu sein. Jeden Tag zum Unterricht zu kommen und wenn man nicht kommt, dann rechtzeitig abzusagen. Die meisten Schüler, die ich kennengelernt habe, sind schon Zuhause geblieben, obwohl sie nur leichte Kopfschmerzen hatten. Sie nehmen dann keine Schmerztablette, sondern kommen halt gar nicht. Ihnen fehlt oft der nötige Biss, die Fähigkeit, sich einfach mal zusammenzureißen.
Der familiäre Druck
Meine Schüler haben meistens – gerade, wenn sie aus dem arabischen Raum kommen – so fünf bis sechs Geschwister. Für die Eltern ist es natürlich schwieriger, die deutsche Sprache zu lernen, weil sie eben schon älter sind und nicht so schnell lernen wie ihre Kinder. Viele Eltern denken auch, dass die Schule einen Erziehungsauftrag hat, obwohl die Erziehung eigentlich ihre Aufgabe ist. Viele der Kinder stehen unter einem gewaltigen Druck, weil ihre Eltern erwarten, dass sie nach der Schule studieren, dann arbeiten und Geld verdienen, um die Familie zu unterstützen. Dieser Druck ist für die Schüler nie gut, er macht sie langsam kaputt. Problematisch ist auch die Wohnsituation. Oft leben die Kinder in Wohngemeinschaften oder in einem der Camps. In einem kleinen Container mit vier Geschwistern ist es natürlich schwierig, Hausaufgaben zu machen, es fehlt einfach die nötige Ruhe. Das ist einer der Gründe, weswegen wir keine Hausaufgaben mehr aufgeben. Und trotzdem muss der Stoff zu Hause wiederholt, vertieft werden.
Entwicklungsmöglichkeiten
Die meisten Schüler entwickeln sich gut, sie brauchen einfach einen starken Willen. Vielen ist unser duales Bildungssystem fremd. In Deutschland muss man nicht studieren, man kann auch eine Ausbildung machen, im Handwerk geht das sogar ohne Schulabschluss. Und: eine abgeschlossene Berufsausbildung ist oftmals viel mehr wert als ein Universitätsabschluss. Meine Schüler träumen aber alle davon, Abitur zu machen und zu studieren. Viele schaffen dies nicht und sind dann enttäuscht. Das Scheitern liegt vor allem daran, dass sie erst seit zwei, drei Jahren hier in Deutschland sind. Man muss ihnen Zeit geben, kann nicht erwarten, dass sie sofort das Gymnasium besuchen. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Aber die wenigsten Schüler, die ich kennengelernt habe, schaffen das. Also motiviere ich die Kids, zunächst erstmal eine Ausbildung zu absolvieren. Dafür benötigen sie B1. Das Schwierigste ist nachher die Berufsschule. Daran scheitern die meisten. Sie haben zwar einen Ausbildungsplatz, verstehen aber in der Berufsschule nicht, worum es geht. Ich sage den Schülern immer: „Nehmt euch Zeit!“. Aber wenn jemand wirklich aufs Gymnasium will, dann schafft es das auch. Man muss sich halt einfach hinsetzen, Disziplin haben und lernen. Am Anfang jedoch müssen die Jugendlichen erst einmal hier ankommen und genau deswegen sind die internationalen Vorbereitungsklassen so wichtig.
Traumata verarbeiten
Viele meiner Schüler sind traumatisiert. Es sind halt keine Wirtschaftsflüchtlinge wie diejenigen aus anderen europäischen Ländern, sondern Kriegsflüchtlinge. Das ist ein großer Unterschied. Und es spielt auch eine große Rolle, ob die Jugendlichen alleine hier sind oder mit ihrer Familie. Ich erinnere mich an einen Schüler, der ganz alleine nach Deutschland gekommen ist. Als seine Eltern dann nachgekommen sind, wirkte er wesentlich entspannter. Für die Kinder ist es eine Qual, nicht zu wissen, wie es ihren Eltern geht und was mit ihnen ist. Hinzu kommt die ständige Unsicherheit, ob sie überhaupt hierbleiben dürfen.
Ehrenamtliches Engagement
Ich habe mich schon sehr früh bei Welcome to Barmbek ehrenamtlich engagiert, in einem Flüchtlingsheim, genauer gesagt, in einem Erstaufnahmelager. Dort habe ich Deutschkurse angeboten, immer am Montagabend. Das hat Spaß gemacht und war sehr bereichernd.“
Dieser Artikel wurde mit Sophie im Schreibtandemprojekt geschrieben
2 Antworten
Helden des Alltags, guter Bericht