Im Anschluss hatten wir die Möglichkeit, ein Interview mit dem Protagonisten Tarek Saad und dem Filmemacher Jonas Nahnsen zu führen.
FM: Bitte erzähl uns, warum du der SPD beigetreten bist.
TS: Es war mir wichtig, ein Teil des politischen Systems zu sein. Ich hatte schon viele Freunde innerhalb der Partei. Und ich teile dessen Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, für die ich schon in Syrien gekämpft habe. Ich wurde verwundet und kam nach Deutschland. Die SPD war mein Weg in das politische System. Damals war der Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, den ich kennengelernt habe, ein Mitglied der SPD, und er hat zu mir gesagt: „Hab Vertrauen, alles wird gut!“ Deswegen hatte ich auch eine emotionale Beziehung zu der SPD.
FM: Kann man auch ohne einer Partei beizutreten, Demokratie in Deutschland ausleben?
TS: Klar! Indem man sich ehrenamtlich für Organisationen engagiert, die unabhängig sind. Dass man sich gesellschaftlich stärkt, zum Beispiel für #Fridays For Future oder #Seebrücke. Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass diese Leute, die auf die Straße gehen, die Politik beeinflusst haben. Das ist auch ein Teil der Demokratie.
Aber ich bin auch der Meinung, innerhalb einer Partei etwas umzuschreiben, zu verändern ist ebenfalls wichtig, wenn wir schon in Deutschland ein Parteisystem haben. Für ein gesundes politisches System ist beides wichtig: Leute ohne Parteibuch, die sich engagieren und Leute innerhalb der Partei, die etwas umschreiben. Wenn sie zusammen arbeiten, dann funktioniert es gut. Politiker müssen schon mehr mit den Leuten auf der Straße in Kontakt treten und ihre Perspektiven in den Bundestag mitnehmen. Das ist die Aufgabe der Abgeordneten. Mein Schwerpunkt in der Partei ist Migrations- und Integrationspolitik, ich versuche immer mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
FM: Du hast Tarek bei seinen Parteiaktivitäten begleitet, erzähle bitte davon.
JN: Ich habe dieses Projekt als meine Bachelorarbeit gemacht. Ich habe Medientechnik studiert und dann diesen Dokumentarfilm gedreht. Das war ein No-Budget-Projekt. Das Equipment haben wir von der Uni ausgeliehen. Die Leute haben kostenlos gearbeitet. Innerhalb von sechs Drehtagen haben wir den Film gedreht. Wir waren mit Tarek im Flüchtlingsheim, wo er angekommen ist, wir waren zusammen mit ihm im Landtag, haben Politiker dort besucht und interviewt und dann auf dem Landesparteitag in Neumünster. Wir konnten dort Tarek beobachten, wie er das angeht.
Vorher hat sich alles für mich theoretisch angehört. Wir konnten in diesen wenigen Tagen, die wir mit ihm unterwegs waren, sehr konkret sehen, was er in der Politik macht. Tarek hat das Antragsprogramm durchlesen müssen, während des Parteitags eine Rede gehalten, um für seinen Antrag zu werben. Zwischen den ganzen Anträgen hat er mit Leuten gesprochen. Er hat versucht Mehrheiten zu finden für seine Sache, die er vorantreiben möchte.
Ein paar seiner Freunde aus der SPD haben nochmal betont, dass für Menschen, die nicht aus Deutschland kommen, eine Mitgliedschaft in der Partei auch einfach eine Teilhabe an Gesellschaft heißen kann. Dass du die Möglichkeit hast, mitzubestimmen, mitzuwirken, ernst genommen zu werden. Das kann jeder Mensch anders machen: In Sportvereine gehen, sich privat mit Leuten treffen, in der Schule Leute finden. Tareks Möglichkeit sich hier in Deutschland einzubringen war eben die Politik, und das war sehr spannend zu beobachten.
Persönlich bin ich zwar politisch interessiert, aber hatte nie Ambitionen, mich in der Politik zu engagieren. Ich habe eine politische Meinung, ich gehe wählen, und ich bin interessiert an tagespolitischen Themen. Deswegen war es für mich spannend zu sehen, warum so ein junger Mensch, der genauso alt ist wie ich, das macht. Was treibt ihn an? Tarek bringt eine einzigartige Perspektive mit, er kommt aus einem Land, wo es keine Demokratie gibt, kommt in das Land mit Demokratie und nutzt diese sofort sehr aktiv. Dadurch ist der Wert von Demokratie zu verstehen, was es heißt, seine Meinung frei zu sagen und was es heißt, frei demonstrieren zu können.
FM: Wie erlebst du Demokratie in Deutschland, und wie lebst su sie aus?
JN: Ich möchte, dass die Leute nach diesem Film nicht darüber reden: „Oh ein krasser Flüchtling“, sondern darüber reden: „Wie nehme ich eigentlich Anteil an dieser Gesellschaft? Was mache ich, um mich demokratisch einzubringen?“ Ich selbst habe einen Vorteil: Ich bin ein deutscher Staatsbürger, ich kann alle vier Jahre wählen. Und das mache ich. Für mich ist die Demokratie selbstverständlich und mir fällt es schwer die Frage noch genauer zu beantworten.
TS: Ich finde, dass Jonas die politischen Meinungen der Leute auf die Leinwand bringen kann, ist eine krasse Verantwortung und beeinflusst viel stärker als ein Wahlprogramm der Partei. Denn wenn man Menschen sieht und hört, fühlt man auch und liest nicht nur. Jonas darf jeden Film drehen, den er möchte. Ich denke so lebt Jonas die Demokratie auch aus.
JN: Genau, ich nutze das demokratische System, indem ich die Freiheit nutze mich auszudrücken. Ja, das stimmt, das ist ein Privileg, dass ich das kann. Ich kann die Geschichte erzählen, wie ich will, ohne dass ein Sender sagte, gut, so können wir das senden. Diese Freiheit ist sozusagen ein Tool, das ich nutze in der Demokratie. Und ich nutze Demokratie auch im Alltag: Wenn ich bei der Arbeit Entscheidungen treffe, dann bin ich demokratisch, wenn ich mit meiner Freundin rede und Pläne schmiede, dann sind wir auch demokratisch.
FM: Was können unsere Leser für Demokratie tun?
JN: Stellt Fragen und hört richtig zu! Dann kann man sich gegenseitig besser verstehen.
TS: Wie gesagt, kann man sich ehrenamtlich in verschieden Bereichen engagieren. Wichtig ist, dass es Spaß macht und dadurch lernt man viele Menschen kennen. Und vielleicht sind einige Leser des Flüchtling Magazins auch wahlberechtigt, so dass sie wählen gehen. Und wenn sie nicht wählen gehen, dann sollen sie mir dieses Wahlrecht geben. Ich weiß, wen ich wählen möchte. Jeder hat ein Talent, jeder ist nützlich. Wenn man nur zu Hause bleibt und nichts macht, dann kommt nichts.
FM: Danke schön!
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