Ich bin in Aleppo geboren und aus Aleppo vertrieb mich der Krieg, gezwungenermaßen, damit ich hier in Berlin zum Flüchtling werde.
Ich habe mir nie vorgestellt in einem europäischen Land zu leben. Heute lebe ich in Deutschland. Sogar in der Hauptstadt, mitten in der Hauptstadt Deutschlands. Ich habe hier einen Ort gefunden, an dem ich das Gefühl habe, ich bin zu Hause. Also, fast wie das Haus, das ich hinter mich ließ, in meinem vom Krieg gebeutelten Land. Tatsächlich war dies mein Gefühl, als ich das Aleppo-Zimmer im Museum für Islamische Kunst in Berlin besuchte. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich im Haus meiner Familie in Aleppo. Mich überkam das Bedürfnis, die Türe aufzumachen und aus den Räumen in den Innenhof hinaus zu treten, wo ich meine Mutter womöglich beim Blumengießen vorfinden würde. Ich bildete mir ein, ich hätte ihre Stimme gehört, dass sie mich bittet, die Blumen weiter zu gießen, während sie das Mittagessen zubereitet.
Die Farben der Intarsien, der Geruch und alles in dem Aleppo-Zimmer versetzte mich in meine Kindheit zurück, in die Viertel der Altstadt von Aleppo, wo die historischen Häuser, die große Moschee und die mit Souvenirs und Handwerk gefüllten Märkte sind.
Ein Gefühl von Stolz
Mit dem Verlassen des Museums für Islamische Kunst begann mein Gedächtnis zu erlahmen. Als ich wiederum das Ischtar-Tor sah, war ich sprachlos, nicht nur wegen der Schönheit der Hohen Kunst, sondern weil es mich an das Glas im alten Aleppo erinnerte. Die Reliefs am Tor waren von unbeschreiblicher Schönheit, insbesondere die Chrysanthemen, das Symbol der syrischen Göttin Ischtar, der Göttin des Ursprungs und die Symbole unserer altsyrischen Götter. Ein Gefühl von Stolz auf die Kultur und Kunst, denen ich angehöre, erfasste mich plötzlich. Jeder, der dieses Museum besucht, hat die Chance dadurch mehr über uns und unserer Geschichte zu erfahren. Die Besucher können hier ein anderes Gesicht von meinem Land erfahren, als das was sie durch die Bilder über den Krieg kennen, die von den Medien verbreitet werden.
Die gemeinsame Erfahrung des Krieges
Aber wiederholt sich die Geschichte? Und teilen die Völker dasselbe menschliche Leid? Im Museum für Deutsche Geschichte sah ich das Leiden und die Trauer, die das deutsche Volk während der Kriege erfahren hat. Seine Erfahrungen im Krieg ähneln dem, was wir erlebt haben und was wir immer noch erleben. Man verliert die Liebenden, das Heim wird zerstört, das Gedächtnis wird ausgebrannt, der Tod lauert überall. Überall herrschen Barbarei, Seuchen; Flucht und Vertreibung und die Angst vor dem sicheren Tod.
Eine Geschichte, die sich wiederholt, und Erfahrungen, die sich ähneln, obgleich die Zeiten, die Nationen, die Geographien sich voneinander unterscheiden.
All diese Dinge haben eins gemeinsam: Den Krieg! Mit dem Krieg verschwinden die Unterschiede zwischen den Menschen. Jeder erlebt bittere Erfahrungen und schwere Zeiten. Alle sind von Flucht und Vertreibung bedroht und haben Angst vor der ungewissen Zukunft, die ihnen auferlegt wird.
Aber niemand lernt aus der Erfahrung der anderen.
„Frieden zwischen Hier und Dort“ ist ein Schreibworkshop-Projekt des Friedenskreis Syrien. Der Verein tritt für einen friedlichen und kooperativen Austausch zwischen Menschen ein und schafft Austauschplattformen für einen konstruktiven Dialog.
Die Texte sind bereits in veränderter Form in der taz erschienen. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Bi´bak, Start with a Friend (SwaF) und Multaka (Treffpunkt Museum) in Berlin durchgeführt und ist durch das Frauen ID Projekt im Rahmen des Kultur macht Stark Förderprogramms / PB und BMBF gefördert.
In sieben Workshop-Tagen setzten sich die Teilnehmerinnen unter Leitung der syrischen Autorin Kefah Ali Deeb mit der Methode des Schreibens auseinander. Teil des Projekts waren Besuche in einigen Berliner Museen, die sich teilweise in den Geschichten der Frauen widerspiegeln. Entstanden sind Texte über das neue Lebensumfeld Berlin, über Heimat und eben über den “Frieden zwischen Hier und Dort”. Wir veröffentlichen sie nach und nach hier.