In Hamburg lebende Menschen mit Fluchthintergrund bekommen – in Kooperation mit Ben & Jerry’s – die Möglichkeit, für vier Monate das Arbeitsleben in Deutschland kennenzulernen, und gleichzeitig auch noch Business-Training im leetHub wahrzunehmen. Hier soll speziell der Gedanke des unternehmerischen Handelns in einer Reihe von Workshops gefördert werden.
kohero: Hallo Julia. Bevor wir mit den Fragen beginnen, stell dich doch erst einmal vor!
Julia: Ich bin Julia, Kulturmanagerin von Beruf, und ansonsten Mensch 😉 . Auf dieser Ebene ist mein Anliegen schon lange, Unterschiede in der gesellschaftlichen, kulturellen Teilhabe aller aufzuheben und diese zu ermöglichen. Dafür gründete ich u.a. 2011 den Verein KulturLeben Hamburg e.V. und engagiere mich.
kohero: Was machst Du jetzt?
Julia: Vor zweieinhalb Jahren habe ich zusammen mit meinen Kollegen Sven und Björn den Verein leetHub St. Pauli e.V. gegründet, um gestaltend mitzuwirken an einer gemeinsamen Vision des Zusammenlebens und Zusammenwirkens von Deutschen und Geflüchteten in einer Stadt wie Hamburg. Unser Schwerpunkt liegt dabei in der Unterstützung von Existenzgründungen von Geflüchteten und dem Sichtbarwerden von Potenzialen.
kohero: Was bedeutet ICE-Academy?
Julia: Dies ist ein neues Pilotprojekt von uns, leetHub St.Pauli e.V., und Ben & Jerry’s für vier Monate. Es geht um die Orientierungsmöglichkeit von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland bzw. Hamburg. Die Möglichkeiten von Angestelltsein und Selbstständigkeit/ Unternehmertum werden praktisch und theoretisch aufgezeigt.
kohero: Was finden die Geflüchteten in diesem Projekt?
Julia: Für vier Monate erhalten die Geflüchteten eine bezahlte Arbeitsstelle im Verkauf (Gastronomie/ Eisverkauf), können Erfahrungen sammeln und nebenher in wöchentlichen Workshops Businessthemen zur Selbständigkeit erleben und erlernen.
kohero: Arbeit und Informationen – das bedeutet, dass Ihr Arbeit für sehr wichtig für die Integration haltet?
Julia: Unsere deutsche (westliche) Gesellschaft ist sehr geprägt durch Arbeit und einer Vorstellung, dadurch ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft zu sein. Daher ist es sehr wichtig, dass Geflüchtete reale Chancen erhalten, in diesen Teil der Gesellschaft eingebunden zu sein. Zumal die Untätigkeit, die viele Geflüchtete erleben, Frustration auslöst und viele Potenziale dabei verloren gehen.
kohero: Warum sollen Geflüchtete Eis verkaufen?
Julia: Bei dem Projekt geht es nicht explizit um den Eisverkauf. Ja, die Arbeitsstellen sind im Eisverkauf, da dies das Metier von Ben & Jerry’s ist und es das ist, was Ben & Jerry’s bieten kann. Die Arbeitsstellen dienen aber einfach als Praxisbeispiel, können stellvertretend als Erfahrung im Dienstleistungsbereich angesehen werden. Es ist uns sehr bewusst, dass Eisverkauf nicht das ausgesprochene Ziel vieler Geflüchteter ist. Aber die Erfahrungen, die dabei gesammelt werden können, werden für die eigene Entscheidung und auch als Referenz für spätere Bewerbungen hilfreich sein.
kohero: Nach den vier Monaten, was ist dann mit den Teilnehmern?
Julia: Das Programm ist dann abgeschlossen. Es sind Erfahrungen, die sie gemacht haben, die bei der Entscheidung weiterhelfen können, was die Teilnehmer machen möchten. Vielleicht erhalten sie die Chance, in den Betrieben weiterbeschäftigt zu werden. Sie bauen sich ein Netzwerk auf, das ihnen weiterhelfen kann. Vielleicht entwickeln sie eine eigene Geschäftsidee und werden Teilnehmer des MoveON-Programms, um eine eigene Idee, eine eigene Firma aufzubauen. Viele Möglichkeiten, aber leider keine Garantien.
kohero: Was ist MoveON?
Julia: Ein Existenzgründungsinkubator für Geflüchtete, der im Zeitraum von sechs Monaten alle Schritte zur Selbstständigkeit erklärt und mit den Geflüchteten praktisch umsetzt.
kohero: Wann und wie kann man sich bei Euch anmelden?
Julia: Jederzeit per Mail (post@leethub.de), Telefon (040-20974622) oder einfach vorbeikommen zu Infotagen oder so (Bernstorffstr. 118).
kohero: Selbstverständlich funktioniert Integration mit Teilhabe an der Gesellschaft. Was glaubst du?
Integration ist leider an keinem Punkt eine Selbstverständlichkeit. Es bedarf von allen Seiten eine Bereitschaft dazu, so auch in diesem Programm. Ich glaube, wir müssen in der Integration einen Schritt weitergehen.
An dem Punkt frage ich mich manchmal, ob Geflüchtete eigentlich über den Punkt hinauskommen können und wollen, Integration nicht nur als eine Pflicht zu sehen, sondern als eine Chance. Als ob sie sich freiwillig entschieden hätten, hier in Deutschland ein eigenes Leben aufzubauen – aus Interesse an dem Leben, der Gesellschaft!?