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„Ich habe um mein Leben gemalt“

Der Aktionskreis „Patenschaften für Hamburg“ innerhalb des Bündnisses Hamburger Flüchtlings-Initativen (BHFI) unterstützt die Paten-Initiativen der Stadt Hamburg. Umgesetzt hat der Arbeitskreis zum Beispiel die Plattform Open Hamburg, auf der sich zahlreiche Organisationen und Initiativen versammeln, die sich für die Integration geflüchteter Menschen engagieren. Dort können Hamburger*innen ein Ehrenamt finden, das zu ihnen passt, beispielsweise als Patin oder Pate für eine geflüchtete Person. So entstehen auch Tandems.

Die Tandem-"Familie". Foto: Rose-Marie Hoffmann-Riem

In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschafts-Organisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal geht es um eine ganze Gruppe: Hajar, Meinhard, Sybille und Rüdiger.

Am Tisch sitzen Hajar Issa mit Meinhard Weizmann, Geschäftsführer der Bucerius Law School, Sybille Marks, Initiatorin der Wentorfer Kulturwochen und Rüdiger Marks, der sich nach der späteren Einreise der Familie Issa intensiv um die Kinder kümmerte. Sie alle sind heute die deutsche Großfamilie um Hajar Issa.

Er war Mitglied der Union Syrischer Künstler und in der gesamten arabischen Welt hoch angesehen. Die Krönung seiner Tätigkeit erfuhr er 2009, als er von 100 Nominierten den „Addounia“ – das ist der Oscar im arabischen Raum – für seine Arbeit als Artdirector in Damaskus erhielt. Nach seinem letzten regimekritischen Film, der in der Türkei gedreht worden war, kehrte er nicht mehr nach Syrien zurück. Es drohte zum wiederholten Mal eine harte lange Haftstrafe. Zum Weiterlesen gehts hier lang.

BHFI: Herr Weizmann, Sie haben bei der Verabredung des heutigen Gesprächs Hajar Issa als Ihren Freund bezeichnet. Das ist ja schon ein Statement. Bitte lassen Sie uns doch zuerst etwas zu Ihrer Person wissen und dann dazu übergehen, wie Sie beide sich kennen lernten.

Meinhard Weizmann: Ich muss ein wenig ausholen. Nicht Herr Issa stand an erster Stelle, sondern einfach das Bedürfnis, sich für die Geflüchteten einzusetzen. Ich bin beruflich und privat viel gereist. Wo immer ich hin kam in der Welt, erfuhr ich eine herzliche Aufnahme. Das erleben Ausländer und Ausländerinnen, die nach Deutschland kommen, nicht immer so. „So wahnsinnig willkommen fühlt man sich nicht, wenn man zu Euch kommt“. Diesen Satz hörte ich mehr als einmal. Die Kultur eines offenen Hauses kenne ich sehr gut. Ich bin so aufgewachsen. Die Willkommenskultur, die im Herbst 2015 Deutschland erfasste, sprach mir aus dem Herzen. Anfang 2016 schloss ich mich dem Runden Tisch Asyl in Wentorf/Schleswig-Holstein (RTAW) an.

Mit der Kultur eines offenen Hauses vertraut

Etwa 120 bis 150 Geflüchtete, vorwiegend Männer, waren in der ehemaligen Schule im Fritz-Specht-Weg in Wentorf untergebracht. Jeweils zu fünft oder zu sechst in einem Klassenzimmer. Ungefähr die gleiche Anzahl an Ehrenamtlichen kümmerten sich um sie. Es gab unendlich viel zu tun. Mir wurde schnell klar, dass ich eine persönliche Beziehung zu einzelnen Personen besonders wertstiftend fand. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob eine deutsche Patin oder ein deutscher Pate eine Sache für den Geflüchteten mit einer Versicherung regelt oder im Job Center Hilfestellung leistet. Manches passiert einfach nicht ohne die Vermittlung einer deutschen Begleitung.

BHFI: Frau Marks, was ist Ihr Anteil, der Anteil Ihrer Familie an diesem „Gemeinschaftsprojekt“? Aber bitte auch erst etwas zu Ihnen als Person.

Sybille Marks: Ich war dreißig Jahre Lehrerin in Mümmelmannsberg (Stadtteil von Hamburg mit einem sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund). Wer sein Leben lang Kinder aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen unterrichtet, für den ist nur noch wenig befremdlich, ganz im Gegenteil. Ich habe immer auch ehrenamtlich gearbeitet und im Jahr 2006 die WENTORFER KULTURWOCHE ins Leben gerufen. Bei der Planung für das Jahr 2016 überlegten mein Mann und ich, ob nicht auch in der Unterkunft ein Künstler zu finden sei, den wir einladen können. In diesem Zusammenhang lernte ich Anfang 2016 Hajar Issa kennen. Erst glaubten wir es gar nicht, dass wir einen so berühmten Künstler in unserer Nähe hatten.

Hajar I: Ich habe damals Tag und Nacht gemalt. Viele Leute haben Farben für mich gespendet und nicht aufgehört. Es hat mich gerettet aus einem tiefen Loch. Keine Familie, keine Heimat, aber Farben und Malen. Die anderen Männer im Raum haben für mich gekocht und mich unterstützt. Das hat mir auch sehr geholfen.

Gemalte Träume, Wünsche, Erinnerungen

Sybille M: In wenigen Monaten entstanden über 50 Bilder. Er malte seine Träume, Wünsche, Erinnerungen, den Verlust, die Zerstörung und immer wieder seine Kinder und seine Frau. Und dann hatten wir auch schon bald die erste Ausstellung. – es gab ja jede Menge Material (lacht ihn an dabei). Und seitdem geht es immer aufwärts.

Eines von Hajars Bildern

Hajar I.: (ergänzt und gestikuliert lebhaft) Ich bin jetzt hier und ich fühle mich wieder wie ein junger Mann von 20 Jahren. Hier in Deutschland muss ich etwas machen. Als Künstler habe ich so viel Erfahrungen. Ich bin sehr stolz auf meine Kunst und habe eine gute Hand. Das ist meins! Ich  muss malen.

Meinhard W.: Diese Energie zu sehen und mitzuerleben, ist einfach großartig. Außerdem – und das ist das Tolle bei Hajar –  man kann sich total auf ihn verlassen. Er hält sich an Absprachen, er kommt pünktlich, das sind wichtige Dinge, die gar nicht selbstverständlich sind, insbesondere, wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt.

Er hat sehr schnell begonnen, die deutsche Sprache zu lernen. Wir sind beide 48 Jahre alt, da lernt es sich nicht mehr so schnell. Aber er hat sich da reingebissen …

Hajar I.: (grinst ein bisschen und lässt dann die Katze aus dem Sack) B1 sowieso, B2 auch und C1 auch – heute fertig! Ja, C1.2. Ich warte jetzt auf das Ergebnis.

Alle freuen sich über diesen Fortschritt, großes Hallo, das war eine schöne Überraschung.

BHFI: Frau Marks, der Kontakt zwischen Ihnen und Herrn Issa entwickelte sich in erster Linie durch seine Kunst als Maler.  Sie organisieren Ausstellungen und managen ihn als Künstler. Würden Sie sagen, Sie sind auch befreundet?

Sybille M.: Genauso ist es und das geht bis hin zu unseren Familien. Es ist schon eine enge Bindung geworden. Das Schöne, das wollte ich noch sagen, ist diese Vertrauensebene zwischen uns. Hajar vertraut mir seine Kunst völlig an. Und ich weiß genau, wenn wir etwas hätten, ich könnte ihn anrufen, dann wäre er da. Das gilt auch für seine Frau. Das ist schon besonders. Der Zufall hat uns zusammengebracht und jetzt lernen wir ganz viel von Hajar, seiner Familie und umgekehrt. So ist es ein Geben und ein Nehmen. Das macht auch mich glücklich.

Ein Gefühl von Familie

Ich bin froh, dass Meinhard den Behördenteil übernommen hat. Ich habe mir das nicht so schwer vorgestellt. Eigentlich ist es nicht zu schaffen, wenn man keine Hilfe hat. Die ganzen Formulare – da muss man ja selbst als deutscher Mensch schon gucken, was wollen die eigentlich. Wenn ich mir dann vorstelle, ich müsste nach Syrien und sollte in einer anderen Sprache, in einem anderen Kulturkreis das alles leisten, das schafft ein Mensch gar nicht ohne Hilfe.

Hajar I.: Meine Familie hat ein Glück, großes Glück, dass wir Meinhard und Sybille kennengelernt haben. Das ist so viel Glück, wie niemand hat, den ich kenne. Das eine ist: Die beiden wissen, wie mein Leben in Syrien war. Das zweite: Meine Frau und ich sind mit Meinhard und Sybille eine Familie. Das ist unser Gefühl.

Die Kinder sind sehr glücklich hier

Unser Leben ist jetzt hier für unsere Kinder, für mich und meine Frau. Wenn ich meinen Sohn Alan frage, Syrien oder hier und er sagt, nein, nein, Deutschland ist meine Heimat. (Und er ergänzt sehr nachdrücklich) Die Kinder sind sehr glücklich hier.

Sybille M.: Als im November 2016 seine Frau Razan und die beiden Söhne Alan und Aram ankamen, waren wir alle am Flughafen. Hajar gehörte doch quasi schon zur Familie.

Meinhard W: Wir hatten eine Wohnung gefunden, das war wirklich perfektes timing. Dazu noch eine kleine Anekdote: Normalerweise erlebe ich sehr viel Bereitschaft bei öffentlichen Stellen, alles möglich zu machen, was einigermaßen vertretbar ist.

Hilfe bei Ausstellung und Antragsstellung

Ein einziges Mal nur sind wir bitter gescheitert und ich habe Hajar zum ersten Mal außer sich gesehen. Die Sachbearbeiterin im Job Center lehnte eine Wohnung ab, weil die Miete 50 Cent!! über dem gültigen Satz lag. Daraufhin der wütende Hajar. „Die hassen Flüchtlinge“. Die Vermieterin hat nicht lange gefackelt und nochmal 5 € nachgelassen und dann war die Vorschrift mehr als eingehalten. Aber ansonsten – die haben das auch nicht aus bösem Willen gemacht: sondern Vorschrift ist Vorschrift.

(zu Sybille Marks gewandt) So ist unsere Rollenverteilung. Du bist hartnäckig hinterher, dass Hajar ausstellen kann und ich erledige die eher administrativen Sachen.

Es sind aber immer unsere Erfolgserlebnisse, egal um was es geht. Das schafft Verbindung.

Sybille M.: Es ist schon toll und (zu Meinhard Weizmann): Wir hätten uns sonst ja auch nie kennengelernt.

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Rose-Marie ist Unternehmensberaterin, aber vor allem beim Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitativen engagiert. Für den Blog des BHFI schreibt sie regelmäßig Tandemgeschichten (TandemTalks) auf, die sich aus dem Projekt ergeben haben.

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