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Halal-Essen im Asylland: Zwischen Stromschlag und Integration

Gemeinsames Essen fördert die Vertrautheit zwischen Menschen. Manchmal aber stehen der Tischgemeinschaft unterschiedliche Auffassungen zu halal und haram beim Verzehr von Fleisch im Wege. Um was geht es da eigentlich? Muhammad AlZekri schaut genau hin, liest genau nach - und macht interessante Entdeckungen.

Photo by Emerson Vieira on Unsplash

Als ich 2010 mein Studium in Cottbus anfing, einer kleinen Stadt in der Nähe von Berlin, lebten dort fünf Araber und einige Dutzend muslimische Studenten. In der Zeit lernten wir, in deutsche Restaurants und Cafés zu gehen und dort nach Speisen zu fragen, die zu unserem Konzept von „halal“ und „haram“ passten. Denn diese beiden Begriffe prägen den Alltag gläubiger Muslime: Was „halal“, also erlaubt und was dagegen „haram“, also verboten ist, ist im Koran und in der Sunna, den überlieferten Worten und Handlungen Mohammeds, klar geregelt: Alkohol zum Beispiel ist für Muslime verboten. Ebenso Schweinefleisch und Fleisch von anderen Fleischfressern, die nicht halal geschlachtet wurden.

Damit das Fleisch eines Tieres halal ist, muss ein erwachsener Muslim dem Tier bei vollem Bewusstsein die Kehle durchschneiden und es ausbluten lassen. Er soll sich dabei gen Mekka richten, Allah anrufen und die Kehle des Tieres mit geschärfter Klinge so geschickt durchtrennen, dass es nicht unnötig misshandelt wird. Wenn wir in deutsche Restaurants gingen, mieden wir Schweinefleisch und Wein, bestellten stattdessen Meeresfrüchte, Pasta und Gemüse.

Das neue Konzept von Halal

Nach Beginn der Flüchtlingswelle nahm in der Stadt die Zahl der Araber zu. Schnell eröffneten die Geflüchteten Schawerma-Restaurants, arabische Lebensmittelgeschäfte und kleine Metzgereien, wo sie Halal-Fleisch und -Hühnchen verkauften. Da zudem immer mehr Halal-Restaurants eröffneten, zogen sich die Araber nach und nach aus den deutschen Restaurants und Cafés zurück. Was mir auffiel, war, dass wir uns immer weniger integrierten. Weil wir immer seltener in ihre Restaurants gingen, kamen wir immer seltener mit den Deutschen in Kontakt. Auch ich geriet in diese Falle. Mir wurde bewusst, welche Veränderungen meine Freunde und ich durchmachten – und es verwirrte mich.

Ich fragte mich, wie es seine konnte, dass mein Essenskonzept meinen Integrationsprozess beeinträchtigte. Und das, trotz des auf Integration basierenden Korans. Schließlich ermutigt uns der Koran, die universelle menschliche Vielfalt durch Bekanntschaft zu feiern. In Sure Nr.13 (el Mujadila) etwa heißt es: „… und wir haben Völker und Stämme dazu gebracht, sich kennenzulernen“. Wie konnte es daher sein, dass die Religion uns einerseits verbietet, in die Restaurants von Deutschen zu gehen, uns andererseits aber dazu auffordert, diese Menschen kennenzulernen? Kennenlernen kann man sich ja nur, wenn man sich trifft – und Menschen aus der ganzen Welt treffen sich nun mal in Restaurants und Cafés.

Die Gründe, warum deutsches Fleisch verboten ist

Meine Verwirrung veranlasste mich, mit arabischen Einwanderern über die Gründe zu sprechen, warum deutsches Fleisch für sie verboten ist. Ich erfuhr, dass es unter anderem daran liegt, dass die Deutschen die Tiere vor der Schlachtung elektrisieren. Ein weiterer Grund, warum Ihr Fleisch haram ist, sei der, dass sie als Christen und Juden Menschen „des Buches der Dreifaltigkeit“ sind. Sie sind Menschen, die diese Schrift erhielten. Ich entschied, weiter zu recherchieren und fand die Sure Nr. 3 (Der Tisch): „Und das Essen derer, die die Schrift erhielten, ist halal für euch, und euer Essen ist halal für sie…“? Ich verstand nicht, warum es heute anders sein sollte als früher, als der Koran offenbart wurde. Wie kann es da sein, dass ihr Essen haram ist, obwohl sie heute, wie auch damals, Christen sind?

Soweit ich weiß, lag dies angeblich daran, dass Gott in dem Vers, in dem er das Essen den Anhänger der Schrift erlaubt, nicht „Leute der Schrift“ sagt, sondern „Leute, die die Schrift erhielten“. Wie meine Landsleute argumentierten, bedeute das Erhalten einer Schrift ja nicht, dass sie auch gelesen, umgesetzt und angewendet wurde. Spricht man Personen nun aber ihre Zugehörigkeit zu den „Leuten der Schrift“ ab, wird das Erlaubte plötzlich verboten. So kommen Zweifel an der Art ihrer Nahrung auf. Meine Meinung dazu aber ist: So wie wir Nachkommen derer sind, die den Koran erhielten, sind sie Nachkommen derer, die die Schrift erhielten. Was uns erlaubt, gemeinsam in Restaurants zu sitzen, um Bekanntschaften zu machen – und uns so in Deutschland zu integrieren.

Sind wir barmherzig zu Tieren?

Was nun die Methoden der manuellen oder automatisierten Schlachtung oder des elektrischen Schlags angehen, so sind die Methoden nicht in den Versen des Korans beschrieben, die die erlaubten Nahrungsmittel schildern. Daher fallen, wie ich glaube, die verschiedenen Methoden der Schlachtung nicht in das Thema von „halal“ und „haram“.

Laut des Gelehrten Moslem ibn al Hajjaj soll der Prophet Mohamed dazu gesagt haben: „Wenn ihr schlachtet, schlachtet gut und schärft die Klinge und macht es dem Tier angenehm“. Dieser Ausspruch führt zu einer anderen Diskussion: Statt über halal und haram zu diskutieren, wird über die Barmherzigkeit dem Tier gegenüber gesprochen, was als „Schlachtung mit Güte“ bezeichnet wird. Hier sind wir in die Falle geraten, zwei verschiedene Regeln in eine Regel zu zwängen. Der Gelehrte Abu al Abbas Ahmed al Malky al Qurafy warnte bereits im 13. Jahrhundert vor den Konsequenzen, wenn diese Unterscheidung in der Rechtssprechung nicht gemacht wird. Doch wir haben die Warnungen der Menschen der Vergangenheit nicht aufgegriffen. Wir verloren dadurch in unserem Bewusstsein die Barmherzigkeit gegenüber Tieren, indem wir es unter dem Mantel „halal“ begruben. Das Einzige was bei uns heute noch zählt, ist, dass derjenige, der schlachtet, den Namen Gottes ruft – egal wie grausam das Schlachten ist. Die Gnade gegenüber dem Tier wird insofern von der Halal-Frage überschattet. Und das ist falsch.

Wer kann die Gefühle eines Tieres nachvollziehen?

Ich denke, man sollte sich stattdessen fragen, ob die manuelle oder die automatisierte Schlachtung humaner ist. Die Frage der Barmherzigkeit ist keine Frage, die darüber entscheidet, ob etwas halal ist oder nicht. Wer kann schon die Frage beantworten, ob einem Tier Güte bei der Schlachtung entgegen gebracht wurde? Da Gelehrte die Gefühle eines Tieres nicht nachvollziehen können, müssen wir die Frage statt an Gelehrte, an Spezialisten für Tierpsychologie richten. Sie sollten uns sagen können, ob ein elektrischer Schock vor der automatisierten Schlachtung besser für das Tier ist oder nicht. Danach sollten sie den muslimischen Menschen diese Informationen zur Verfügung stellen, damit diese das Wohlergehen der Tiere verstehen. Sie würden den Zweck des elektrischen Schocks verstehen und auch, dass dadurch sichergestellt wird, dass das Tier bewusstlos ist, bevor es geschlachtet wird, so dass es die Schlachtung nicht mitbekommt und daher so wenig Schmerz wie möglich verspürt. Das erfüllt auch die Wünsche des Propheten – dem ersten Verteidiger von Tierrechten.

Wir müssen umdenken

Wir müssen auch die Schilder über den arabischen Restaurants in unserer Stadt ändern, auf denen steht, dass sie Halal-Essen haben, da es ein ungenauer Satz ist. Es widerspricht dem Koran. Denn damit wird unterstellt, dass das Fleisch in den Läden der Deutschen, die Nachkommen derer sind, die die Schrift erhielten, nicht halal ist. Genauer wäre, wenn geschrieben werden würde, dass das Fleisch von Muslimen geschlachtet wurde. Wir müssen umdenken, und den Spruch „Unser Fleisch ist halal, ihr Fleisch ist haram“, aus unserer Vorstellung löschen. Denn er stimmt mit dem Koran weder aus kulinarischer, noch ganzheitlicher oder barmherziger Sicht überein. Die Punkte, an die wir uns halten sollten, sind Barmherzigkeit dem Tier gegenüber, Qualität, Preis und vor allem die Freude bei der Auswahl des Restaurants. So könnten wir uns mit den Deutschen in ihren Restaurants und mit anderen Einwanderern in ihren Einrichtungen integrieren. Und so das soziale Wohlbefinden in den deutschen Städten verbessern und interessante Bekanntschaften machen, die vereinen und nicht abstoßen.

Der Artikel ist im Original auf Arabisch und zuerst auf dem Onlineportal von »Abwab.eu« erschienen. Übersetzt wurde er in Kooperation mit dem von der Initiative »Gesicht Zeigen!« getragenen Projekt »Media Residents« von Karin Minawi.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Muhammad Al Zekri
Muhammad Al Zekri  wurde 1960 in Bahrain geboren. Er studierte in Amerika und ging dann nach Großbritannien, um sich dem Institut für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität von Exeter anzuschließen. Dort schloss Al Zekri seinen Master und seine Promotion in Anthropologie ab. In London arbeitete er als Lehrer und zudem war er lange Zeit an der deutschen Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus.  In seiner Forschung fand er heraus, dass viele Araber unter einem Missverständnis über den Islam leiden.

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