Etwa 32.000 Geflüchtete sind auf den fünf griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos in Lagern untergebracht. Größtenteils aus Afghanistan (50%), Syrien (18%) und Somalia (6%). 22% dieser Menschen sind Frauen, 33% Kinder, von denen 13% unbegleitet oder von ihren Eltern getrennte Minderjährige sind.*
Jetzt haben in Einzelfallklagen durch sämtliche Instanzen zumindest drei Menschen und ihre Familien ihr Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung mit sichergestellter medizinischer Behandlung erfolgreich erstritten: ein 80-jähriger schwerkranker Mann aus Afghanistan mit seiner Familie, ein in Syrien gefolterter unbegleiteter Minderjähriger sowie ein Kleinkind und dessen Eltern aus Afghanistan. Diese acht Menschen dürfen jetzt den Hotspot Moria verlassen und in eine menschenwürdigere Unterkunft in Griechenland gebracht werden. In dem einstigen Militärgefängnis auf der Insel Lesbos leben rund 20 000 Menschen, konzipiert war es für 3000.
Ein kleines Licht
In einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 16.April 2020 hat dieser entschieden, dass die Überstellung von schutzsuchenden Flüchtlingen aus Moria auf Lesbos in eine menschenwürdige Unterbringung vorzunehmen ist. Die Hilfsorganisationen Pro Asyl und Refugee Support Aegean haben diese Entscheidung für die drei Asylbewerber erstritten.
Der Gerichtshof gewährte im Fall „E.I. u.a. gegen Griechenland“ vorläufige Maßnahmen nach der »Rule 39«.** Artikel 39 der Verfahrensordnung erlaubt es, vom EGMR vorläufige Maßnahmen zu verlangen, wenn ein nicht wieder gutzumachender Schaden droht. Das Gericht fordert nun von Griechenland, dass eine Unterkunft im Einklang mit Artikel 3 der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Verfügung gestellt und die medizinische Behandlung den physischen und medizinischen Bedürfnissen der Antragsteller*innen entsprechend sichergestellt wird.
Laut Pro Asyl ist es das erste Urteil in jüngerer Zeit, in dem der EGMR Griechenland für eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge verurteilt.
Keine Möglichkeit, Sammelklagen einzureichen
Auf Samos haben bislang 43 Flüchtlinge gegen die Zustände in den Hotspots geklagt. Unterstützt wurden sie von der deutschen Nichtregierungsorganisation Refugee Law Clinic Berlin auf Samos (https://www.rlc-berlin.org/samos). Bei 37 Klagen entschied der EGMR, dass die Kläger*innen an einem anderen Ort untergebracht werden müssen. Denn die Bedingungen in den Lagern würden das Risiko einer “unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ bergen (Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“).
Für die anderen Geflüchteten in den „Hotspots“ haben diese Gerichtsentscheidungen allerdings keine Auswirkungen. Die Entscheidungen des EGMR gelten immer nur für den Einzelfall. Eine Möglichkeit, Sammelklagen einzureichen, gibt es nicht. So hat der EGMR zum Beispiel im Fall eines minderjährigen Geflüchteten, der auf Samos ohne Verwandte in einem Zelt im Wald leben musste, geurteilt, dass er einen Vormund bekommen und besser untergebracht werden muss. ***Auf Samos gibt es jedoch aktuell 315 unbegleitete Minderjährige – für sie ändert sich nichts. Denn sie müssten selbst klagen. Die meisten eingereichten Klagen der vergangenen Monate waren von Schwangeren, unbegleiteten Minderjährigen oder erkrankten Personen. Ob eine gesunde erwachsene Person ebenfalls vor dem EGMR erfolgreich wäre, ist unklar.
Was wird sich ändern?
Seit 1.7.2020 hat die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft und damit auch die Gelegenheit, das europäische Asylrecht zu reformieren.
Die Bundesregierung will bis Ende Juli 240 zum Teil schwer kranke Kinder und deren Familien aus griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland bringen. Die Kinder seien „behandlungsbedürftig“, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am 20.7.2020 in Berlin. Nach Deutschland kämen die Kinder in Begleitung ihrer „Kernfamilien. **** Insgesamt werden es rund 930 Menschen sein.
Hamburg wird kurzfristig 41 Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen.
Dies ist aber nur eine Geste, nicht mehr. Notwendig wäre ein substantieller Beitrag: Die Lager auf den ägäischen Inseln müssen aufgelöst werden. Es kann nicht sein, dass jeder betroffene Flüchtling einzeln klagen muss, es ist eine politische Entscheidung dringend erforderlich!
*Quelle: data2.unhcr.org
** Quelle: proasyl.de
***Quelle: rlc-berlin.org
****Quelle: dtoday.de