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Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste – Teil 1

Der Verband der Schriftsteller und Schriftstellerinnen Hamburg wollte eine Plattform zum Publizieren für geflüchtete Autorinnen und Autoren bieten. Daher hat er ein Buch veröffentlicht. Der Titel ist “Fluchtpunkt Hamburg. Texte im Exil. Eine Anthologie des Verbands deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen – Landesverband Hamburg – zu Flucht und Ankunft”. 22 Autoren mit Migrationshintergrund haben entweder auf Deutsch oder in ihrer Muttersprache ihre Geschichte, Meinung oder ein Gedicht geschrieben. Einer von Ihnen: der syrische Journalist Hussam Alzaher. Seine "Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste" wird hier in zwei Teilen vorgestellt:

„Wir sind keine Dämonen und die Deutschen keine Engel.
Ich bin ein Mensch auf der Welt, aber leider bin ich auch ein Flüchtling, und auf Deutsch gibt es nur einen Flüchtling (männlich), nicht eine Flüchtlingin (weiblich). Ich weiß nicht warum, aber auf Deutsch muss der Flüchtling ein Mann sein.

Eine Freundin hat mir gesagt: „Seit sehr langer Zeit gibt es alle Worte mit ‚ling‘ am
Ende nur als männliches Substantiv. Es bezeichnet damit aber kein bestimmtes Geschlecht – beim Säugling sind es ja auch männliche und weibliche Säuglinge.“

Kritik am Suffix „ling“: Es verdinglicht! Als wäre es ein „Geflüchteter“, und ich glaube, wenn das Wort einen männlichen Artikel hat, dann bedeutet das „Mann“ und nicht „man“. Männlicher Artikel, das bedeutet, die deutsche Sprache hat keine Gleichberechtigung, wie alle anderen Sprachen.

Und ich bin ein Mann, und viele Deutsche haben gefragt, warum sind die meisten Geflüchteten Männer?
Ich sage, weil unsere Frauen Angst vor dem Meere haben. Zu Hause konnten sie nicht mit dem Boot auf dem Meer fahren, und sie mussten nicht zur Armee gehen, und sie blieben bei unseren Kindern, und wir fuhren mit dem Boot auf das Meer, und danach sollten unsere Familien mit dem Flugzeug kommen, weil die Geflüchteten das Recht auf die Zusammenführung hätten. Aber fast einer Million Geflüchteter wurde dieses Recht von der Regierung verwehrt.

„Weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben“

Ich komme aus der Zivilisation. Aber das war in unserer Geschichte vor 500 Jahren. Jetzt komme ich aus dem Krieg in Syrien. Mein Land ist die Wiege der Zivilisation. Dort wurde die erste Zivilisation der Menschheit geboren, und seither hat Syrien viele Zivilisationen erlebt, von den Hyksos, den Pharaonen, dem Königreich Aram Damaskus, über das assyrische Reich, die babylonische Kultur, byzantinische Zivilisation bis zu den islamischen Zivilisationen.

Und weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben: „Der Name Syrien kommt aus dem Griechischen, das wahrscheinlich den alten Namen Assur übernommen hat. Nach
Ansicht einiger Forscher ist der Name hingegen nicht von Assyria abgeleitet, sondern von Tyros (Sūr). In der Antike und im Mittelalter bezeichnete Syrien ein erheblich größeres Gebiet als den heutigen Staat, nämlich in etwa die Region zwischen Mittelmeer, Taurus, Arabien und Mesopotamien. Die syrische Sprache, das Ostaramäische, war sogar noch weiter verbreitet.“ (Wikipedia)

Oder „Syrien“ kommt aus dem Sanskrit. Das bezeichnet die verschiedenen Varietäten des Alt-Indischen. Die älteste Form ist die Sprache der Veden, einer Sammlung religiöser mündlicher Überlieferungen im Hinduismus. Ihre Entstehung wird auf 1200 v. Chr. datiert (laut Wikipeda). Und „Syrien“ bedeutet im Sanskrit „die Sommer“, das meint, ein tolles Wetter, fast immer warm, aber leider gibt es nicht so viel Regen wie in Hamburg, der Stadt des Regens.

In einem Dreieck gefangen

In Syrien gibt es alles, was es hier in Deutschland gibt, also Syrien ist ein Land wie Deutschland, dort werden Autos gebaut, man hat Rundfunksender und Verlage, aber wir haben keine Freiheit. Wir haben Tritte, eine Diktatur. Eine Diktatur unserer Präsidenten und unserer Religion und unserer Traditionen.

Ich weiß nicht, wer der erste Diktator war, aber immer benutzten unsere Herrscher die Religion, um für immer auf unserer Brust zu bleiben. Auch heutzutage unterstützt unsere Religion die Regierung. Wir wurden vom Politiksystem, der Religion und den Traditionen in das Gefängnis des Dreiecks gesteckt. Weil wir die Freiheit gefordert und dafür gebetet haben, ist uns der Krieg von unserer Regierung aufgezwungen worden.

Unsere Religion hat zwei unterschiedliche Meinungen dazu. Ein Teil der Religionsführer, die auf Seiten der Regierung stehen, hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir zu unserer Regierung halten und sie unterstützten.“
Aber der andere Teil der Religionsführer hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir gegen unsere Regierung aufstehen und kämpfen müssen.“

Ich habe vergessen, was mein Name ist, mein Name bedeutet Schwert, und ich gehöre nur zu einer Stadt: Damaskus, arabisch دمشق Dimaschq, DMG Dimašq, französisch Damas, türkisch Şam. Die Hauptstadt von Syrien ist meine Religion und mein Glaube. Damaskus bedeutet für mich Jasmin. Und der Jasmin ist eine schwache und kleine Blüte, aber wer kennt nicht den Jasmin? Alle Welt kennt den Jasmin und das Parfüm, so
wie Damaskus die Mutter aller anderen Städte auf der Welt ist. Zart, aber auch stark, hübsch, aber auch bescheiden, alt, aber Zeitgenosse, schnell, aber auch geduldig, nicht reich, aber auch nicht arm. Alle Menschen auf der Welt sind ihre Kinder, sie ist das Herz der Welt. Sie ist die Stadt der Engel und auch der Teufel. Das ist Damaskus, die Stadt der Gegensätzlichkeit.

(Fortsetzung folgt mit Teil 2)

Diese Text stammt aus dem Buch: “ Flüchtling Hamburg Texte im Exil

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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