Vor etwa fünf Jahren kam ich nach Deutschland. Anfangs verglich ich das neue Land, Deutschland, mit seinen Nuancen und seinem Alltag stets mit meinem Herkunftsland Syrien. Es fiel mir schwer, diese Vergleiche nicht zu ziehen oder mein ständiges Nachdenken darüber einzustellen. Alles führte mich entweder nach Damaskus, die Stadt, die ich liebe, oder nach Latakia, die Stadt, in der ich geboren wurde. Eineinhalb Jahre später begann ich für die taz zu schreiben.
Ohne zu zögern wählte ich damals den Titel „Hier und dort“ für die Kolumne, die ich heute noch schreibe, und in der ich versuche, meine Gedanken zu formulieren. Immer mehr stellte ich die Bedeutung dieser Kolumne für mich fest; und wie das Schreiben mir half, den Zustand des Flüchtlingsseins zu überwinden. Ich schrieb über die Wahrnehmung der Fremde und die damit verbundenen Schwierigkeiten, über den Alltag mit seinen Einzelheiten, die Sehnsucht nach der Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft. Nach jedem Text merkte ich, dass ich mehr Zuversicht, Selbstvertrauen, Stolz und Fähigkeit für einen neuen Anfang in mir spürte. Denn meine Stimme wird dankenswerterweise gehört, ich bin nicht allein, ich kann mich mitteilen und ich fühle mich nicht mehr fremd.
Die eigene Schreiberfahrung teilen
Aus diesem Hintergrund heraus dachte ich an die Frauen, die mir in Deutschland an verschiedenen Orten, wie Flüchtlingsunterkünften, Integrationskursen, auf der Straße oder beim Jobcenter begegneten. Jede dieser Frauen hat ihr eigenes Narrativ, das sie erzählen könnte, dachte ich. Ich hörte mir ihre Geschichte an und stellte dabei fest, dass jede dieser Geschichten der Anfang eines Romans sein könnte. Geschichten über ihre eigenen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung; Geschichten, die die vermeintlichen Werte der Weltgemeinschaft infrage stellen. Ich überlegte mir, wie man die Erzählungen dieser Frauen weitererzählen könnte. Wie könnte ihnen eine Bühne geboten werden, damit sie selbst über ihre Gefühle, Träume und Niederlagen sprechen können?
So entstand die Idee des Workshops „Frieden zwischen Hier und Dort“. Ich wollte den Frauen damit ein Fenster zur Außenwelt öffnen, aus dem sie die Anderen sehen und von diesen gesehen werden. Ich wollte, dass sie die Anderen hören und von den Anderen gehört werden. Und dass sie nach all den Leiden an eine bessere Zukunft glauben.
Nachdem die Organisations- und Verwaltungsphase abgeschlossen war, sollte dann die Zielgruppe der Frauen definiert und zur Teilnahme motiviert werden. Danach begann die Erläuterung des Workshops und die damit verbundenen Ziele. Das Vorhaben war leichter gesagt als getan. Es gab wesentlich mehr Hindernisse als gedacht. Ich besuchte Flüchtlingsunterkünfte, Integrationskurse und verschiedene Einrichtung, die sich um Flüchtlinge kümmern. Trotzdem stieß ich immer wieder auf Schwierigkeiten, denn die Frauen wollten aus verschiedenen Gründen nichts erzählen.
Selbstvertrauen durch das Schreiben
Die Gründe für ihre Zurückhaltung waren grundverschieden. Viele Frauen in der Altersgruppe zwischen 18-26 Jahren sind bereits verheiratet und haben Kinder, welche sie nicht allein lassen wollten. Manche Frauen waren von der Bedeutung des Schreibens über ihre Erfahrungen nicht überzeugt. Andere sahen ihre Prioritäten woanders. Denn sie waren zum Teil auf der Suche nach einer Wohnung oder Schul- oder Kindergartenplätze. Fast alle Frauen, die ich traf, trugen hauptsächlich die Verantwortung für ihre Familien; das heißt, dass sie sämtliche Verwaltungsgänge allein und ohne Hilfe ihrer Ehemänner erledigen mussten. Viele von ihnen waren außerdem damit beschäftigt, Deutschkurse zu besuchen und von der Idee, in arabischer Sprache zu schreiben, nicht überzeugt.
Am Ende gelang es mir jedoch eine Gruppe von 15 Frauen für den Workshop zu gewinnen. Nicht alle konnten bis zum Schluss bleiben und jede Einzelne hatte ihre Gründe dafür. Gleichwohl aus diesem Workshop sechs wunderbare Texte hervor. Ich hatte viel Freude daran, die Frauen während der Arbeitsphasen des Workshops persönlich näher kennenzulernen. Ich durfte beobachten, wie die Frauen ihre Schreibfähigkeiten spürbar entwickelten, die Bedeutung des Schreibens für sich schätzten und schätzen lernten, den Dialog miteinander suchten, sich gegenseitig zuhörten und mit Respekt und Anerkennung politische, soziale und kulturelle Themen diskutierten.
Ich lernte viel von diesen Frauen und ihre Texte sprechen am besten über sie.
Die Texte aus dem Kefahs Schreibworkshop werden in diesem Monat nach und nach im Flüchtling-Magazin veröffentlicht. Hier könnt ihr (ab dem 10.04.2019) die wundervollen Artikel lesen: „Frieden zwischen Hier und Dort“
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