Im Grunde genommen verhalten wir uns wie Kinder. Warum ändert sich das aber oft, sobald wir auf Menschen treffen, die nicht in unser Weltbild, unsere kulturellen, sozialisierten oder anerzogenen Vorstellungen passen? Jetzt werden einige sagen: „Nein, ich bin unvoreingenommen.“ Dem ist aber nicht so. Jeder wird geleitet von Dogmen. Der Unterschied ist nur, wie stark diese ausgeprägt sind. Nun zu meiner Geschichte:
Ein Tag, den ich nie vergessen werde
Ich habe einen kleinen Sohn. Ihn zu beobachten, von ihm zu lernen, ist für mich eine große Freude und Bereicherung.
Seit knapp drei Jahren hat er einen Freund, der mittlerweile wie sein Bruder ist. Mein Herz wird warm, wenn ich die beiden beobachte, und ich bin dankbar für die Message, die diese zwei kleinen Jungs unbewusst senden.
Vor drei Jahren lernte ich den Jungen, seine Mutter und seine kleine Schwester kennen. Wir bekamen in unserem Ort „Neuzugänge“, die Unterstützung für den Neubeginn brauchten. Ich entschied mich für eine junge Frau mit zwei Kindern aus Syrien. Den Tag vergesse ich nie. Aus einer Eingebung heraus nahm ich meinen Sohn mit, um die Familie abzuholen. Auf dem Flur des Rathauses saß, mit einigen anderen zusammen, eine junge Frau mit ihrem kleinen Baby und ihrem Sohn, der ungefähr im Alter meines Sohnes war. Sofort wusste bzw. spürte ich, dass dies „meine Familie“ war.
Intuitives Verständnis ist ein ganz natürliches Geschenk
Was dann passierte, war unbeschreiblich berührend. Mein Sohn und der Junge schauten sich in die Augen, lachten sich an und sagten in unterschiedlichen Sprachen „Hallo“. Mein Sohn fragte, was der Junge gesagt hat, zuckte dann kurz mit den Schultern – „Egal!“–, ging zu dem Jungen, umarmte ihn und fragte, ob sie zusammen spielen wollen. Beide verstanden sich verbal nicht. Aber wie aus einer Selbstverständlichkeit heraus, fingen sie sofort an miteinander zu spielen, lachen, reden (in unterschiedlichen Sprachen, aber intuitiv wussten beide, was der jeweils andere wollte), als würden sie dieselbe Sprache sprechen. Es war unglaublich, denn in dem Moment durfte ich miterleben: Die beiden Kinder sprachen die gleiche Sprache. Die Sprache der Herzen. Frei von Fragen wie: wer bist du, wo kommst du her, warum bist du hier, was machst du, was denkst du, wie siehst du aus … Natürlich „stritten“ sie sich auch darum, was und wie gespielt wird, fanden aber immer ohne Mühe einen nonverbalen Kompromiss. Das war wirklich ein Schauspiel, das filmreif war: Lachen, Spielen, Streiten, Herantasten, Beleidigtsein, Sprechen – alles im sich stets wiederholenden Ablauf. Ein Wirrwarr aus zwei unterschiedlichen Sprachen, Vorstellungen und Charakteren, aber unbeirrt in ihrem Wunsch, für das Miteinander einen Weg zu einem gemeinsamen Rhythmus zu finden.
Wir alle können in uns das offenherzige Kind bewahren
Es liegt auch in unseren erwachsenen Herzen das Potenzial, Wege zueinander zu finden. Wir müssen uns nur öffnen, frei machen von unseren Gedanken ÜBER den anderen, das Anderssein. Warum lassen wir nicht zu, einen Menschen so zu sehen, wie er ist, mit all seinen Gefühlen und ureigenen Wünschen? Die Gefühle in allen Facetten und der Wunsch glücklich zu sein, verbindet jeden Menschen.
Spielt es eine Rolle, welche Vorstellungen, Einstellungen, Gedanken jemand hat? Angst vor Verlust, Enttäuschung oder Bedrohung? Setzen wir uns diesen Risiken nicht täglich in anderen Situationen und Bereichen aus, ohne darüber nachzudenken? Ist es wichtig zu wissen, welche Intentionen der andere hat? Ist es nicht wichtiger, erst selbst sein Herz zu öffen, um einen Zugang zum anderen zu finden, auch mit den damit verbundenen Risiken? Ich denke, mit Geduld und ohne Erwartungshaltung hätten wir Menschen weniger Probleme im Miteinander.