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Frauen und die Flüchtlingshilfe – eine Selbstreflexion.

Letzte Woche war Weltfrauentag. Jedes Jahr verschicke ich zu diesem Anlass gerne den Link zu diesem treffenden Tortendiagramm der ZEIT-Journalistin Katja Berlin:

 

Was ich daran gut finde? Die Grafik zeigt, auf welche Art und Weise dieser Tag häufig falsch verstanden wird. Der internationale Weltfrauentag (IWF) war ursprünglich – und ist es noch – der Frauenkampftag, kein Tag, an dem man Blumen verschenkt. Die Idee stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Clara Zetkin, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts als sozialistische Politikerin für Frauenrechte einsetzte. Gefeiert wird an diesem Tag nicht die Frau als Einzelperson. Gefeiert werden politische Erfolge, die feministische Bewegungen auf der ganzen Welt bereits durchgesetzt haben – wie etwa in Deutschland das Wahlrecht für Frauen vor 100 Jahren. Verbunden ist damit aber immer auch der Gedanke: Es gibt noch viel zu tun.

Viele Frauen werden im Alltag allein gelassen

Dieses Jahr habe ich den Fehler gemacht, mir auf Twitter die Kommentare zum Tortendiagramm durchzulesen. Die dort kommentierenden Männer (!) waren fast einhellig der Meinung, Frauen bekämen Blumen, weil die Gleichberechtigung hierzulande doch längst erreicht sei. Anstatt eines wütenden Twitter-Gegenkommentars verweise ich hier lieber auf einen guten Kommentar von Eva Horn auf Spiegel-Online. Sie zeigt an Beispielen wie der Hebammenversorgung und Schwangerschaftsabbrüchen, wo Frauen im Alltag immer noch allein gelassen werden. In diesem Jahr schließt der Weltfrauentag – zumal so kurz nach der Oscar-Verleihung – außerdem an die #MeToo-Debatte an, die gezeigt hat, dass auch Sexismus und sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft zum Alltag gehören. An dieser Stelle möchte ich die Journalistin Teresa Bücker zitieren, die auf den Punkt bringt, was dabei allerdings zu kurz kam:

„Zudem verlor sich die #MeToo-Debatte in Deutschland zu oft im Blick auf privilegierte Frauen. Dass sexueller Missbrauch oft in Kontexten extremer Abhängigkeit passiert, zum Beispiel Frauen mit Behinderungen, mit Migrationsgeschichte häufiger betroffen sind oder dass die Unterbringung von Geflüchteten Frauen nicht ausreichend vor Gewalt schützt, sondern diese eher begünstigt, ist bislang kaum adressiert worden. Gerade hier sind Journalist_innen gefragt, die Menschen, die nicht die gleichen Chancen haben, am Diskurs partizipieren zu lassen und ihnen Gehör zu verschaffen“ (aus dem Artikel: #MeToo kam nicht aus dem Nichts).

Geflüchtete Frauen im öffentlichen Diskurs

Auch beim Flüchtling-Magazin müssen wir uns fragen, ob wir geflüchteten Frauen genügend Raum geben und ob ihre Stimmen gleichermaßen vertreten sind. Ein kritischer Blick in unsere Redaktion zeigt ein nicht unübliches Bild: (zum Großteil) deutsche Frauen und syrische Männer. Seit längerem beobachte ich, dass sich in den Initiativen, die zur Unterstützung von Geflüchteten entstanden sind, viele Frauen engagieren. Zugleich sind es häufig geflüchtete Männer, die den Aufrufen zur Teilnahme folgen oder selbst Projekte initiieren. Woran liegt das?Argumentiert wird oft, geflüchtete Frauen seien schwer zu erreichen. Sie würden selten die Flüchtlingsunterkünfte oder ihre Wohnungen verlassen und blieben lieber unter sich. Davon dürfen wir uns nicht abhalten lassen. Es liegt in unserer Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass alle Gruppen unter den neu Ankommenden gehört werden. Inklusion, verstanden als die Idee, etwas gemeinsames Neues zu schaffen, kann nur gelingen, wenn Frauen wie Männer aus unterschiedlichen Herkunftsregionen im öffentlichen Diskurs vertreten sind.

Solidarität und Dialog im Kampf um Gleichberechtigung

Doch wie gehen wir auf Frauen zu, die nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen? Zwang und Überredung können nicht die Antwort sein. Oft schwingt bei Integrationsmaßnahmen und der Flüchtlingshilfe für Frauen die Haltung mit, „den Anderen“ Emanzipation beizubringen. Erst vor kurzem berichtete meine Familie davon, dass eine in meinem Heimatdorf lebende iranische Geflüchtete von den ortsansässigen Frauen gegen ihren Willen dazu gedrängt wird, ihr einjähriges Kind in die Kita zu bringen – der Integration wegen. Die gleichen Frauen beäugten noch zur Zeit meiner Kindheit andere Frauen mit kritischem Blick, die neben der Haushaltsführung mehr als einem Halbtagsjob nachgingen.

Niemals dürfen wir uns über die Frauen stellen, die aus anderen Regionen zu uns kommen! Die einzige Lösung kann sein, Solidarität mit allen Frauen zu zeigen, Frauen immer zu fragen, wie man sie unterstützen kann und im Dialog die jeweiligen Denkmuster kennenzulernen, um gemeinsam für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu kämpfen. Denn das ist es nach wie vor: ein Kampf, der weitergeführt werden muss und zwar weltweit oder wie Teresa Bücker schreibt: „#MeToo fällt auch in eine Zeit, in der noch einmal mehr Menschen sehr bewusst wahrnehmen, dass Gleichberechtigung längst nicht erreicht ist und dass es sogar wieder salonfähig wird, ihre Notwendigkeit in Frage zu stellen.

Wie Männer Frauen unterstützen können

Daher ist es im Grunde egal, wo Frauen aufeinandertreffen und wo sie herkommen, solange wir uns nicht selbst torpedieren, sondern zueinander stehen. Die vielen Frauen, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, sollten ein besonderes Augenmerk darauf haben. Gelingen kann Gleichberechtigung außerdem nur, wenn wir die Männer in die Pflicht nehmen. Beginnen kann man mit den sage und schreibe 100 Hinweisen von Dani Beckett, die beschreibt, wie Männer Frauen an den 364 anderen Tagen im Jahr das Leben leichter machen können anstatt ihnen einmal im Jahr Rosen zu schenken. Hier sei nur der letzte genannt: „Mainly, just listen to women. Listen to us and believe us. It’s the only place to start if you actually want all women to have a ‘Happy International Women’s Day.’“ (Hauptsächlich geht es darum, Frauen zuzuhören und ihnen zu glauben. Wenn ihr wirklich wollt, dass alle Frauen einen schönen Weltfrauentag haben, dann müsst ihr genau damit beginnen.)

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Anna hat Medienwissenschaften studiert und promoviert in der Erwachsenenbildung. Bei kohero koordiniert sie die Online-Redaktion. In ihrem zweiten Job arbeitet sie für eine Hamburger Stiftung als Projektkoordinatorin eines Weiterbildungsprogramms. „kohero ermöglicht mir, online und offline gemeinsam mit tollen Menschen für gesellschaftlichen Zusammenhalts zu kämpfen. Jede*r hat eine Geschichte zu erzählen – dieses Motto des Magazins ist für mich die Grundlage dafür!“

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