Ihr Blick reicht nicht bis zu jener Straße, ein paar Viertel weiter, wo sie geboren und groß geworden ist. Es war ein bescheidenes Zuhause, ein altes und schmuckloses Gebäude. Nicht wie das exklusive Wohnhaus, wo sie die letzten Jahre ein Leben im puren Luxus mit ihrem Mann geführt hat. Adriana wollte auch niemals wieder an ihren Anfang denken, geschweige denn etwas davon sehen. Sie weiß, dass sie sehr hart gearbeitet hat, um dahin zu kommen, wo sie einmal war: die First Lady des Bundesstaates Rio de Janeiro. Ihr Mann war der ehemalige Gouverneur Sergio Cabral. Sein opulentes Leben wurde mit der Sparsamkeit einer kargen Gefängniszelle getauscht. Er kann auf eine Zukunft von 57 Jahren hinter Gittern blicken, vorausgesetzt keine weiteren Anklagen werden gegen ihn erhoben.
Adriana hat ihren erfolgreichen Weg in die Politik minutiös und zielsicher geplant. Schon während des Jurastudiums hat sie alles daran gesetzt, mit dem Professor Fichtner ein mehr als freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Sie wusste, dass Fichtner ein guter Freund von Cabral war, damals Abgeordneter im brasilianischen Kongress. Später wurde der Professor Stellvertreter von Cabral im Senat, als er Gouverneur wurde. Schon vor dem kometenhaften Aufstieg war Cabral Präsident der Legislativen Kamera von Rio. Professor Fichtner war dort Generalsekretär. Und auf seine Einladung hin wurde Adriana als Referentin eingestellt.
Von der Verkäuferin zur gewieften Anwältin an der Seite des Senators
Adriana erinnert sich zwischen zwei Zigarettenzügen, wie sie ihren künftigen Mann kennengelernt hat: er, der charismatische Politiker, und sie, die gewiefte und kluge Anwältin, die jetzt ihre neue Zukunft sah. Die Scheidung vom ehemaligen Ehepartner erfolgte schnell. 2004 wurde Adriana mit einer rauschenden Hochzeitsparty vor tausenden von Gästen die Ehefrau eines Senators. Kein schlechter Anfang für das Mädchen, dass als Verkäuferin in einem Einkaufszentrum gearbeitet hat, um das Studium zu finanzieren. Adriana wusste, dass dieser harter Weg irgendwann Früchte tragen würde. Und jetzt war der Moment gekommen, als Cabral Gouverneur wurde.
Zuerst galt es, Hindernisse zu räumen: seriöse und ehrliche Männer, die ihre Machenschaften niemals dulden würden. Professor Fichtner war das erste Opfer, zu diesem Zeitpunkt Chef des Regierungsamtes von Cabral. In einem internen Krieg hat die First Lady ihren Ex-Mann und Geschäftspartner, auch Rechtsanwalt, zu einer Stelle im Obergerichtshof verholfen. Der Professor war dagegen und musste letztendlich seinen Posten räumen. Es folgten dubiose Vergaben von Aufträgen an große Baufirmen und andere Unternehmer mit der juristischen Hilfe von Kollegen ihres Ex-Mannes.
Illegale Praktiken wurden zur Regel
Sie blickt zum Strand und denkt, was daran so falsch sein kann. Unzählige Männer in der Politik sind schon immer so vorgegangen. Die illegalen Praktiken wurden zur Regel. Das Geld floss in immer größeren Mengen. Sie lächelt jetzt wenn sie daran denkt, dass es ihre Idee war, ein Teil des Geldes mit dem Kauf von teuren Juwelen zu waschen. Die exklusiven Juweliere haben niemals eine Rechnung ausgestellt, um die neue großzügige Kundin nicht zu vergraulen. Sie kann sich noch genau daran erinnern, als der erste Bote zu ihr nach Hause kam, um den teuren Schmuck zu liefern und die Bezahlung in bar in Empfang zu nehmen. Sie wusste, dass ihr Mann kein Wort darüber verlieren würde. Der war zu sehr mit seiner politischen Karriere beschäftigt, eine zeitintensive Angelegenheit. Sie wusste auch, dass ihr Mann Angst vor ihren Wutanfällen hatte. Er fürchtete ihre Eifersüchteleien und wilden Diskussionen selbst vor den Kindern und dem Personal. Der Reichtum der Familie wuchs. Teure Auslandsreisen konnten problemlos mit den Einnahmen der großzügigen Zahlungen von Bauunternehmern und anderen beglichen werden.
Sie drückt die Zigarette aus und weiß, dass sie es zu weit getrieben hat. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hat sie die Zeichen einer kalten Rache nicht sehen wollen. Der alte, gechasste Professor und andere männliche Opfer ihrer Machenschaften waren mehr als willig, der Justiz belastende Einzelheiten zu verraten, selbst wenn sie selbst dadurch von einer Strafe bedroht waren. Sie denkt an den dubiosen Richter, der bewirkt hat, dass sie ihre lange Strafe in ihrem goldenen Käfig absitzen kann. Es ist ärgerlich, dass sie kein Handy oder Computer besitzen darf.
Zeichen kalter Rache auf dem Höhepunkt der Macht
Adriana flucht leise, als sie auf ihre Hausschuhe und die elektronische Fußfessel schaut. Vor nicht allzu langer Zeit trugen ihre Füße die sündhaft teuren Schuhe mit der bekannten roten Sohle, als sie und ihre reichen Freundinnen eine rauschende Party in Paris feierten. Das war die Zeit, bevor sie ihre Krone verlor.
Jede Frau ist eine Kämpferin. So war es immer und so ist es auch heute. In jedem Buch über Anthropologie, Geschichte, Soziologie oder Philosophie mussten die Frauen immer die harten Aufgaben erledigen. Sie haben sich um den Mann oder auch um Männer gekümmert, den Nachwuchs gepflegt und geschützt und für einen ordentlichen Haushalt gesorgt. In den frühen Jahren der Menschheit haben sie auch gesät, geerntet und den Stamm verteidigt, wenn die Männer abwesend waren. In einigen Fällen, wenn die Männer im Krieg starben, waren es die Frauen, die sich um die Verwaltung des Familienvermögens gekümmert haben.