Geduld und Engagement in der Arbeitsintegration
„Wie viele Menschen gibt es in Deutschland mit Migrationserfahrung?“, fragt Ties Rabe – Senator für Schule und Berufsbildung – in die Runde. „Es sind zehn Prozent.“, verrät er. Sieht man sich nur Hamburg an, ist die Stadt im Umgang mit Migranten sehr erfahren. Rund 20 Prozent macht der Anteil mittlerweile aus. In den Hamburger Schulklassen sind es sogar 50 Prozent. Der hohe Migrationsanteil wirkt sich vitalisierend aus und zeigt: Die Welt steht immer noch – auch oder eben gerade wegen der bunten Mischung.
Für Geflüchtete gibt es mit der dualen Ausbildungsvorbereitung für Migranten (AvM-Dual) ein Angebot an den Berufsschulen, das den Geflüchteten betriebliche Integrationsbegleiter zur Seite stellt. Mittels Praxisphasen werden sie so auf die duale Ausbildung vorbereitet. „Es braucht viel Geduld und Engagement, um Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit zu integrieren. Trotzdem packen erfreulich viele Unternehmen der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft diese Aufgabe mit Einsatz und Pragmatismus an. Damit dies aber gelingt, ist vor allem das Verständnis der Flüchtlinge für die duale Ausbildung wichtig. Sie müssen den Wert und die Notwendigkeit einer Berufsausbildung verstehen und schätzen.“, so Michael Seitz, Sprecher der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft.
Erfolgsfaktoren für einen Geflüchteten auf seinem Weg zur Fachkraft
Überall heißt es Integration durch Arbeit. Doch was tut man, wenn man nicht die Arbeit bekommt, die man will? „Ein Beruf ist viel mehr als nur Lebenssicherheit. Er ebnet den Weg für Entfaltung“, meint Ties Rabe. Schließlich finde man in einem Beruf zudem Selbstbestätigung, soziale Beteiligung und kann lebenslang dazulernen.
Um eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen, brauche man vor allem die Sprache. Diese sogar noch vor der Motivation, so Neshan Daoud. Der Syrer absolviert aktuell seine Ausbildung zum Platten-, Fliesen- und Mosaikleger. Er steckt mitten in seinen Klausuren. Er plädiert: „Flüchtlinge sollten noch früher gefördert werden – sowohl in der Sprache als auch in der Ausbildung. Meine Prüfung war gut, aber manche Prüfungsfragen sind so komisch gestellt.“ Zudem erinnert er sich an seinen Arbeitsstart: „Ich musste immer mehr geben als alle anderen und wie verrückt arbeiten. Das war hart. Hat mir aber noch mal mehr den Unterschied zwischen meiner Heimat und Deutschland gezeigt. Hier bekommt man das, was man durch seinen Einsatz verdient. In Syrien wäre das nicht möglich gewesen. Denn da gelten andere Gesetze.“
Die hohe Motivation der Geflüchteten kann Özge Acar, Willkommenslotsin des Garten- und Landschaftsbau Verbandes Hamburg, bestätigen: „Die einheimischen Kandidaten sind meist weniger motiviert.” Deswegen ist es unverständlich, dass viele Menschen mit Potenzial nicht die Chance bekommen: „Die Asylbewerber ohne gute Bleibeperspektiven dürfen zwar eine Ausbildung machen und nach Abschluss noch zwei Jahre im Betrieb bleiben, haben aber keinen Zugang zu ausbildungsbegleitenden Hilfen wie Flüchtlinge mit Bleiberecht. Das ist ein Widerspruch und ungerecht!“, so Acar.
Gesellschaftliche Bereitschaft zur Integration als Schlüsselfaktor
Neben Arbeitsmotivation und Sprache sind sich die Diskutanten einig: Die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft ist für eine nachhaltige Integration unabdingbar. Nur durch die Unterstützung von Arbeitskollegen, Freunden, Lehrern und Willkommenslotsen ist man erfolgreich. „Geflohene werden dann zu Arbeitskräften, wenn allen Beteiligten klar ist, es kommen Menschen. Nicht allein Arbeitskräfte oder Auszubildende“, so Sönke Fock, vorsitzendes Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, zum Thema Arbeitsintegration. Zumal man andere Menschen braucht, um zum Sprechen gezwungen zu werden. Dadurch kann auch das gegenseitige Kulturverständnis wachsen.
Allerdings lässt sich der Fachkräftemangel nicht allein durch die Arbeitsintegration von Flüchtlingen lösen: „Aktuell sind etwa 63.200 arbeitslos gemeldet und etwa 6.000 davon weisen eine hohe Kundenbindung auf.“ Folglich müssten für die Lösung des Fachkräftemangels auch andere Themen angegangen werden. Die Geflohenen bergen aber viel Potenzial.
„Wir sind immer wieder erstaunt, über welche besonders handwerklichen Fertigkeiten die Flüchtlinge verfügen und mit welcher Energie und Freundlichkeit sie sich in die Ausbildung stürzen“, so Torsten Rendtel, Geschäftsführer des Ausbildungszentrums Bau. Berufsvorbereitende Maßnahmen erleichtern den Geflüchteten die Heranführung in die betriebliche Ausbildung. Von aktuell 450 betrieblichen Auszubildenden in der Hamburger Bauwirtschaft sind etwa 75 Geflüchtete. Weitere 30 bis 35 werden zum Anfang September die Ausbildung beginnen.