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Erkenntnisse der Migrationsforschung: Ein Interview mit dem Immigration Policy Lab

Forschung nicht nur um ihrer selbst willen – das ist das Ziel des Immigration Policy Lab (IPL), einer Einrichtung für Migrationsforschung an der ETH Zürich und der University Stanford. Auf Grundlage belastbarer Daten will das IPL staatliche Stellen dabei unterstützen, die richtigen Entscheidungen in der Einwanderungs- und Integrationspolitik zu treffen. Kürzlich haben die Migrationsforscher*innen z.B. herausgefunden, dass Arbeitsverbote langfristig für alle Seiten von Nachteil sind, wie Anna Heudorfer im Interview mit Joëlle Pianzola (JP) und Moritz Marbach (MM) erfuhr.

Was genau erforscht ihr als Migrationsforscher?

JP: Wir setzen uns mit drängenden Fragen der Einwanderungs- und Integrationspolitik auseinander. Unser Ziel ist es, die empirische Evidenz dafür zu liefern, welche politischen Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Inhaltlich lässt sich unsere Migrationsforschung in drei Teile gliedern: Wir untersuchen, wie die Einstellungen von Einheimischen zu Einwanderung zustande kommen, welche Auswirkungen die Regelungen zu Asyl, Integration und Einbürgerung für Migrantinnnen und Migranten sowie die Aufnahmegesellschaft hat, und wie politische Maßnahmen mit Blick auf die Integration optimiert werden können.

MM: Ich beschäftige mich vor allem damit, wie Politik Zuwanderung und die Integration von Zugewanderten fördert oder verhindert. Beides kann ein politisches Ziel sein. Jedoch ist selten offensichtlich, ob das Ziel erreicht wird und welche unerwarteten Auswirkungen Politiken wie beispielsweise Arbeitsverbote für Geflüchtete haben. Genau hier kann sozialwissenschaftliche Forschung hilfreich sein: Es geht darum, belastbare Evidenz über die Auswirkungen von Migrationspolitik bereitzustellen.

Wie sieht euer Arbeitsalltag in der Migrationsforschung aus?

MM: Idealerweise habe ich den Tag über Zeit, Daten zu analysieren. <lacht> Aber bevor ich das kann, muss ich oft sehr viel Zeit investieren, die Daten zu sammeln und aufzubereiten, beziehungsweise das Forschungsprojekt an sich zu konzipieren. Das dauert oftmals ein Vielfaches solange wie die eigentliche Datenanalyse. Stehen die Resultate erstmal fest, fasst man sie in einem Arbeitspapier zusammen, teilt es mit Kollegen und stellt es auf Konferenzen vor, um es schließlich zu veröffentlichen. Und natürlich unterricht man als Wissenschaftler an der Universität auch noch, was ebenfalls 1-2 Tage in der Woche in Anspruch nimmt.

JP: Als Executive Director der Forschungsgruppe bin ich für die strategische Ausrichtung, das Partnernetzwerk und das Management des Forschungsportfolios verantwortlich. Da wir für unsere Arbeit mit staatlichen Institutionen, NGOs und internationalen Organisationen zusammenarbeiten, verbringe ich viel Zeit im Austausch mit unseren Projektpartnern. Gleichzeitig bin ich für das Projektportfolio unserer Forschungsgruppe zuständig und schaue, dass wir relevante Projekte zu wichtigen Fragestellungen machen und, dass diese mit den eingesetzten Mitteln gut geplant zum Ziel kommen. In meiner Funktion bin ich für die Leitung des IPL Zürich Teams zuständig und unterrichte auch an der ETH Zürich.

Was motiviert euch persönlich zu dieser Arbeit?

MM: Die Debatte um Zuwanderung und Geflüchtete ist sehr stark von Emotionen getrieben. Es gibt wenig belastbares Wissen darüber, welche Folgen Zuwanderung hat, wie Zuwanderung und Integration gestaltet werden kann. Das führt zu Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung. Mehr Informationen, mehr Wissen über Zuwanderung und Geflüchtete wird diese Angst und Unsicherheit helfen abzubauen. Meine und unsere Arbeit insgesamt leistet dazu einen Beitrag.

JP: In unserer Arbeit der Migrationsforschung suchen wir täglich nach Lösungsansätzen zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Dies zusammen mit einem hochmotivierten und innovativen Team zu tun, ist sehr bereichernd.

Ihr arbeitet für das Immigration Policy Lab, das an der ETH Zürich und der University Stanford sitzt. Was genau ist das für eine Einrichtung?

JP: Mit den beiden Standorten an der ETH Zürich und an der Universität Stanford ist das Immigration Policy Lab eine internationale Gemeinschaft von Wissenschaftlern. Diese sind auf dem Gebiet der Immigrations- und Integrationspolitik spezialisiert und haben gemeinsam ein umfassendes Forschungsprogramm entwickelt. Mit unserem internationalen Team aus Länderexperten zu Europa, Nordamerika, Nordafrika und Nahost können wir die Thematik global erforschen. Anhand der Resultate aus verschiedenen Systemen können wir zudem vergleichen und aufzeigen, was im jeweiligen Kontext am besten funktioniert. Als universitäre Einrichtungen betreiben wir unabhängige Forschung und evidenz-basierte Beratung.

Welche Ziele verfolgt ihr bzw. das Lab mit eurer Migrationsforschung?

JP: Unser Ziel ist es, Forschungsergebnisse bereit zu stellen, die gesellschaftlich relevant und für politische Entscheidungsträger brauchbar sind. Dabei wollen wir den involvierten Akteuren mit unserem evidenz-basierten Ansatz Werkzeuge zur Verfügung stellen, mit denen kluge Policies entwickelt werden können, die für Geflüchtete und Aufnahmegesellschaften gleichermaßen nützlich sind.

Welche Rolle spielt Forschung eurer Meinung nach dafür, die Lebenssituation von Geflüchteten zu verbessern?

MM: Eine viel zu geringe aus meiner Sicht. Nehmen Sie beispielsweise die zahlreichen Integrationsprogramme des Bundes und der Länder. Kaum eines von denen wird wissenschaftlich evaluiert. Allen gemeinsam ist, dass die Integration von Zuwanderern und Geflüchteten gefördert werden soll. Aber keiner weiß, ob das funktioniert und vor allem, welches dieser Programme am besten funktioniert. Das liegt oft auch daran, dass Regierungen selten bereit sind, ihre Daten mit unabhängigen Sozialwissenschaftlern zu teilen und wissenschaftliche Evaluationen zu fördern. Dies ist schade, denn die Erkenntnisse aus diesen Evaluationen würden dabei helfen, dass Geflüchtete in Zukunft bessere Integrationsförderung erhalten.

JP: Anhand von guter Forschung können wir lernen, welche politischen Maßnahmen in welcher Art und Weise wirkungsvoll sind oder nicht. Mit diesen Erkenntnissen können existierende Maßnahmen verbessert oder neu konzipiert werden, wovon Geflüchtete wie auch Aufnahmegesellschaften profitieren.

Arbeitet ihr dabei auch direkt mit Geflüchteten zusammen?

MM: Ja, jeden Tag. In unseren größten Forschungsprojekten befragen wir Tausende Flüchtlinge zu ihren Eindrücken und Einstellungen.

JP: Wie Moritz bereits erwähnt hat, führen wir in verschiedensten Ländern großangelegte Umfragen bei Geflüchteten durch. Dabei arbeiten wir auch mit Fokusgruppen, wo direkt Betroffene in kleineren Kreisen über ihre Erfahrungen und Motivation berichten.

Ihr habt vor einiger Zeit eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Arbeitsverbote für Geflüchtete Integration verhindern und letztlich Kosten verursachen, die der Steuerzahler tragen muss. Wie genau seid ihr bei dieser Studie vorgegangen?

MM: In der Studie nutzen wir den Umstand, dass ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2000 die damalige deutsche Regierung Schröder zwang, das Arbeitsverbot für Geflüchtete auf 12 Monate zu verkürzen. Während Asylsuchende, die im Jahr 1999 ankamen, zwischen 13 und 24 Monaten warten mussten, bevor sie sich für eine Stelle bewerben konnten, mussten diejenigen, die 2000 ankamen, lediglich 12 Monate warten.

Als die neue Regelung in Kraft trat, kamen die meisten Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien als Asylsuchende nach Deutschland. Anhand des Mikrozensus untersuchten wir Personen aus Jugoslawien, die entweder 1999 oder 2000 ankamen. Zwei in fast jeder Hinsicht identische Gruppen – bis auf den Unterschied von durchschnittlich 7 Monaten längerem Arbeitsverbot.

Kurz nach Ablauf des Arbeitsverbots hatten beide Gruppen niedrige Beschäftigungsquoten. Aber diejenigen mit kürzeren Wartezeiten überholten diejenigen mit längerer Wartezeit bald darauf. Nach fünf Jahren hatte etwa die Hälfte der 2000er Gruppe eine Anstellung, während nur ungefähr 30% der 1999er Gruppe eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Erst 2010, zehn Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regelung, schlossen die Nachzügler auf. Diese Kluft lässt sich nicht durch allgemeinere Veränderungen in der Wirtschaft erklären. So fanden die in den Jahren 1999 und 2000 eingetroffenen türkischen Zuwanderer, welche kaum von der Regelung betroffen waren, ähnlich schnell Arbeit.

Welche Schwierigkeiten gab es dabei?

MM: Viele verfügbare statistische Daten erlauben es nicht, Asylsuchende ohne weiteres von anderen Zuwanderern zu unterscheiden. Zweitens ist es eine Herausforderung, den Effekt von Beschäftigungsverboten von anderen Faktoren zu isolieren, die ebenfalls beeinflussen, ob Geflüchtete sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren. Wenn Geflüchtete in einem Land mit einem kürzeren Beschäftigungsverbot schneller und dauerhaft Arbeit finden, könnte das an einer Vielzahl von Faktoren liegen, die die Länder unterscheiden.

Woran liegt es, dass Arbeitsverbote letztlich für alle Seiten von Nachteil sind?

MM: Kurzfristig mögen Arbeitsverbote den Sorgen der Wähler*innen zwar entgegenkommen, langfristig sind sie aber politisch riskant. Wenn Geflüchtete nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und als Belastung des Sozialsystems wahrgenommen werden, könnten sich Regierungen bald mit einem politischen Aufschrei der Wähler*innen konfrontiert sehen. Hinzu kommt, dass deutsche Arbeitnehmer*innen nicht mal unbedingt von einer Politik, die Geflüchtete vom Arbeitsmarkt fernhält, profitieren. Frühere Studien haben gezeigt, dass Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt weder die Löhne der Einheimischen senken, noch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese ihre Arbeitsstelle verlieren. Letztendlich kommt eine Politik, welche die Motivation der Geflüchteten, sich rasch zu integrieren und ein produktiver Teil der Gesellschaft zu werden, optimal fördert nicht nur den Geflüchteten selbst, sondern allen Steuerzahler*innen im Aufnahmeland zugute.

Die Studie zu Arbeitsverboten von Geflüchteten ist hier in der Kurzzusammenfassung zu lesen:

Die wissenschaftliche Veröffentlichung findet ihr unter:

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Anna hat Medienwissenschaften studiert und promoviert in der Erwachsenenbildung. Bei kohero koordiniert sie die Online-Redaktion. In ihrem zweiten Job arbeitet sie für eine Hamburger Stiftung als Projektkoordinatorin eines Weiterbildungsprogramms. „kohero ermöglicht mir, online und offline gemeinsam mit tollen Menschen für gesellschaftlichen Zusammenhalts zu kämpfen. Jede*r hat eine Geschichte zu erzählen – dieses Motto des Magazins ist für mich die Grundlage dafür!“

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