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Engagement statt Anpassung

Roudy Ali ist 24 Jahre alt. Sie ist Kurdin, kommt aus der syrischen Stadt Afrin und ist 2015 nach Deutschland geflüchtet.  Mit großem Engagement setzt sie sich für andere ein und kämpft für Frauenrechte. Viel hat sie bereits erreicht. Und viel hat sie sich noch vorgenommen. Davon erzählt sie in diesem Beitrag.

Roudy Ali. Foto: Sedra Ali

Mein Name ist Roudy Ali. In Syrien habe ich bis zur elften Klasse die Schule besucht.  2012 bin ich dann aus der syrischen Stadt Aleppo in die Region Kurdistan Stadt Erbil geflüchtet. Da besuchte ich nach der Geburt meines Sohnes weiterhin die Schule und erhielt danach das Abitur. Ich bestand darauf mit dem Studium anzufangen. Deswegen habe ich nachher an der Salahaddin Universität in Erbil zwei Semester Agrarwissenschaft Engineering auf Englisch studiert.  Als ISIS das Gebiet betrat, waren wir gezwungen nach Deutschland zu flüchten. So bin ich 2015 nach Deutschland gekommen. Als ich noch in der Flüchtlingsunterkunft lebte, habe ich schon die deutsche Sprache ohne Kurse beherrscht.

Bei meiner Ankunft in Deutschland war es zunächst mein Ziel, mein Studium abzuschließen. Deswegen habe ich in einem Asylheim freiwillig als Übersetzerin gearbeitet und den dortigen Mitarbeitenden geholfen, mit anderen Flüchtlingen zu kommunizieren. Da ich kurdische und arabische Muttersprachlerin bin und auch Englisch und Französisch gut sprechen und schreiben kann, konnte ich mich verschiedene Kulturen gegenüber öffnen und meine Hilfe zu dolmetschen allen Menschen vor Ort anbieten.

Ich wollte anderen Menschen helfen

Ich bat die Sozialarbeiter*innen in der Flüchtlingsunterkunft, mir das Deutschlernen zu ermöglichen und einige Bücher und Materialien zur Verfügung zu stellen, um die Grundlagen der Sprache kennenzulernen. Da ich die Möglichkeit, an einem Deutschkurs teilzunehmen, noch nicht hatte, stellten sie mir und allen, die Interesse hatten, Literatur zur Verfügung. Dann fragten wir während unseres Aufenthaltes in der Unterkunft nach Sprachlehrenden. Einige freiwillige Rentner unterstützten uns ehrenamtlich und brachten uns die Grundlagen der deutschen Sprache bei. Mein Plan hat sich daraufhin geändert. Ich hatte einen neuen Traum und wollte mich in einem anderen Bereich orientieren, und zwar dort, wo es mir möglich ist, Menschen zu helfen. Somit entschied ich mich für die Sozialarbeit und erkundigte mich bei den zuständigen Personen, die sich mit den Angelegenheiten ausländischer Studenten beschäftigten.

Ich habe verschiedene Praktika gemacht, zum Beispiel in einer Flüchtlingsunterkunft. Ich durfte mit verschiedenen Organisationen wie dem Arbeiter Samariter Bund und sogar in der Nachmittags-Betreuung in einer Grundschule bei der Arbeiterwohlfahrt als Betreuerin arbeiten. Außerdem habe ich ehrenamtlich Frauen und Familien zu Krankenhäusern und Behörden begleitet. So konnte ich meine sprachlichen Kenntnisse weiterentwickeln.

Trotz des damaligen Stresses arbeitete ich jedoch weiterhin fleißig und bestand alle möglichen Prüfungen, bis ich dann nach einem Jahr und zwei Monaten meiner Ankunft in Deutschland an der katholischen Hochschule aufgenommen wurde. Dort befinde ich mich momentan schon im fünften Semester.

Als Stipendiatin engagiert für Gerechtigkeit

Ich wurde in dem Gremium meines Studiums als eine von 90 Studenten aus ganz Deutschland als Hans-Böckler- Stipendiaten ausgewählt. Dort bin ich unter anderem für die Frauenakte und den Feminismus in der Stiftung aktiv. Ich habe beispielsweise die Moderation einer Podiumsdiskussion anlässlich des Equal Pay Days in Kooperation mit dem deutschen Gewerkschaftsbund und der DGB-Jugend für das Thema „Lohngleichheit“ übernommen und viele andere Aktivitäten mit der gewerkschaftlichen Stiftung HBS gemacht.

Auf meiner Netzwerk-Seite biete ich anderen Frauen Unterstützung, Beratung und Sensibilisierung an. Betroffene sind überwiegend Frauen, die unter Ungerechtigkeit und Zwang leiden und keine Kenntnis über ihre eigenen Rechte haben.
Mit den Grundsätzen der Menschenrechte im Allgemeinen und insbesondere den Rechten der Frauen bin ich vertraut. Ich versuche nicht nur Gutes für mich selbst anzustreben, sondern für alle unterdrückten Frauen einzustehen, mich für sie einzusetzen und Aufklärung zu leisten.

Chefredakteurin im Ehrenamt

Als ich noch im Irak lebte, wurden einige meiner Artikel und Gedichte in arabischen und kurdischen Zeitungen unter anderem in der Stadt Aleppo und Afrin veröffentlicht.

Im Oktober 2018 wurde ich zur Chefredakteurin des deutschen Teils des kulturellen Magazins „Olive Flower“ hier in Deutschland ausgewählt, welches in drei Sprachen erscheint: Deutsch, Arabisch und Kurdisch. Alle im Team wie auch ich arbeiten ehrenamtlich an dem Magazin und haben bis Mai 2019 die monatliche Herausgabe des Magazins aus eigener Tasche finanziert. Aufgrund fehlender finanzieller Förderung für das Projekt konnten wir leider keine weiteren Ausgaben des Magazins herausgeben.

Wir mussten als Team bedauerlicherweise feststellen, dass es trotz des Zuwachses von Menschen mit Migrations-Biografie noch kein Magazin gibt, welches auf mehreren Sprachen veröffentlicht wurde. Seit 2014 waren immer mehr Menschen aus dem mittleren Osten gezwungen, ihre Heimat aufgrund von Kriegsumständen zu verlassen. Mittlerweile leben zwei bis drei Millionen Menschen in Deutschland, die entweder arabische oder kurdische Muttersprachler*innen sind. Aufgrund dessen sahen wir den großen Bedarf und Nutzen, wissenschaftliche Artikel in arabischer, kurdischer und deutscher Sprache zu publizieren.

Das Magazin „Olive Flower“ richtete sich in erster Linie an Mitglieder aller Konfessionen, unabhängig von religiöser und ethnischer Zugehörigkeit. Es behandelte Themen, die sich mit Fragen der Begegnung und der gegenseitigen Integration von Migranten einerseits und der deutschen Gesellschaft andererseits beschäftigen.
Wir sind eine Gruppe von Akademiker*innen und Journalist*innen, die sich zusammengefunden haben, um ein kulturbezogenes Magazin herauszubringen. Die Gruppe besteht aus Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund sowie deutschen Mitbürger*innen.

Weiterhin aber als Olive Flower Verein engagiere ich mich doch ehrenamtlich. Ich organisierte unter anderem Mitgliedern des Vereins bis jetzt drei große Veranstaltungen in verschiedenen Städten in Deutschland wie Solingen, Köln und Essen, um den Fokus mehr auf die Multikulturalität und die gegenseitige Integration zu richten.

Ohne Politik lösen sich keine Probleme

Meine Meinung ist: Wer für Menschenrechte kämpft, sollte deutlich bis hin zur größten Macht der Welt aktiv sein! Ohne Politik lösen sich keine Probleme und von allein werden keine Gesetze legitimiert.
Ich habe schon einige politische Aktivitäten gehabt, wie mein Engagement im März im belgischen Parlament für die Sache von Afrin allgemein nach einem Jahr Besatzung von der türkischen Armee. Diskutiert habe ich dort auch die Situation von Minderheiten wie den Ezieden.

Hochschulweit bin ich vor einigen Monaten Mitglied in dem studentischen Parlament, konkret für die Ebene der Koordination mit anderen Abteilungen im Bundesland und dem Senat der Hochschule zuständig gewesen. Es freut mich auf jeden Fall erheblich, als erste geflüchtete Studentin in unserer Hochschule in dem StuPa (studentischen Parlament) eintreten zu können, da die Präsenz der geflüchteten Studenten so versteckt ist.

Integration ist mehrseitige Teilhabe

Ich habe eigentlich eine andere Vorstellung von Identität. Es gibt, wie schon die Soziologin und Schriftstellerin Anette Treibel in ihrem Buch „Integriert Euch“ beschreibt, mehrere Typen der Identität wie singuläre, multiple und Mehrfach-Identitäten. Ich glaube, dass die Identität die seelische Beschreibung gemäß einem Zugehörigkeitsgefühl ist. Deswegen gibt es diejenigen, die sich zum Beispiel als Kurden-Syrer oder Syrer-Kurden oder auch nur als eine von den beiden bezeichnen.

Meine spirituellen Gefühle spiegeln eher meine kurdische als meine syrische Identität wider. Das bedeutet aber nicht, dass sie gegeneinanderstehen. Ich glaube nicht, dass eine Identität so etwas wie ein Gegenteil hat. Es geht mehr um die Anerkennung und die Wahrnehmung der Person in seinem Heimatland. Dafür wurde ich immer als Kurdin bezeichnet und wahrgenommen, aber nie offiziell anerkannt. Deswegen habe ich nun dieses Zugehörigkeitsgefühl.

Integration ist die mehrseitige Teilhabe an verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen im Leben. Normalerweise wird dieser Begriff öfter benutzt, wenn es um Menschen mit Migrationshintergrund beziehungsweise Flüchtlinge geht. Inwieweit integrieren sich Menschen mit Migrations-Biografie oder Flüchtlinge in die Gesellschaft? Wie integrieren sie sich in ihren Arbeitsbereichen, beim Sprachen lernen, im Rahmen der „deutschen“ Kultur? Dabei ist „Integration“ in der öffentlichen Debatte oft ein Kampfbegriff (nach Anette Treibel).

Sprache als Schlüssel zur Integration

Meiner Meinung nach muss man sich nicht an irgendetwas anpassen und sich ändern, um mehr wahrgenommen und akzeptiert zu werden. Es besteht jedoch das Bedürfnis, sich in dem Land und an dem Ort, wo man lebt, wohl zu fühlen. Und dieses Gefühl entsteht nicht, wenn man dafür nichts tut. Vor allem die Sprache ist wichtig! Sie ist der Schlüssel für erfolgreiche Integration.

Auch kann es keinen Erfolg bei der Integration geben, wenn sie nur von einer Seite stattfindet! Wenn sie nicht gegenseitig geschieht, bedeutet das eigentlich nicht Integration, sondern Anpassen.

 

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Autorengruppe
Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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