Was waren Ihre Beweggründe, Ihr Heimatland Mexiko zu verlassen?
Das ist eine einfache Frage. Mein Mann war wegen seines Studiums in Oaxaca. Wir haben uns verliebt und sind dann ein Jahr später gemeinsam nach Deutschland gegangen. Das war 1997.
Mexiko ist ein politisch sehr bewegtes Land. Wie haben Sie die dortige politische Stimmung vor Ihrer Emigration wahrgenommen?
Die Situation in Mexiko war damals schon schwierig und sie ist es nach wie vor. Die Hauptprobleme sind Korruption, Straflosigkeit und Drogenkartelle. Von 1929 bis 2000 war die PRI, also die Partido Revolucionario Institucional, an der Macht. In diesen 70 Jahren gab es in Mexiko quasi eine Ein-Parteien-Diktatur. Im Jahr 2000 kam dann eine neue Partei an die Macht, die PAN (Partido Acción Nacional). Für viele Mexikaner war dies eine Hoffnung, eine Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die neue Partei war eher rechts und konservativ. Und trotzdem blieben die Probleme dieselben. Unter dem Präsidenten Felipe Calderón wurden beispielsweise viele kritische Journalisten und Menschenrechts-Aktivisten getötet. 2018 gewann eine neue linke Partei die Wahl. Und auch wenn der jetzige Präsident López Obrador für linke und liberale Politik steht, so verschwinden die Probleme leider nicht.
Sie haben an renommierten, mexikanischen Universitäten Jura und Psychologie studiert. Wie ist es nun, in diesen erlernten Berufen hier in Hamburg, in Deutschland zu arbeiten?
Es ist schwierig. Das deutsche Rechtssystem ist ganz anders als das in Mexiko. Psychologie dagegen bietet mehr Chancen, mein Studienabschluss wurde anerkannt. Ich arbeite als psychologische Beraterin mit Migranten aus Lateinamerika und Spanien. Dabei stelle ich mir immer die Fragen: Was bedeutet es zu migrieren? Und wie kann eine erfolgreiche Integration aussehen? Migration und das Ankommen in einem fremden Land können zu großem psychischem Stress führen. Die Menschen hatten in ihren Heimatländern einen Beruf, sie hatten ein soziales Umfeld. Hier in Deutschland sind sie zunächst einmal komplett alleine und auf sich gestellt. Mit dieser schwierigen Situation sind viele überfordert. Das kann depressiv machen und Ängste auslösen und auch Frustration und Wut.
Ein weiteres Thema, welches mir bei meiner Arbeit immer wieder begegnet, ist die Gewalt, vor allem die Gewalt gegenüber Frauen. Gewalt nimmt verschiedene Formen an, sie erfolgt sowohl physisch als auch psychisch. Und Gewalt ist nach wie vor ein Tabuthema, gerade in Bezug auf sexualisierte Gewalt. Die Betroffenen haben große Angst, darüber zu sprechen, hinzukommt, dass sie sich oft schämen. Es ist ihnen unangenehm und peinlich. Fast 50 Prozent meiner Klienten haben Gewalterfahrungen gemacht. Bei meiner Arbeit stelle ich mir immer wieder die Frage, wie ich Empowerment leisten kann. Was kann ich als Psychologin tun, um meinen Klienten zu helfen? Und es sind nicht nur Frauen, auch Männer sind betroffen.
Was sind Gründe dafür, dass Menschen aus Spanien und Lateinamerika hierher nach Deutschland kommen?
Es sind verschiedene Gründe. Viele erhoffen sich hier in Deutschland bessere Perspektiven. Es gibt Migranten aus ganz Lateinamerika und der Karibik. Sie fliehen vor politischen Konflikten oder wegen der wirtschaftlichen und sozialen Lage. Die Menschen sind auf der Suche nach einem neuen, einem besseren Leben. Einige kommen auch wegen der Liebe her, so wie ich damals.
Darüber hinaus schreiben Sie Gedichte. Wovon handeln diese?
In meinen Gedichten behandle ich ganz unterschiedliche Themen. Ich greife die Liebe auf, schreibe über Beziehungen und Gerechtigkeit, aber auch über den Tod und das Vergängliche. Ich habe schon als Kind mit dem Schreiben begonnen. Seit ich schreiben kann, schreibe ich.
2013 haben Sie die Gedichtsammlung „El Canto del Colibri“ herausgebracht. Was war das für ein Gefühl?
Das war ein leicht komisches Gefühl. Ich habe mich irgendwie nackt gefühlt, es war mir unangenehm. Andererseits habe ich dadurch auch viel über mich selber gelernt, vor allem auch, Kritik anzunehmen und mit dieser umzugehen. Ich bin wie ich bin und ich bin offen, auch für Kritik an meinem Werk, nicht nur für Lob.
In Ihrer Heimatstadt Oaxaca besuchten Sie eine Literatur- und Kulturwerkstatt. Was haben Sie von dort mitgenommen?
Ich habe dort sehr viel gelernt. Die Arbeit in der Werkstatt hat mich sensibilisiert. Ich habe mich selber viel intensiver wahrgenommen, habe mich mehr gespürt. Nicht nur meine Schreibtechnik hat sich verändert, sondern auch meine Wahrnehmung der Umwelt. Durch diese neue Sensibilität habe ich auch gelernt, Kritik anders anzunehmen. Das ist nicht immer einfach, denn tief in unserem Innersten wollen wir nicht, dass wir und unser Werk kritisiert werden. Dies war ein wichtiger Teil des gesamten Prozesses.
Ihre Gedichte werden derzeit vom Spanischen ins Deutsche übersetzt. Ist dies ein schwieriger Prozess?
Ja, dies ist wirklich sehr, sehr schwierig. Besonders bei Gedichten ist die Übersetzung heikel und anspruchsvoll. Gisela Horvath führt die Übersetzung meiner Gedichte durch, wir arbeiten dabei eng zusammen. Sie sagt immer: Ein deutsches Gedicht ist immer ein anderes als im Spanischen. Man kann also nicht einfach so Wort für Wort übersetzten. Die Bedeutung darf nicht verloren gehen. Übersetzt man ein Gedicht von einer Sprache in die andere, besteht ganz leicht die Gefahr, dass es seine Bedeutung verändert oder sie gar ganz verliert. Durch die Übersetzungen habe ich festgestellt, dass die deutsche Sprache eine sehr feine, reiche und präzise Sprache ist. Ich hoffe, dass wir im Januar mit der Übersetzung fertig sein werden. Der gesamte Prozess hat dann etwa ein Jahr gedauert.
Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Für mich ist das Schreiben eine riesige Chance, mich selber besser kennenzulernen. Und es hat eine große therapeutische Wirkung. Durch das Schreiben verarbeite ich Erfahrungen und Eindrücke, es hilft mir, mich zu ordnen. Alles muss raus. Alles, was in mir drinnen ist, braucht ein Ventil. Das Schreiben macht mir klar, woher meine Gefühle und Gedanken überhaupt kommen, wo ihr Ursprung ist.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Im Moment lerne ich viel, denn ich befinde mich gerade in einer Fortbildung zur Psychotherapeutin. Ich möchte definitiv weiter in diesem Bereich arbeiten, sowohl in der psychologischen Beratung als auch in den Workshops, die ich anbiete, denn mit meiner Arbeit kann ich anderen Menschen helfen, das bedeutet mir sehr viel. Meinen Schwerpunkt möchte ich dabei weiterhin auf die Arbeit mit spanischsprachigen Migranten legen. Nicht nur wegen der Sprache, sondern auch wegen der Kultur. Denn unsere kulturellen Werte sind mir sehr wichtig, denn sie stärken uns. Und natürlich möchte ich auch weiterhin schreiben.