Dieser Samstag, Ende Januar, begann genau so heiß wie die Nacht zu Ende ging. Unser kleines, gemütliches Häuschen im Norden der Stadt hatte keine Klimaanlage, nur Deckenventilatoren und die verteilten lediglich, mehr oder weniger, die schwere Luft in den Räumen. Heiße Nächte und Tage waren mir nicht unbekannt, auch der Sommer in meiner alten Heimatstadt waren sehr warm, aber hier spürte man die hohe Luftfeuchtigkeit wie ein warmes Bügeleisen auf den Schultern.
Unsere Begleiter hatten uns gesagt, dass wir heute was Besonders erleben würden, an einem berühmten Platz dieser Stadt. Meiner neuen Stadt. Wir waren sehr gespannt, vor allem weil wir zum ersten Mal mit der U-Bahn fahren würden. Bisher waren wir nur mit den ewig überfüllten Vorortzügen und den Bussen unterwegs gewesen, deren Klimaanlagen nie funktionierten. Auch wenn diese Erleichterung in der brasilianischen Hitze per Gesetz geregelt war und auch sein sollte, aber gerne ignoriert wurde, was im Alltag meiner neuen Heimat sehr häufig vorkam. Am meisten taten mir die Fahrer leid, in den älteren Karossen saßen sie direkt neben der Motorhaube, da wo manchmal auch Passagiere Platz nahmen. Es war mir schleierhaft, wie sie diese unmenschliche Hitze aushalten konnten, was sie leider auch mussten, um zur Arbeit oder sonst wohin fahren zu können.
Durch die bunten Massen der Stadt
Am Hauptbahnhof angekommen, stiegen die Menschen aus und vermischten sich rasch mit anderen Passagieren, Straßenhändlern oder einfach Herumstehenden. Auf diese Weise bildeten sie ein lautes Knäuel, das sich wie eine bunte Masse in allen Richtungen streckte. Das Gebäude ist schön, wenn auch etwas heruntergekommen, und erinnerte mich an einer Reise, die ich als Junge mit meinen Eltern unternommen hatte. Aber der Bahnhof meiner Erinnerung war nicht so bunt und laut wie dieser Koloss, der mich jetzt fast erdrückte.
Auf dem Weg zur U-Bahn wurden wir entschieden, aber sanft von dieser schnellen, zugleich freundlichen Masse geschoben, bis wir an der Kreuzung der gigantischen Presidente Vargas Allee standen: Eine achtspurige, kilometerlange Schlange, die den Norden mit der Stadtmitte verbindet und immer bereit ist, Unmengen an Autos und Menschen in ihrem Bauch zu stopfen. Ich war schon einmal mit dem Bus durch diesen Knotenpunkt gefahren, aber jetzt, umgeben von mächtigen Gebäuden, kam ich mir wie eine kleine Ameise vor. Nein, diese Größe gab es noch nicht einmal in der Hauptstadt des Landes wo ich herkam. Und unsere Begleiter sagten, dass in der größten Stadt des Landes, Sao Paulo, die Hochhäuser noch viel größer waren. Das war mir unvorstellbar.
Der U-Bahn Tunnel war zwar sehr voll, dafür aber schon fast kalt – egal, dachte ich mir, erträglicher als die Außenwelt. Unser Zug kam, und wie immer in dieser Stadt, wurden Horden auf die Bahnsteige hinaus gespuckt, damit weitere Massen hinein gehen konnten. Und wir mittendrin. Als ich einen Stehplatz in der Menge fand, war ich sehr überrascht. Es war extrem ruhig, so still, wie in ich es noch nie wahrgenommen hatte. Nur das Rauschen der Räder auf den Schienen und die flatternde Geräusche der großen Glastüren waren zu hören. Auf einem Schlag war alles ganz neu und ich kam mir etwas fremd vor.
Die Höhle eines Superhelden
Mittlerweile sprach ich auch lauter, als ich es in der alten Heimat gewohnt war, das taten alle hier. Das war einer der eindeutigen Hinweise, dass menschliches Verhalten von der Umgebung geprägt wird. Und so lernten wir eine neue Seite dieses Volkes kennen. Unser Begleiter sagte, ausnahmsweise leise, dass wir an der Haltestelle „Höhle von Batman“ aussteigen würden und fragte uns, ob wir diese Figur kannten. Meine älteren Geschwister sammelten Comics über diesen Superhelden, da war ich aber noch klein und als ich älter war, gab es den Fledermausmenschen nicht mehr.
Als wir dort ankamen, staunte ich nicht schlecht. Wir steckten wirklich tief im Bau einer dunklen Höhle. Die Wände waren uneben, voller Kanten und ganz oben, hell ausgestrahlt, schwebte die Figur einer großen Fledermaus. Auch die brasilianischen Bauingenieure scheinen einen tiefen Sinn für Humor zu haben, dachte ich mir. Wir gingen die quirligen Straßen dieses so bunten Viertels in Richtung Meer und plötzlich standen wir direkt vor diesem großen Strand, einer der größten und schönsten, der jemals von der Natur geschaffen wurde.
Copacabana, dieses magische Wort, das einen vier Kilometer langen Streifen mit feinstem Sand und der Unendlichkeit des Atlantik Ozeans beschreibt. Bevölkert von Menschen aller möglichen Altersgruppen, die sich einfach nur sonnen, Fußball oder Volleyball spielen und alles Erdenkliche kaufen und verkaufen – Souvenirs, Strandtücher, Sportartikel, Sonnenkosmetika und Essen. Wie in einem gigantischen Bazar werden die Waren von Verkäufern angeboten, die alles unternehmen, um Kunden zu gewinnen. Der eine singen, der andere tanzt, ein dritter spielt mit einem Ball. Doch in einem Punkt sind sie alle gleich: In der Lautstärke ihrer Werbebotschaften, die genauso hoch ist, wie fast überall in dieser Stadt.
Ein demokratischer Platz
Irgendwann gewöhnte ich mich an diesem kontinuierlichen Geräuschpegel und meine Aufmerksamkeit entdeckte ein anderes Bild. Diese lustige Menschen, die halbnackt den warmen Sand und das Meerwasser genießen. In der alten Heimat wäre so ein Anblick recht unmöglich, aber hier zeigten sich alle in ihrer Schönheit oder Hässlichkeit ohne jegliche Scham. Und dann begriff ich, dass dieser ein demokratischer Platz ist. Ein Platz, wo alle gleichgestellt werden, reich oder arm, unbedeutend oder einflussreich. Sie sind nur Menschen unter der Muttersonne, die ihre Nacktheit genießen oder zur Schau tragen. In demokratischer Art und Weise.
Autor: Leonardo De Araújo