„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – mit diesem nüchternen Satz beginnt unser Grundgesetz. Sein Rückgrat sind die Grundrechte in den Artikeln eins bis 19, welche den Einzelnen vor Übergriffen des Staates schützen. Was damals angesichts der Erfahrung zweier Weltkriege eine fundamentale Errungenschaft war, scheint uns heute fast wie selbstverständlich. Dass unsere Grundrechte alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind, sondern täglich verteidigt, weiterentwickelt und im Zweifelsfall gegeneinander abgewogen werden müssen, wird oft erst dann klar, wenn diese in Gefahr geraten. So sind die Debatten um das Grundgesetz auch 70 Jahre später aktueller denn je, besonders vor dem Hintergrund gesundheitlicher sowie rechtspopulistischer Bedrohungen.
Demokratie mitgestalten
Welche Suppe wir uns da mit den Grundrechten eingebrockt haben und mit welchen Rezepten wir diese sichern können, wollte das Barmbeker Kulturzentrum Zinnschmelze mit einer siebenmonatigen Veranstaltungsreihe herausfinden. Der Titel „1# UNANTASTBAR. Grundrechte – Greif zu!“ lässt sich als Aufforderung verstehen, sich mit den Grundlagen unserer Demokratie zu beschäftigen und diese aktiv mitzugestalten. Jedes Teilprojekt widmete sich hierfür einem Artikel des Grundgesetzes mit unterschiedlichen Zugängen und an unterschiedlichen Hamburger Kulturorten. Ziel der einzelnen Veranstaltungen, Workshops und Aktionen sei es gewesen, „das Grundgesetz aus der verfassungspolitischen Abstraktion zu holen und auf künstlerisch-kreative Weise erlebbar zu machen“, so die Organisatorin Sonja Engler.
Ein bunter Abend mit interessanten Gästen
Zwar musste die Abschlussveranstaltung coronabedingt auf den 17. September 2020 verschoben werden, umso mehr freuten sich die Gäste dann allerdings über die bunte Mischung aus Skulpturen, Bildern, Performances, Musik und Gesprächen. Das Programm richtete sich an in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen, Geflüchtete und Zugewanderte, Erwachsene und Jugendliche. Unter dem Motto „Die Suppe auslöffeln“ lud die Zinnschmelze, zusammen mit ihren Kooperationspartnern, dem Goldbekhaus, dem Kulturschloss Wandsbek, dem Jugendinformationszentrum, Lukulule e.V. und der beruflichen Schule Uferstraße ihre Gäste nicht nur zum Feiern, sondern vor allem auch zum Diskutieren, Nachdenken und Mitmachen ein.
Den Auftakt machte um 17 Uhr der Kinderchor der Zinnschmelze. Unter Leitung von Daniel Haller wurden auf dem Hofgelände mit deutsch- und fremdsprachigen Liedern die Kinderrechte besungen und gefeiert. Anschließend ging es in der großen Ausstellungshalle des Museums der Arbeit mit einer Voguing-Tanzperformance von Jugendlichen des Lukulele e.V. zum Thema Queerness und dem Recht auf sexuelle Freizügigkeit weiter.
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Wie sieht eine grundrechtegerechte Gesellschaft aus?
Es folgte eine Podiumsdiskussion mit der SPD-Bezirksabgeordneten Irene Appiah und der Doktorandin Sally Mary Riedel zum Thema Rassismus in Deutschland. Moderiert wurde das Gespräch von der Lehrerin und Bildungsaktivistin Gloria Boateng. Alle drei Frauen haben bereits Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Sie engagieren sich heute auf je eigene Weise für eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Dabei wurde deutlich, dass Rassismus – wie jüngst im Falle des ermordeten George Floyd – nicht erst mit physischer Gewalt beginnt. Oft sind es subtile Formen, in denen Rassismus stattfindet.
Mit dabei war auch die Theatergruppe SISU des Goldbekhauses und der Embassy of Hope, welche sich ganz konkret auf den Artikel 16 des Grundgesetzes bezog: „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Im Zentrum ihrer multimedialen Performance stand die Frage: „Stell dir vor, du bist der Artikel 16. Wie geht es dir gerade in Deutschland?“. Abgerundet wurde der Abend schließlich mit einer Rap-Einlage von Rap for Refugees e.V., einer Initiative für junge Menschen in prekären Lebenssituationen. Die Idee hinter dem Namen des Projekts: Den Begriff „Flüchtling“ bzw. „Geflüchtete/r“ aus seiner zunehmend negativen Konnotation herauszulösen und damit gezielt Jugendliche anzusprechen, die nicht nur vor Krieg oder aus wirtschaftlichen Gründen, sondern vielleicht auch vor ihren alltäglichen Ängsten und gesellschaftlichen Problemen fliehen. Ihnen gibt Rap for Refugees mittels Hip Hop in seinen diversen Ausdrucksformen ein Ventil.
Grundgesetz ist kein Kochbuch
In ihren Abschlussworten dankten die Veranstalterinnen Sonja Engler und Katja Krumm dem ganzen Projektteam, einschließlich den Förderern, dem Bezirksamt Hamburg Nord, der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration und der Budnianer Hilfe, die das gesamte Projekt erst möglich machten. Dass unsere Grundrechte wichtig und schützenswert sind, darin waren sich alle einig. Und doch ist das Grundgesetz kein Kochbuch, sondern gibt einen Rahmen vor, der jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden muss. Wie sehr sich eine künstlerisch-kreative Herangehensweise dazu eignet, hat die Veranstaltungsreihe allemal bewiesen. Eins ist vor allem deutlich geworden: Diese Suppe, lässt sich nur gemeinsam auslöffeln.