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Die Rückkehr nach Haifa. Eine Buchvorstellung

Die Lektüre ist eine kleine palästinensische Perle: Der Autor Ghassan Kanafani führt uns in die zwiespältige Welt von Israel und Palästina, von Israelis und Palästinensern. Er lässt uns schwanken in unserer Sympathie. Er lässt uns fragen nach Gerechtigkeit, Elternliebe, Opfer. Ihm gelingt es, uns empathisch teilhaben zu lassen am Schicksal des palästinensischen Volkes in einem Einzelschicksal. Ohne ausufernd zu tief zu schürfen, vermittelt seine knappe Prosa subtil Gedanken, Hoffnungen, Ängste, Ergebenheit und Fragen nach Heimat und Identität. 

Die Rückkehr nach Haifa.

Wie mit einem Skalpell zerlegt er die Situation der Geflüchteten und Neuangekommenen:  Träume von Angekommensein und die Träume von Rückkehr, die oft zu einem Totengrab der eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte werden. Zurück zu den Wurzeln, zur Vergangenheit, zur Familie, zur Herkunft. Aber es führt kein Weg zurück. Rückkehr ist fast immer mit einem definitiven Abschiednehmen verbunden. Denn die Zeit steht nicht still. Panta rhei.

Und so hat sich das Schicksal von Said und Safiya nach zwanzig Jahren des Bangens, der Vorwürfe vollendet. Sie stehen ihrem leiblichen Sohn gegenüber: Chaldun, der damals in den Wirren von 1948 verloren ging. Denn die wogenden Massen der Fliehenden, die Kraft des mitreißenden Menschenstromes trieb alle zum Meer. Und obwohl sie sich gegen diesen menschlichen Magneten stemmten, gelang es ihnen nicht, zu ihrer Wohnung zurückzukehren, wo der fünfmonatige Chaldun allein in seinem Bett lag. Sie wurden zu Eltern ohne Kind: heimatlos, kinderlos, entwurzelt. Mit der Einsicht voller Reue: Wir hätten Chaldun nie verlassen dürfen, nicht die Wohnung, nicht Haifa.

Im Jahre 1967 können sie kurz zurückkehren, auf Besuch, nach zwanzig Jahren unfreiwilliger Abwesenheit. Nach zwanzig Jahren Qual und Pein wegen des verlorenen Sohnes.

Gefangen in Ketten aus Kraftlosigkeit

Was finden sie vor? Ihre Wohnung, ihr Haus. Das Wiedererkennen von Klingel, und Messingtürgriff, der einen kaputten Stufe, dem Treppengeländer. Im Inneren der Wohnung, eine alte dickliche Frau hatte ihnen geöffnet, der perlmuttige Tisch, eine Vase mit fünf Pfauenfedern, ursprünglich waren es sieben, der syrische Teppich, das Bild von Jerusalem.

„Ich hatte Sie schon seit langer Zeit erwartet,“ das waren die Worte von Miriam Koschen, die 1948 mit ihrem Mann Efrat aus Polen gekommen war. Und denen diese Wohnung zugewiesen wurde, mit der Auflage, das darin aufgefundene kleine Kind zu adoptieren. Miriam war enttäuscht seit ihrer Ankunft im Land und wollte zurück, wollte fort. Doch das Kind hielt sie zurück. Und so wurde sie die Mutter von Chaldun/Dov. Der wie ein Jude aufwuchs und sein Israelisein scharf und überheblich demonstrierte, als er einige Stunden später die Wohnung betrat. Für ihn waren die Palästinenser keine denkenden und zivilisierten Menschen. Sie waren gefangen in Ketten aus Zurückgebliebenheit und Kraftlosigkeit.

Safiya hatte daran geglaubt, dass „Fleisch und Blut“ stärker wären als eine zwanzigjährige Erziehung und Prägung durch andere Menschen, durch eine andere Umwelt. Sie hatte noch nie vom Kaukasischen Kreidekreis gehört. Denn für Dov war Miriam seine Mutter, die ihn gehegt und gepflegt hatte. Fleisch und Blut zählten für ihn nicht. Er war verlassen worden und wusste doch gar nichts von den genauen Umständen des Warum. Nichts wusste er von dem Betrug der geopolitischen Interessen und lügnerischen Machenschaften fremder Mächte. Nichts vom Verrat der Balfour-Doktrin: an den Arabern zugunsten der Juden, aber auch an den Juden, die in eine Situation manövriert worden waren, die sie so wahrscheinlich gar nicht gewollt hatten.

Er sieht, dass Heimat nur in der Zukunft sein kann

Said versteht nun, dass es nur um den Menschen geht. Nicht um Fleisch und Blut, nicht um Nationalität und nicht um Pässe. Unsere Fehler rechtfertigen nicht die euren und ein Unrecht wird nicht durch ein anderes aus der Welt geschafft. Heimat war für ihn bisher die Vergangenheit, das Verlorene, das Ersehnte, doch sieht er jetzt, dass Heimat auch in der Zukunft sein kann. Symbolisiert durch seinen zweiten Sohn Chaled, dem er bisher verboten hatte, zu den Fedajin zu gehen.

Kanafani spricht viele emotionsgeladene Symbole an: Heimat, Elternliebe, Verfolgung, Flucht, Vaterland. Vergangenheit und Zukunft. Und die Frage: Wer ist der Stärkere? Wer ist der Schwächere? Said, der in sich Ansätze zu Aussöhnung und Versöhnung findet? Der Hoffnung sieht. Oder Dov, der sich erhaben fühlt, überheblich propagierte Worthülsen äußert?

Wer ist der Stärkere? Wer ist der Schwächere?

Der Roman hat durchaus autobiographische Komponenten: Kanafani selbst musste mit 13 Jahren aus Akko fliehen und er hat sich auch der politischen Arbeit gewidmet. Seit seiner gezielten Tötung hat sich die Situation im Heiligen Land, in Palästina, im Nahen Osten extrem zugespitzt. Und die Frage bleibt offen, ob dieser gordische Knoten jemals gesprengt werden kann, damit Frieden und Gerechtigkeit ihren Platz in den misshandelten Seelen der Menschen, in den hohlen Köpfern der Massen, egal welcher Couleur und welcher Abstammung, und auf der misshandelten Landkarte finden können. Wer ist der Stärkere? Wer ist der Schwächere?

Mich hat diese Lektüre zutiefst berührt. Da sie kurz und knapp tief sitzende menschliche Fragen berührt. Da sie nachdenklich werden lässt, da sie beide “Seiten” beleuchtet, da sie anhand von individuellen Schicksalen das große Ganze des Konflikts beleuchtet. Und da sie die Wichtigkeit des Dialogs zeigt. Die Lektüre ist eine kleine palästinensische Perle.

PS.: Was mich etwas stutzig macht: warum wird allgemein vom “Araber” gesprochen und die persönlichere, treffendere Bezeichnung “Palästinenser” vermieden? Ist es von Kanafani so gewollt? Oder ein Übersetzungsfehler (was ich mir bei Hartmut Fähndrich eigentlich nicht vorstellen kann)?

 

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